Durchs Dickicht des Textes
Stadttheater: „Im Dickicht der Städte“ als Premiere im Rahmen des Brechtfestivals
Von Frank Heindl
Die Liebe zum Kampf und am Ende ein Trümmerhaufen: Toomas Täht als Holzhändler Shlink (links) und Tjark Bernau als George Garga in Bertolt Brechts „Im Dickicht der Städte“ (Foto: Nik Schölzel).
Zwei kämpfen – um das Kampfes Willen. Worum es geht, ist und bleibt schleierhaft, soll, nach dem Willen des Autors Bertolt Brecht, auch gar keine Rolle spielen. Der eine, einsamer Kaufmann und diskriminierter Ausländer, verliert im Lauf der Handlung mehrmals sein gesamtes Vermögen, seine soziale Stellung, seine Bediensteten; der andere, anfangs vermögenslos und später wieder, verliert, was ihm einst wichtig war: die Eltern, die Schwester, die Frau. Sinn und Ziel sind, wie gesagt, nicht zu erkennen – und trotzdem opfern beide alles, was sie zu opfern haben, mit leichter Hand und ohne längeres Nachdenken.
Bei der Uraufführung von „Im Dickicht der Städte“ im Münchner Residenztheater 1923 war Brecht 25 Jahre alt. Man darf das Stück noch als Frühwerk einordnen: In der 1928 uraufgeführten Dreigroschenoper war schon wesentlich mehr von dem zu erkennen, was den Brecht ausmacht, den wir zuvörderst kennen – 1923 aber waren weder seine Dramentheorie noch seine weltanschauliche Verortung ausgereift. Die Augsburger Inszenierung vor Augen, könnte man sagen: Noch war Brecht mit Experimentieren beschäftigt, noch übte er.
Und so kommt es, dass das „Dickicht der Städte“ auch zu einem Dickicht des Textes wurde, mit dem sich die Regisseure seit je schwer tun. Brechts Text ist, gelinde gesagt, schwierig, in vielen Teilen schwer verständlich, mit Zitaten des Dichters Arthur Rimbaud durchsetzt, die sich weder alleine noch im Kontext des Stücks ohne weiteres erschließen – und der Plot ist schlichtweg unbegreiflich. Es ist eine Männergeschichte, die sich Brecht da ausgedacht hat. Ein Auseinandersetzung um alles und nichts, und da sie weder Grund noch Ziel hat, nennt Brecht sie einen „metaphysischen Kampf“.
Andeutungen all dessen, was den späteren Brecht ausmacht
In Chicago spielt das Geschehen: Der Holzhändler Shlink will dem Angestellten einer Leihbücherei, George Garga, nicht nur ein Buch, sondern auch eine Meinung abkaufen. Daraus entwickelt sich ein Streit, und daraus ein sich über Jahre hinziehender, nicht enden wollender Kampf – und ein sich über zweieinhalb Stunden hinziehendes, nicht enden wollendes Theaterstück. Shlink (lakonisch-kraftvoll: Toomas Täht) setzt seine Firma ein, indem er sie Garga schenkt. Garga (mitunter zu sehr aufs Schreien verlegt, aber als Schauspieler sehr gereift: Tjark Bernau) bezahlt mit seiner Familie, überlässt seine Freundin (verhuscht-versoffen und pure Oberfläche: Sarah Bonitz) dem Konkurrenten, macht seine Schwester (herzergreifend: Olga Nasfeter) zur Prostituierten, überlässt Mutter und Vater (Ute Fiedler und Philipp von Mirbach) ihrem Schicksal. Und jedes Mal, wenn der Kampf entschieden scheint, wenn einer oder der andere vernichtet scheint oder zu kapitulieren vorgibt – beginnt er wenig später erneut. Am Ende ist der Holzhändler tot, Garga geht resigniert nach New York: „Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit.“
Was an dem Stück – nicht nur für Brecht-Fans – spannend ist, das sind all die Andeutungen dessen, was den späteren Brecht ausmachen wird: Sein kühl-analytischer, aber von Sympathie und Mitleid geprägter Blick auf die von Warenverhältnissen geprägte Welt, seine knappen, fast zynisch erscheinenden Erklärungen („Es handelt sich um Liebe und es handelt sich um Cocktails“, so begründet der neue Liebhaber Janes Untreue), seine gleichnishaften Sprachbilder („Der Schnee kann auch schmelzen, wo ist der dann?“ – so begründet Jane ihren erneuten Wechsel zurück zu Garga, als und solange dieser zu Geld gekommen ist).
Ein Aktualisierungsversuch hätte möglicherweise geholfen
Doch das ist zu wenig, um den Zuschauer über so lange Zeit zu fesseln, und Ofira Henigs Inszenierung tut zu wenig, um diese Längen zu überbrücken. Brechts Text hat sie nur minimal gekürzt, einige der Rimbaud-Zitate hat sie nicht nur stehen lassen, sondern lässt sie auf Tafeln in die Höhe halten, wodurch sie aber nicht klarer werden. Und die menschlichen Dramen, die sich rings um die lange Tafel abspielen, die den dauerhaften Mittelpunkt des Kampfgeschehens bildet (Bühne: Miriam Guretzki-Bilu), können immer nur vorübergehend fesseln und werden immer wieder überlagert vom sinnlosen Zwist der beiden Hauptakteure. Natürlich ist es Unsinn, von israelischen Theaterleuten permanent die Thematisierung des Nahost-Konfliktes einzufordern – zumal das Theater Augsburg das in dieser Spielzeit ohnehin getan hat. Vielleicht aber hätte ein – notfalls drastischer – Aktualisierungsversuch das zu Recht aus der Mode gekommene Stück retten können. So aber verfängt sich die Inszenierung eher im Dickicht des Brechtschen Textes als in dem der Städte.