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Mittwoch, 23.04.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

„Die Verweigerer sind die, die die Botschaft verwässern wollen“

„Klare Botschaften“ hat der Fraktionsvorsitzende der Grünen Reiner Erben unlängst im Stadtrat von der Stadtregierung gefordert. Ein klares Nein zu Stuttgart 21 und zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten haben offensichtlich den Grünen im Bund sehr hohe Umfragewerte beschert. Ein Nein der Augsburger Grünen zum anstehenden Ratsbegehren gegen das „Tunnelbegehren“ war für die DAZ Anlass genug, um Herrn Erben zu einem Interview zu bitten. Erben gehört zu den scharfzüngigsten Schwergewichten der Rathausopposition. Im DAZ-Interview erläutert Erben die Position der Grünen in der Debatte um die Königsplatzplanung. „Wir stehen auf dem Boden des Bebauungsplanes 500. Die Verweigerer sind die, die die Botschaft verwässern wollen“.

Reiner Erben im Gespräch mit DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler (rechts)

DAZ: Herr Erben, in Augsburg wird 41% des Verkehrs im motorisierten Individualverkehr MIV abgewickelt, 24% zu Fuß, 18% mit dem ÖPNV und 17% mit dem Rad. Wie sieht Ihr persönlicher Modal Split aus?

Erben: 60 Prozent mit dem Rad, 10 Prozent zu Fuß, 20 Prozent ÖPNV und 10 Prozent MIV.

DAZ: Ein grünes Mustersplitting sozusagen. Herr Erben, lassen Sie uns doch mal ein wenig über Ihre Partei reden. Die Umfragewerte der Grünen sind bundesweit auf einem historischen Hoch. 24 Prozent sind jede Menge Holz, die Sie unseren Lesern in der gebotenen Kürze ein wenig erklären könnten. Die Pläne zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten, Stuttgart 21 sind klassische grüne Bringer. Die Grünen scheinen der FDP die Protestwähler abzugreifen. Gibt es sonst noch Thesen dafür, weshalb die Grünen gerade auf hoher Welle surfen?

Erben: Ich denke, die FDP hat ein immenses Glaubwürdigkeitsproblem und deswegen laufen ihr die WählerInnen weg. Die Grünen haben bei den Umfragen derzeit gute Ergebnisse, weil wir Themen aufgreifen, die die Menschen bewegen und weil wir diese Themen seit Jahren mit gleichen Positionen vertreten. Atomausstieg ist ein grünes Markenzeichen und das unsägliche Geschachere von Schwarz-Gelb mit den Atom-Lobbyisten lässt die Menschen verständlicher Weise eine glaubwürdige Alternative suchen. Ähnlich ist es bei Stuttgart 21, da trauen die Stuttgarterinnen und Stuttgarter den Darstellungen der Befürworter nicht und nehmen wahr, dass wir Grüne seit Jahren kritisch nachfragen und Alternativen ins Spiel bringen, die glaubwürdiger und vorstellbarer sind. Die Menschen schätzen an uns, dass wir eine Linie haben und in der Konsequenz auch unpopuläre Forderungen vertreten. Wir reden nicht nur über Klimaschutz, sondern machen dafür auch Politik. Wir verfallen aber momentan nicht in Euphorie, denn die Umfrageergebnisse sind auch verbunden mit hohen Erwartungen in Grüne Politik. Doch Grün pur wird es trotz der derzeitigen Allzeit-Hochs in den Umfragen auch in den nächsten Jahren nicht geben.

DAZ: Es gibt Stimmen, die sagen, dass die Grünen mit ihrem wohlhabenden und politisch aufmerksamen Wählerklientel so etwas geworden sind wie ein neue FDP. Stört Sie das?

„Unsere klaren Botschaften werden geschätzt“

Erben: Wir machen keine Klientelpolitik, schon gar nicht für die Besserverdienenden auf Kosten von sozial Schwachen und auf Kosten von Umwelt und Natur. Die Grüne Arbeit an einer nachhaltigen Politik für die kommenden Generationen ist im Interesse aller Menschen.

DAZ: Uns kommt es ein wenig so vor, als wäre das Bundeshoch „gefühlt“ auf den Augsburger Kreisverband übergegangen. Spielt das in Ihrem Standing in der lokalpolitischen Praxis eine Rolle?

"Wir machen keine Klientelpolitik"

"Wir machen keine Klientelpolitik"


Erben: Ich kenne keine Umfragen in Augsburg. Wir erleben aber auch in Augsburg, dass wir mit unseren Themen ankommen bei den Menschen. Unsere klaren Botschaften werden geschätzt. Nur drei Beispiele:

Erstens: In der Jugendpolitik reicht es nicht, auf Events zu setzen, sondern wir wollen, dass sich junge Leute an der Politik beteiligen. Mit den zwei jüngsten Stadtratsmitgliedern praktizieren wir das auch.

Zweitens: Beim Innovationspark dürfen wir als Alleinstellungsmerkmal nicht nur auf neue Werkstoffe setzen, sondern müssen fragen, wie wir Ressourcen einsparen und zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise kommen. Dann erst sind wir wirklich innovativ und gewinnen Ausstrahlung. Dazu gibt es an der Uni Augsburg im jetzt gerade 10 Jahre alten Wissenschaftszentrum Umwelt wichtige Forschungsschwerpunkte.

Drittens: In der Verkehrspolitik fordern wir eine klare Haltung zum autofreien Kö und zur Reduzierung des Individualverkehrs in der Innenstadt. Auch das kommt an.

DAZ: Sie haben unlängst im Stadtrat klare Botschaften von der Politik gefordert, und dabei den Bahnhofsumbau genannt. Nun ist zu hören, dass die Augsburger Grünen das kommende Ratsbegehren gegen das „Tunnelbegehren“ am Kö nicht unterstützen werden. Falls sich der Tunnel durchsetzt, ist der Bahnhofsumbau erst mal Geschichte. Viele Jahre der parteipolitischen Findungsphasen, Diskussionen, Planungsphasen sowie der Ideenwettbewerb gingen damit den Bach runter. Warum also das No-Go zum Ratsbegehren? Das Tunnelbegehren ist aus plausiblen Gründen nicht zu unterschätzen. Es sollte in der lokalen Politik zum Schwur kommen. Warum machen die Grünen nicht mit? Ist Verweigerung nicht auch eine „klare Botschaft“?

Erben: Wir stehen auf dem Boden des Bebauungsplans 500, den wir – trotz gravierender Einwände – die ganze Zeit mitgetragen haben, weil er der einzige Weg zum Hauptbahnhofumbau ist; die Verweigerer sind die, die die Botschaft verwässern wollen. Die jetzt notwendige klare Botschaft heißt: Wir brauchen eine zukunftsfähige Verkehrspolitik in Augsburg!

Einen Tunnel lehnen wir seit Jahren ab. Denn er zieht Durchgangsverkehr in die Innenstadt, den wir da nicht brauchen, weil er Lärm und Luftverschmutzung erzeugt. Diese Botschaft ist inzwischen bei der großen Mehrheit des Stadtrats angekommen. Der Stadtrat hat deshalb fast einstimmig eine Resolution gegen den Tunnel verabschiedet. – Ein Ratsbegehren mit einer unklaren Botschaft ist ein Risiko. Diejenigen, die eine Öffnung des Kö für den Individualverkehr wollen, werden sich mit einer „Bedarfsüberfahrt“ nicht zufrieden geben und weiter für eine ständige Fahrspur über den Kö trommeln. Deshalb wird das Ratsbegehren die Lage unübersichtlicher machen. Da wird dann umständlich erklärt werden müssen und jeder und jede wird das anders machen. Eine klare Botschaft ist das nicht.

Die bessere Lösung ist aus unserer Sicht, jetzt beim Bürgerentscheid klar gegen den Tunnel zu mobilisieren und dann den Bebauungsplan 500 mit autofreiem Kö endgültig im Stadtrat zu verabschieden. Dieser Beschluss muss mit der Botschaft verbunden sein, dass der Verkehr nicht lediglich verlagert werden darf, sondern reduziert werden muss. Bei diesem Thema dürfen sich die anderen Parteien, der Einzelhandelsverband und die IHK nicht weiter verweigern.

Der Bypass: „Tür auf zu einer richtigen Fahrspur“

DAZ: Die Fragestellung für das Ratsbegehren ändert sich beinahe täglich, die derzeit aktuelle Frage lautet: „Sind Sie dafür, dass der Königsplatz ohne weitere Verzögerungen und ohne Tunnel, aber mit einer verkehrstauglichen Überfahrung in Süd-Nord-Richtung (Achse Adenauer-Allee/ Fuggerstraße) umgebaut wird?“ Haben Sie eine aktuellere Version?

Erben: Das ist das bisherige Ergebnis der Verhandlungen zwischen CSU und SPD. Wir Grüne haben frühzeitig deutlich gemacht, dass wir eine Formulierung über einen interpretierbaren Bypass nicht mittragen werden. Ob das noch mal geändert wird, weiß ich nicht.

DAZ: Haben Sie keine Bedenken wegen der Formulierung, wegen des Verfahrens (B-Plan, Bürgerbeteiligung) und wegen der Standardisierten Bewertung? Spielen Sie mit dem Gedanken, den eventuellen Stadtratsbeschluss zum Ratsbegehren am kommenden Freitag von der Rechtsaufsicht der Regierung von Schwaben überprüfen zu lassen?

Erben: Für uns stellt sich schon die Frage, ob der Bebauungsplan nicht neu ausgelegt werden muss, wenn ein Bypass aufgenommen wird. Im bisherigen Verfahren ist ein Bypass nicht im Vorschlag der Verwaltung beinhaltet. Wir wollen eine klare Auskunft der Stadtregierung, ob eine „verkehrstaugliche Überfahrung“ am Kö mit dem Aufstellungs- und Billigungsbeschluss zum B-Plan 500 und auch mit der bisherigen Wirtschaftlichkeitsberechung vereinbar sind. Rechtliche Schritte werden wir nicht einleiten, weil wir keine Zeit zu verlieren haben.

DAZ: Die „Bypasslösung“ kommt uns eher wie ein raffiniertes Fake vor, oder womöglich wie eine Erfindung aus dem Lehrbuch der Mediation. Noch vor wenigen Wochen wurde der SPD-Bypass von der Stadtregierung wegen einer neu zu schreibenden Standardisierten Bewertung kategorisch abgelehnt. Könnte es nicht so sein, dass der CSU-Vorstand den Bypass einfach mal dazu gemalt hat, um intern in der CSU für Schulterschluss zu sorgen, um ihn dann, nachdem der Kö-Umbau fertig gestellt ist, unaufgeregt sterben zu lassen?

Erben: Er kann auch andersrum ein Fake sein. Man tut so, als sei das nur ein klitzekleiner Zusatz, macht aber doch die Tür auf zu einer richtigen Fahrspur. Der Bypass verwässert den Beschluss zum autofreien Kö. Aber nur mit dem autofreien Kö können die massiven Eingriffe in den Baumbestand am Kö gerechtfertigt werden. Tricksereien werden nicht weiterhelfen. Vor allem die CSU muss endlich wissen, was sie will und was gut ist für die Stadt und zu getroffenen Entscheidungen stehen. Wir bleiben bei unserer Linie und die heißt Verkehrsreduzierung. Wir wollen einen wirklich autofreien Kö. Die Forderung nach einem Bypass gefährdet dieses Ziel, deshalb werden wir dem nicht zustimmen.

DAZ: Die radikale Verkehrsphilosophie der Grünen mit der Leitlinie, dass die Innenstädte überwiegend vom motorisierten Individualverkehr befreit werden müssen, machte es Ihnen aber auch leicht. Falls der Bebauungsplan 500 nicht funktionsfähig sein sollte und es zu Schleichverkehren und Staus kommen sollte, wären Sie vermutlich darüber nicht unglücklich, weil dann viele Autofahrer auf Straßenbahn und Bus umsteigen würden. „Die Leute müssen erzogen werden“: Sehen Sie in der Verkehrspolitik gegebenenfalls diese pädagogische Variante?

"Genau darüber nachdenken, wann und ob das Auto genutzt werden muss"

"Genau darüber nachdenken, wann und ob das Auto genutzt werden muss"


Erben: Unsere Verkehrsphilosophie ist nicht radikal, sondern Mainstream. Die Jury zum Ideenwettbewerb hat dies einstimmig so festgehalten. Wir wissen, dass die Luftverschmutzung in der Innenstadt zu hoch ist und die Bürgerinnen und Bürger ein Recht auf saubere Luft haben und dies auch einklagen können. Die Stadt muss also handeln. Wir fordern deshalb seit Jahren eine Verkehrspolitik, die dem Umweltverbund (ÖPNV, Rad, Fuß) den Vorzug gibt. Übrigens: die Zuschüsse für die Mobilitätsdrehscheibe sind genau an diese Vorgabe gebunden: Ausbau des ÖPNV. Und natürlich muss Politik Vorgaben und Rahmenbedingungen setzen. Wir wollen keinen Stau und keinen Schleichverkehr. Deswegen appellieren wir an jeden und jede, genau darüber nachzudenken, wann und ob das Auto genutzt werden muss. Wir sind der Überzeugung, dass ein attraktives ÖPNV-Angebot die Entscheidung für umweltfreundliche Verkehrsmittel erleichtert.

In der Diskussion werden aber zu oft die unterschlagen, die gar nicht die Wahl haben, weil sie sich kein Auto leisten können oder leisten wollen. So zeigen Untersuchungen, dass immer mehr junge Leute ganz bewusst auf das Auto verzichten. Aufgrund des demographischen Wandels wird z.B. der Anteil älterer Menschen steigen, die nicht mehr Auto fahren können. Diese Personengruppen sind darauf angewiesen, dass der Öffentliche Nahverkehr zu fairen Bedingungen gut funktioniert. Insofern ist eine gute Verkehrspolitik auch gute Sozialpolitik.

DAZ: Sie sehen den jetzigen B-500 also entspannt unter der Prämisse einer „klaren Botschaft“ also: „Alles, was zu weniger Autoverkehr führt ist gut für die Stadt.“ Daran kann man aber zweifeln! Haben Sie keine Angst, dass die Innenstadt dadurch an Attraktivität und möglicherweise auch Aufenthaltsqualität verlieren würde, wenn die Menschen vermehrt mit dem ÖNPV fahren müssten? Wäre das für den Einzelhandel in der Innenstadt nicht eher eine Katastrophe?

Erben: Der Gutachter zum Thema Einzelhandel hat bei den Anhörungen zum B-Plan 500 deutlich gemacht, dass durch den autofreien Kö und z.B. die geplante Fußgängerzone in der Bahnhofstrasse die Innenstadt lebenswerter und auch für den Einzelhandel attraktiver wird. Dies sollten die Einzelhändler aufgreifen und zum Beispiel einen Hol- und Bringservice für die Einkäufe aufbauen. Es muss und es wird in Zukunft „in sein“, mit Rad, Tram oder Regional-S-Bahn in die Stadt zu fahren.

DAZ: Die Stadtwerke unternehmen seit einem Jahr erste Anstrengungen Richtung Elektromobilität. Wie könnten neue Mobilitätsmuster für die Elektromobilität aussehen? Ist Elektromobilität überhaupt eine Lösung, so lange die Energie dafür aus konventionellen Kraftwerken kommt?

Die ideale Stadt gibt es nicht

Erben: Der Ausbau der Elektromobilität ist nur ein Baustein für eine umweltfreundliche Verkehrspolitik. Allerdings muss der Strom aus regenerativen Energien kommen und die Stadtwerke müssen den Anteil daran weiter ausbauen. Und selbst bei 100% regenerativer Energie wäre es keine gute Lösung, wenn benzinbetriebene Fahrzeuge einfach durch elektrobetriebene ersetzt werden. Wir brauchen weniger Individualverkehr, weniger Straßen, mehr autofreie Innenstädte.

DAZ: Herr Erben, stellen Sie sich vor, Sie könnten wie ein Flaschengeist mit den Fingern schnippen und Sie hätten dann aus Ihrer Sicht die ideale Stadt. Wie sähe die aus?

Erben: Ich glaube nicht, dass es eine Idealstadt gibt. Die Stadt muss zu den Menschen passen, die in ihr leben. Es ist also wichtig, dass sich die Menschen einmischen (können) in Stadtplanung und Stadtgestaltung. Grundlage muss sein, was den Menschen für ein gutes Leben wirklich wichtig ist. Politik muss dabei moderieren, die Rahmenbedingungen verdeutlichen (z.B. Klimaschutz, Luftverschmutzung, vorhandene Finanzmittel) und dann auch klare Entscheidungen treffen. Über die Frage sollten Sie ein eigenes Interview führen. Ich kann nur Stichworte nennen, die wir Grüne in die Debatte dazu werfen: Stadt der kurzen Wege, aktive lebenswerte Stadtteilzentren, soziale Mischung der vielkulturellen Stadt, aktive Stadtgesellschaft, Image der Umweltstadt mit Leben füllen.

DAZ: Welche Wahlempfehlung haben Sie denn nun für die Augsburger, die den autofreien Kö wollen? Ist nicht der Kö mit Tunnel „autofreier“ als der CSU/SPD-Kö mit Bypass?

Erben: Den autofreien Kö ohne Verkehrsverlagerung gibt es nur mit einer umweltgerechten und nachvollziehbaren anderen Verkehrspolitik. Dafür stehen wir Grüne.

DAZ: Herr Erben, vielen Dank für das Gespräch.

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Das Interview fand über zeitnahen Mailaustausch statt.

Fragen: Bruno Stubenrauch und Siegfried Zagler