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Freitag, 26.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Durchgeknallte Möchtegern-Helden

Schillers „Räuber“ am Stadttheater

Von Frank Heindl

„Ein Blödsinn sondergleichen“: Das Programmheft zu Fabian Alders Inszenierung zu Friedrich Schillers „Die Räuber“ beginnt mit einem pointierten Aufsatz von Marcel-Reich-Ranicki, der in wenigen Sätzen all die gewichtigen Mängel des Dramas auflistet. Dieser Mängel scheint sich Fabian Alder anzunehmen, indem er das 1782 uraufgeführten streckenweise ins Absurd-Groteske weiterdreht – leider aber hält er dieses Prinzip nicht durch.

Blutüberströmter Punk, der gleichermaßen von Aggression und Angst erzählt: Matthias Zera (links) und Jakob Walser als Räuber.

Blutüberströmter Punk, der gleichermaßen von Aggression und Angst erzählt: Matthias Zera (links) und Jakob Walser als Räuber.


Susanne Hiller hat für das Geschehen eine Drehbühne bauen lassen, auf der die Gegensätze in Bildern von großer Wucht Platz finden: Zunächst sehen wir ein Schloss, in dem Franz Moor (Tjark Bernau) gegen den beneideten Bruder Karl (Ulrich Rechenbach) beim Vater intrigiert. Anfangs zeigt die Drehung der Bühne den Verstoßenen noch in ebenfalls großbürgerlichem Ambiente. Wenig später und eine Drehung weiter haust er mit seinen Kumpanen schon als Outlaw in den Wäldern. Und je weiter sich die Bühne dreht, desto blutiger wird das Geschehen zwischen rankendem Efeu im deutschen Wald: Die Räuber räubern nicht nur, sondern morden mit Genuss. Hauptmann Karl hat sich zwar den guten Taten an Witwen und Waisen verschrieben, doch was seine Spießgesellen sonst noch treiben, hat er nicht im Griff, und um einen von ihnen zu befreien, scheut auch er selbst nicht vor Brandschatzung und Massenmord zurück.

Während auf der Seite der Räuber das Pendel ins Brutale, ins Groteske ausschlägt, während die Mörder einen blutüberströmten Punk (Musik: Oliver Roth) zum Besten geben, der von Aggression und Angst gleichermaßen erzählt, während die Räuber also zu einer entfesselten Terroristenbande degenerieren und sogar einen von ganz oben herabgesandten, wischnewskihaften Vermittler blindwütig über den Haufen schießen – wendet sich das Geschehen auch auf der anderen Seite zur Groteske hin.

Shakespearesche Dimensionen in Schillers Text

Der intrigante Bruder, weniger schlau-verschlagen als vielmehr plump-brachial, bringt den Vater (Eberhard Peiker) in den Sarg, bis dieser noch einmal aufsteht und wie eine Karikatur von Hamlets Vatergeist im Turm verwahrt wird; verbiegt das Personal, bis es mit Hitlergruß dem neuen Herren dient; vergewaltigt nur beinah, ertränkt nur beinah Karls Verlobte, wird nur beinah zum Tyrannen, weil er nicht mal zum Gewaltherrscher taugt.

Groteske Übertreibung also auf beiden Seiten der Familie – und eine nachvollziehbare Regiereaktion auf Schillers Stück, das auf für heutiges Verständnis mitunter geradezu alberne Weise logische Schwächen und gehäufte Unglaubwürdigkeit mit Pathos zu kaschieren versucht. Fabian Alder hat stark gekürzt, aber ein paar Sätze stehen lassen, die Shakespearesche Dimensionen im Schillertext aufkommen lassen: Er wolle, verkündet Franz, „alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, dass ich nicht Herr bin“, frisst ein Ohr des toten Vaters, ist aber doch nur ein Möchtegern-Richard-III., bleibt lächerlich fast bis zum Schluss, dann schafft er es wenigstens, sich selbst zu ermorden.

Mörder oder edler Räuber?

Graf von Moor (Eberhard Peiker) mit seinen Söhnen Karl (Ulrich Rechenbach) und Franz (Tjark Bernau). Franz ist jetzt schon tot, die beiden anderen kommen gleich nach. (Fotos: A.T. Schaefer)

Graf von Moor (Eberhard Peiker) mit seinen Söhnen Karl (Ulrich Rechenbach) und Franz (Tjark Bernau). Franz ist jetzt schon tot, die beiden anderen kommen gleich nach. (Fotos: A.T. Schaefer)


Es dauert lang, bis Schillers Plot im Stadttheater einen Sog entfaltet – erst nach der Pause, als der ganze mörderische Reigen offensichtlich wird, packt die Inszenierung den Zuschauer richtig. Die lange Entwicklung zu diesem Punkt hin hätte sich gerechtfertigt, wenn Alder sie nun konsequent weiterführen würde. Es wäre ein Leichtes gewesen für die Regie, den durchgeknallten Haufen von Möchtegern-Helden nun vollends der Lächerlichkeit preiszugeben. Doch diesen Schritt wollte Alder nicht tun. Zu viel Ernsthaftigkeit belässt er dem jungen Helden Karl, zu sehr erlaubt er ihm, seinen Ausflug ins Mörderhandwerk mit enttäuschter Vaterliebe und aus dem Ruder gelaufenen edlem Räuberwesen zur rechtfertigen; erlaubt ihm auch, neben dem dämlich-herrschsüchtigen Bruder immer noch das Bild des edlen, in seiner Ehre verletzten Ritters hochzuhalten.

Dass Alder zwischen den Positionen schwankt und sich für keine ganz entscheiden mag, zeigt sich auch in der Person der Amalia. Karls Verlobte (Lucy Wirth) bleibt rätselhaft bis zu ihrem bitteren Ende. Aufsässig gegen Franz, nimmt sie diesen kaum einen Moment lang ernst, spielt mit ihm, lacht über ihn. Ist sie dumm, naiv, oder ist sie hellsichtig? Als ihr geliebter Karl wieder auftaucht, kann sie ihn als Räuber nicht mehr akzeptieren, bittet ihn lächelnd darum, getötet zu werden, so, als habe sie schon lange geahnt, was kommen würde. Dass Karl diesem Wunsch ohne lange zu grübeln nachkommt, könnte der Groteske die Krone aufsetzen, doch Alder bleibt nun ganz bei Schiller, nimmt Karl noch einmal Ernst, anstatt ihm noch einmal die Maske vom Gesicht zu reißen, kurz: sucht Sinn in einer Geschichte, zu deren Dekonstruktion er über lange Strecken beigetragen hat.