Die Wurzeln lagen nah beisammen
Das Ensemble Sarband spielte Musik aus drei Kulturkreisen
Von Frank Heindl
Brücken zwischen den Kulturen will Veranstalter Hansi Ruile mit seinem „Festival der 1000 Töne“ schlagen. Da lag es nahe, für die Eröffnung der Konzerreihe im Goldenen Saal das Ensemble Sarband mit seinem Programm „Sacred Bridges“ auszuwählen. Am vergangenen Freitag schlugen die fünf Sarband-Musiker mit dem Innovantiqua Vokalensemble Brücken zwischen den drei Buchreligionen und zeigten gleichzeitig, dass diese sich – zumindest musikalisch – längst sehr nahe stehen.
Sarband-Gründer Vladimir Ivanoff verbindet mit seiner Arbeit durchaus auch Ansprüche, die über das rein Musikalische hinausgehen (siehe DAZ-Interview „Lieber 1000 Töne als 1000 Worte“). Trotzdem und glücklicherweise spricht die Musik von Sarband für sich – ihre Botschaft der Interkulturalität bedarf keiner Erklärungen. Konkret wurde in diesem Konzert gezeigt, dass Vertonungen biblischer Psalmen im christlichen, im muslimischen und im jüdischen Kulturraum teilweise überraschend ähnlich sind. Venezianische Mehrchörigkeit, französische Polyphonie und die kunstvollen metrischen Systeme der osmanische Musik verwoben sich an den Höfen bedeutender Herrscher des 16. und 17. Jahrhunderts in den Psalmbearbeitungen untrennbar miteinander und waren so – ganz ohne Ideologie – schon immer Brücken zwischen Menschen, Religionen, Kulturen. Ohne allerdings dabei die Unterschiede unkenntlich zu machen.
Die europäische Polyphonie beispielsweise hört sich deutlich „strenger“ an als das teilweise freie osmanische Spiel, in dem auch die Improvisation ihren Platz hat, die Unisono-Gesangsteile lassen mitunter noch stark die Herkunft des christlichen Gesangs von der mönchisch geprägten, asketisch-spirituellen Gregorianik erkennen. All dies machten die klaren, differenzierten, gewaltig dynamischen Stimmen des schweizerischen Innovantiqua Ensembles (fünf Männer und zwei Frauen) hörbar – selbst bei den komplexesten, auch rhythmisch vertrackten polyphonen Kompositionen blieb die Stimmführung nachvollziehbar durchsichtig. Am berührendsten und auch am überraschendsten aber waren die Momente, in denen in nahezu nahtlosem Übergang vom europäischen in den orientalischen Stil „übergeblendet“ wurde. Wenn die Rohrflöte Nei und die der Zither ähnliche Kanun (Celaleddin Biçer), die Kniegeige Kemençe (Ahmed Kadri Rizeli) und die gitarrenähnliche Ud (Seref Dalyanoglu) die Melodie übernahmen, Vladimir Ivanoff dazu die Rahmentrommel schlug und Mustafa Dogan Dikmen liturgische muslimische Gesänge intonierte. Seine innigen Melismen schienen teils aus innigster Versenkung, teils aus geradezu ekstatischer Begeisterung zu kommen. Zu dieser Verschränkung von Hingabe und Ekstase passte perfekt der Derwisch-Drehtanz von Talip Elmasulu. Denn dieser aus der Sufi-Tradition stammende Tanzstil, dem muslimischen Mystizismus zugehörig, vereinigt ebenfalls die beiden Seiten: Sich so lange und ausdauernd um die eigene Mitte zu drehen, ist eine mühsam zu erlernende Kunst – ihr Ziel aber ist es, in der ekstatischen Drehung sich des Erlernten nicht mehr bewusst zu sein. Auch zurück nach Europa funktioniert diese „Überblendungstechnik“ hervorragend, mitunter dadurch, dass nur einfach die Sprache gewechselt wird – vom Türkischen ins Französische oder ins Hebräische – während die Melodie dieselbe bleibt.
So nahe, wie diese Melodien und Musiken einander stehen, so nahe mögen sich einstmals auch die drei Buchreligionen gewesen sein. Sie sind es längst nicht mehr, doch die Musik von Sarband zeigte ohne erhobenen Zeigefinger und intellektuelle Klimmzüge, wie dicht nebeneinander die Wurzeln stehen. Auch wenn es zusätzlicher symbolischer Gesten gar nicht mehr bedurft hätte – es war ein rundum gelungenes Zeichen, dass das letzte Stück des offiziellen Teils vor der Zugabe mit den Worten „Shalom Israel“ endete – Friede über Israel, wie ihn der Psalm 128 beschwört.