Die Selbstheilungskräfte kafkaesker Gebilde sind limitiert
Warum das Stadtjugendring-Desaster ein Skandal erster Güte ist
Von Siegfried Zagler
Was leistet der Stadtjugendring für die Stadt? Besser gefragt: Welche Probleme löst er für die Stadt? Würde man diese Fragen von Meinhard Motzko beantworten lassen, bestünde die Antwort aus drei Wörtern: „viel zu wenig.“
Für die Beweisführung dieser These muss man nur zwei Zahlen nennen: Die Stadt Augsburg bezuschusst den Stadtjugendring dieses Jahr mit 2.461.340 Euro. Davon werden 2.140.000 für die Vergütung von 43 Arbeitsplätzen verwendet, die – so Stadtrat Rainer Schönberg (FW), „zu 90 Prozent Computerarbeitsplätze sind.“ Der Bayerische Jugendring ist mit seinen unselbständigen Gliederungen im Lauf der Jahrzehnte zu einem merkwürdigen kafkaesken Gebilde mutiert, dessen Sinn und Zweck offenbar nur noch darin besteht, sich selbst zu erhalten, um sich mit sich selbst beschäftigen zu können. Bildungsreferent Hermann Köhler hat wie gewohnt unaufgeregt (und möglicherweise ungewollt) die Relevanz des Stadtjugendrings in einen aufregenden Satz gegossen: „Notfalls könnten die Schulen ihre Projekte mit anderen Partnern weiterbetreiben.“ Ersetzt man das Wörtchen „notfalls“ mit „besser“, dann würde dieser Satz auch für alle anderen Projekte des Stadtjugendrings gelten.
Brandmiller im Feuer
Aktuell steht der Stadtjugendring im Fokus der Kritik, weil er 500.000 Euro Steuergelder versickern ließ. Raphael Brandmiller hat als 1. Vorsitzender dafür die politische Verantwortung übernommen und steht nun im Feuer. Und es sieht nicht so aus, als könnte er sich daraus unbeschädigt „herausreden“. Wäre ihm tatsächlich an rückhaltloser Aufklärung gelegen, hätte er die Untersuchung der Vorgänge nicht nur einem Innenrevisor des Bayerischen Jugendring überlassen, sondern hätte sich sofort laut und unmissverständlich für einen externen Wirtschaftsprüfer eingesetzt. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass der Bayerische Jugendring die letzte Kontrollinstanz der Kassen des Stadtjugendrings ist und somit der Bayerische Jugendring etwas aufklären soll, das er mitzuverantworten hat. Die Selbstheilungskräfte kafkaesker Gebilde sind bekannterweise sehr limitiert. Schließlich hatte der Bayerische Jugendring die letzten 30 Jahre an der Kassenführung und Buchhaltung des Augsburger Stadtjugendringes nichts auszusetzen, was unter Umständen damit zu tun haben könnte, dass sich diese kaum von der Kassenführung und Buchhaltung anderer Stadtjugendring-Gebilde unterscheiden.
Der Stadtjugendring ist von innen heraus beraubt worden
Wäre Raphael Brandmiller an einer rückhaltlosen Aufklärung und an einer Reparatur erster Klasse gelegen, hätte er Selbstanzeige erstattet und der Staatsanwaltschaft die Aufklärung überlassen. Der Stadtjugendring ist beraubt worden, von innen heraus beraubt worden. Das Vertrauen in diese Institution ist nicht nur erschüttert, sondern blitzartig verpufft wie die Steuergelder, die die Stadt dem Stadtjugendring anvertraut hat. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob der Stadtjugendring mit einem Geschäftsführer weiter arbeiten kann, der innerhalb seines Verantwortungsbereiches jahrelang nicht mitbekommen hat, dass mit Steuergeldern fahrlässig umgegangen wurde. Diese Frage sollte man nicht dem Bayerischen Jugendring, sondern dem Stadtrat überlassen. Umso merkwürdiger ist der Umstand, dass sich die Stadt, ohne den Stadtrat mit einzubeziehen naiv und vertrauensselig ans Krankenlager des Stadtjugendrings begibt, um „die Liquidität des Stadtjugendringes zu sichern“, ohne den kompletten Abschlussbericht des Innenrevisors abzuwarten.
Die Grünen in Suizid-Laune
Noch merkwürdiger ist der Umstand, dass die Grünen weiterhin ihre Mitglieder darüber abstimmen lassen, ob Raphael Brandmiller ihr OB-Kandidat werden soll oder nicht. So ist zumindest die aktuelle Beschlusslage laut Vorstandssprecher Matthias Strobel. Der Grüne Gesamtvorstand hat am vergangenen Montag sein Verhalten schwer kritisiert. Brandmiller hat nämlich auch die Grünen Parteifreunde über die Vorgänge im Stadtjugendring nicht informiert. Die Grüne Urabstimmung hätte in dieser Form nie stattgefunden, hätte er den Grünen von dem Desaster, das er abzuarbeiten habe, berichtet. Dennoch wollen die Grünen an dem Abstimmungsprozedere, das unter falschen Voraussetzungen begann, festhalten. Für die Grünen ist das aus zwei Gründen politischer Selbstmord. Erstens machen sie sich als Oppositionspartei bis auf die Knochen unglaubwürdig, wenn sie sich nicht dem katastrophalen Stadtjugendring-Desaster widmen, weil sie einen potentiellen OB-Kandidaten aus ihren Reihen schützen. Zweitens wären sie, falls Brandmiller tatsächlich zum Grünen OB-Kandidaten gewählt werden sollte, mit dieser offenen Flanke im Wahlkampf leichte Beute ihrer Konkurrenz. Gemeint sind damit Schafitel, Effenberger, Grab, Süßmair und die ÖDP. Die SPD wird sich in Sachen Stadtjugendring ebenfalls still verhalten, weil Stadtjugendring-Geschäftsführer Helmut Jesske SPD-Mitglied ist und für den Bayerischen Landtag kandidiert. Die Grünen würden mit einem dergestalt belasteten Raphael Brandmiller als OB-Kandidaten genau dort ankommen, wo der Niedergang einer Partei beginnt.
Raphael Brandmiller ist für die Augsburger Grünen zu einer schweren Belastung geworden. Dies ist aus allen Ecken der Partei zu hören. Ob Brandmiller von sich aus die Konsequenzen zieht und seine Grüne OB-Kandidatur zurückzieht, gehört neben der Überlegung, ob (besser: wann) sich die Staatsanwaltschaft um das Stadtjugendring-Desaster kümmern wird, zu den spannenden Fragen dieser Tage.