DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Diese Grafik ist ein Dokument einer falschen Kulturpolitik

Es geht nicht um den Welthunger, nicht um die Klimakatastrophe und auch nicht um die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in Russland und der Türkei, es geht nicht um Kriege und Flüchtlingsströme, und es geht auch nicht um seelische Grausamkeiten, die kranke Eltern ihren Kindern zufügen.

Kommentar von Siegfried Zagler

Kulturetat 2015: 57% gingen als Betriebskostenzuschuss an das Stadttheater

Nein, es geht um eine gewachsene Struktur, die offenbar so unabschaffbar wie das Vorangestellte ist. Will man den großen Kulturpolitikern Kurt Gribl, Thomas Weitzel, Juliane Votteler, Gerd Merkle, Bernd Kränzle und der Mehrheit der Augsburger Stadträte glauben, ist diese Struktur Ausdruck von kulturellem Reichtum. Wir sprechen von dem Augsburger Kultur­fördersystem, das dem Stadttheater fast 60 Prozent des gesamten Kulturetats verabreicht und somit alles andere an die Wand drückt oder zu Überlebens­künstlern macht. Das Augsburger Intendanten-Theater mit seinen Werkstätten, Verwaltungen und knapp 400 Beschäftigten ist ein Apparat, der die Kunst frisst, statt sie zu fördern. Gefressen wird die Kunst nicht nur außerhalb des Stadttheaters, sondern in der Hauptsache innerhalb der Struktur, da mindestens 80 Prozent der Fördergelder in den Verwaltungs­apparat fließt und nicht in die Kunst.

Die Zeiten, als von Sophokles, Shakespeare, Lessing, Goethe, Schiller und Brecht ungeheure Impulse ausgingen, die von der Bühne in die Gesellschaft hineinwirkten, sind vergangen. Die gesellschaftliche Relevanz der Großtheater ist Geschichte. Die deutschen Stadttheater sind weder moralische Instanzen noch Aufklärer und noch viel weniger Welterklärer, sondern Bühnen für gehobene Abendunterhaltung. Dabei handelt es sich um eine systemrelevante Funktion, deren Mechanik darin besteht, dem immer älter werdenden Publikum zu zeigen, dass die Welt nicht außer Rand und Band ist – solange dieses aufwändige Betriebssystem der Repräsentations­bühnen existieren kann.

Diese unausgesprochene Vereinbarung wird von den Theatern und ihrem Publikum verteidigt, als fände auf den Bühnen dieser Einrichtungen etwas Elementares, etwas für die Fortführung der Gesellschaft Wichtiges statt. Die Pflege der einst bedeutsamen Theaterkunst ist ein kleinbürgerlicher Fetisch geworden. Wer diesen Fetisch als Fetisch markiert, muss mit starken Widerständen rechnen, manchmal sogar mit Gift, das innerhalb der kleinbürgerlichen Kaste sehr wirksam ist: Verächtlich­machung, Verbannung und Angriffe auf die wirtschaftliche Existenz, wie es zum Beispiel der Augsburger Buchhändler erfahren musste, der an der Spitze einer Bewegung steht, die die Augsburger Bürgerschaft gerne befragen würde, ob es diese monströse Struktur für eine  Abendunterhaltung braucht, die den gleichen Leuten stets das Gleiche zeigt. Lange, so schien es, schienen die „Theaterkritker“ nicht zu wissen, wohin die Reise mit ihrem Bürgerbegehren hingehen soll. Nun wissen Sie es. Sie müssen nur diese Grafik verstehen.

Bezüglich der freien Szene muss an dieser Stelle gesagt sein, dass ihre Forderungen richtig sind – und auch korrekt begründet sind. Doch sie sind es, die diese Struktur über viele Jahrzehnte hinweg erduldet und schweigsam geduldet haben – und somit auch verfestigt haben, indem sie sich Jahrzehnte mit Brosamen abspeisen ließen und sich nie beschwerten oder gar aufregten, wenn der Eigenbetrieb Stadttheater seinen Etat von der Stadt regelmäßig um sechsstellige Beträge erhöht bekam. Auch bei den 55 Unterzeichnern des Offenen Briefes wollten die wenigsten Freien mitmachen, weil sie sich nicht gegenüber der Stadt undankbar zeigen wollten und ihre Brosamen nicht riskieren wollten. Die Freien wollen beweglich, aufregend und dankbar sein und natürlich anständig gefördert werden. Eine schwierige Situation – für die Stadt.

Die Stadt Augsburg muss ihre Förderkriterien neu sortieren und schon wird es kompliziert. Sie kann nämlich nicht alle Freien fördern, weil sie „frei sind“, was im Grunde heißt, dass sie nicht oder kaum gefördert werden. Nur eins bleibt einfach: Wer mit einer Struktur wie der des Augsburger Stadttheaters in eine Kooperation gehen will, ist nicht mehr Teil einer Lösungsversprechung, sondern Teil einer falschen Struktur, Teil einer falschen Denkungsart. Die freie Szene hätte das Bürgerbegehren unterstützen müssen. Hat sie aber nicht, weil sie sich im Lauf der vergangenen Jahrzehnte dergestalt devot in die Rolle des Bittstellers gefügt hat, dass es für ein Aufbegehren gegen eine Struktur nicht mehr reicht. Indem die Freien am Bürger­beteiligungs­prozess mitwirkten und geschickt diesen Prozess für sich verwendeten, indem sie im Sog des Kooperationsgedöns, den sie selbst innerhalb dieses Prozesses erzeugten, ihre eigene Bedeutung erhöhten, haben sie nun die Chupze, Forderungen zu formulieren. Forderungen, die immer noch bescheiden sind. Bescheiden und devot, weil sich die Freien in der Mehrzahl willenlos in ein Sanierungsvorhaben eines Stadttheaters fügen, das eine Struktur verfestigt, die Formen und Inhalte auf die Bühne bringt, die erstens viel zu teuer produziert werden und zweitens nichts zu tun haben mit der Gesellschaft, die sich in den vergangenen 30 Jahren um dieses Theater herum gebildet hat.

Die Augsburger Kulturpolitik ist ein Trauerspiel. Ein Kulturreferent, der diese Grafik im Jahre 2016 nicht als Skandal bewertet, muss zum Rücktritt aufgefordert werden und ein Oberbürgermeister, der den besagten Theaterkritkern eine „Antihaltung“ vorhält, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er sich auch nur einmal mit der Frage auseinandergesetzt hat, zu welchem Zweck Kulturinstitutionen mit Steuergeldern gefördert werden sollen. Eine „Antihaltung“ zur Stadt Augsburg erkennt man daran, wenn man den Kulturetat der Stadt Augsburg weiterhin so gestalten will, wie er sich auf dieser Grafik darstellt.

Podcast von OB Dr. Kurt Gribl zur Theatersanierung: