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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Theater: Die wollen nur spielen

Neue Reihe im Hoffmannkeller: ziemlich schnell und nur ein bisschen schmutzig

Von Frank Heindl

„quick & dirty“ nennt sich die neue Reihe: „Schnell und schmutzig“ wollen Mitglieder von Schauspiel- und Ballettensemble einmal ausprobieren, was geht, was sie selbst auf die Beine stellen können, was sie schon immer mal machen wollten. Dafür steht ihnen die kleine Bühne des Hoffmannkellers zur Verfügung – und jede Menge Spielfreude um, so der Programmzettel, „Überraschendes, Gewagtes, Ungesichertes“ zu präsentieren. Beim ersten Mal war das eine Stunde Spaß fürs Publikum.

An den Start gibt’s mit einer kleinen Parodie auf „Shades of Grey“, den millionenfach verkauften und von der Kritik als Schund geschmähten britischen Sado-Maso-Roman. In heftiger sexueller Spannung standen sich, von bebender Erregung geschüttelt, Alexander Darko als Millionär Christian Grey und Sarah Bonitz als schmachtendes Weibchen Anastasia Steele gegenüber. Das literarisch unterirdische Vorbild wurde durch ebenso klischeehaft-übertriebene Schauspielkunst in Szene gesetzt, es wurde grimassiert, sardonisch gegrinst und hingebungsvoll gestöhnt, was das Zeug hielt. Lea Sophie Salfeld durfte den Sprach-, Mimik- und Gebärdenschrott, wenn’s allzu schlimm wurde, mit der Quarte am Klavier unterbrechen – tatü-tatü. Und die Geräusche hinter der Bühne, als Anastasia ihre ersehnte und verdiente Tracht Prügel verabreicht bekam, gingen glücklicherweise schon im Applaus unter.

Mit „dirty“ war’s dann auch schon vorüber, den Aspekt „quick“ lieferten die nachfolgenden kleinen Szenen aus dem Beziehungsleben der Großstadtbewohner, in Szene gesetzt von Ana Dordevic. Als Rahmen hatten die Akteure sich einfach selbst inszeniert: Sie waren Zuschauer wie Schauspieler, saßen am Rand aufgereiht wie das „normale Publikum“ und erhoben sich angelegentlich, um in improvisiert scheinende Alltagsrollen zu schlüpfen. So erschein Olga Nasfeter als New Yorkerin mit Torschlusspanik: als selbstbewusste und karriereorientierte Frau, deren Zufriedenheitsmaske nach ein paar Jahren des Single-Daseins plötzlich zerbricht. „Warum will ich plötzlich so dringend einen Mann?“, fragt sie sich und das Publikum und sehnt sich nach den Inbegriffen spießbürgerlicher Zweierbeziehung: Von After-Shave-Geruch im Bad und Flaschenbier im Kühlschrank erwartet sie „Home sweet home“-Feeling und Glücksgefühl in der Lebensmitte. Verschärft werden diese Sehnsüchte von verführerisch sie umtänzelnden Mitgliedern des Ballettensembles.

Die Balance zwischen Erkenntnis und Selbstbetrug

Anschließend Auftritt Helene Blechinger. Sie ist neu im Ensemble und wird „offiziell“ erstmals am 20.4. als die jüngste der Töchter von Bernarda Alba in García Lorcas „Bernarnda Albas Haus“ auf der Bühne des Großen Hauses zu sehen sein. Im Hoffmannkeller gab sie ein hinreißendes Debut als schüchtern-unsichere Pariserin, die dem Publikum („Sie können ja keine Groschenromane lesen und daher gehen Sie ins Theater“) eine Kitschgeschichte auftischte, wie nicht nur Teenager sie sich ausdenken: Fast völlig unglaubwürdig, aber mit einem verbleibenden Hoffnungsfünkchen nach dem offenen Ende.

In der Rolle des verlegen herumstotternden und nach Worten suchenden Naivchens, das einfach mal zufällig im Theater eine kürzlich erlebte Geschichte erzählt, blieb Blechinger an diesem Abend ungeschlagen. Nah ran kam aber auch Toomas Täht. Der aus Estland stammende Schauspieler gab einen Deutschen, der sich als Amerikaner ausgibt, um einer lästigen Augsburgerin im Zug nach Hamburg zu entkommen. Am Ziel bleibt ihm von der Zufallsbekanntschaft nur ein grüner Ohrring – und eine unbestimmte Sehnsucht, die man auch als Einsamkeitsgefühl beschreiben könnte. Auch Täht war sehr erfolgreich im Versuch, auf der schmalen Grenze zwischen Selbstbetrug und Erkenntnis zu balancieren und sich so das Leben erträglicher zu machen.

Dann gab’s noch den Versuch, eine italienische Geschichte zu erzählen, der schon kurz nach dem Start aufgrund von Sprachschwierigkeiten abgebrochen wurde – und den man möglicherweise als einen kleinen Kurs in gescheiterter Interkultur am Stadttheater interpretieren darf. Nicht zu vergessen: Untermalt wurden diese Kleinszenen allesamt von der unglaublich schönen, wunderbar unentschiedenen, mit Stimmungen und Assoziationen spielenden Musik von „Blue Macaw und das Folk-Orchester“. Die Band wäre allein einen Abend wert gewesen.

Demnächst mehr davon …

Die Augsburger Schauspieler und Tänzer wollten einfach nur spielen – sich austoben, mit leichter Hand ein paar Szenen hinskizzieren, ein paar Angebote machen, ein bisschen zeigen, was alles in ihnen steckt. Der Versuch hat sich rundum gelohnt, der nächste Termin für „Quick & Dirty“ steht schon fest: Am 5. April darf es dann gerne auch ein bisschen mehr „Dirty“ sein – von diesem spiel- und einsatzfreudigen Ensemble darf man sich auf Sicht vielleicht auch Politisches, Verstörendes, Nervendes, Aufrüttelndes erhoffen.