Schule der Agitation: Von Tornados, Theatern und Toiletten
Das “Bildungsbündnis Augsburg” hat eine Plakat-Aktion zur Bildungspolitik in Augsburg gestartet. Die Motive sind an Großplakatflächen bei den Bahnunterführungen in der Schertlinstraße und der Morellstraße zu sehen. Ein Motiv wirbt für eine engagierte Bildungspolitik mit Blick auf zuwandernde Flüchtlinge, ein anderes für einen menschenfreundlichen Unterricht und ein Motiv für die Sanierung maroder Schulgebäude in Augsburg
Kommentar von Siegfried Zagler
Agitation mit den Mitteln der Kunst richtet sich im Normalfall gegen die herrschenden Verhältnisse. Offenbar wollen die Inititiatoren darauf aufmerksam machen, dass ihnen die Schulsanierung trotz oder wegen der dafür bereitgestellten hohen Millionenbeträge zu langsam über die Bühne geht. Erstaunlicherweise wurde in den vergangenen 25 Jahren in Deutschland nicht nur viel zu wenig in den Bauunterhalt der Schulen und Theater investiert, sondern auch in jenen Komplex, der in den Zeiten des Kalten Krieges noch mit der letzten D-Mark hochpoliert wurde. Die Rede ist von der Bundeswehr, deren Ausstattung ebenfalls zu einem Sanierungsfall geworden ist. Man mag sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, müsste die Bundeswehr unser Land tatsächlich verteidigen. Möglicherweise befinden sich sogar die Toiletten in den Kasernen in einem ähnlich heruntergekommenen Zustand wie die Luftkampfmaschinen, die immer noch “Tornado” heißen. Eine Toilette, die stinkt, lässt sich mit Agitprop ebenso wenig kaschieren wie ein Kampfflugzeug, das nicht fliegt. Sind die herrschenden Verhältnisse auf den Hund gekommen, hilft nur eins: Geld. Ein städtisches Theater aber, das aus brandschutzrechtlichen Gründen vor der Schließung steht, braucht nach Auffasssung der Stadt neben den finanziellen Mitteln auch eine Rechtfertigung dieser Investitionen. Das hört sich dann so an:
“Es besteht erheblicher Sanierungsbedarf, ohne den es für das Große Haus nicht weiter gehen würde. Argumente für die Sanierung des Theaters gibt es viele: Zum einen gilt das Theater als kulturtouristisches Zentrum für Besucher und Bürger, zum anderen sorgt es dafür, dass sich innovative und wissensintensive Branchen mit hochqualifizierten Fachkräften ansiedeln. Kurz: Die Entscheidung für ein Stadttheater steht für die kulturelle und wirtschaftliche Weiterentwicklung der Stadt Augsburg. Auch wäre eine Absage an eine Sanierung ähnlich teuer wie die Sanierung selbst, da die Stadt verpflichtet ist das Theater als Einzeldenkmal zu erhalten. Das ist gesetzlich vorgeschrieben.”
Das Theater als “kulturtouristisches Zentrum” sorgt also dafür, dass sich “innovative und wissensintensive Branchen” in Augsburg ansiedeln. Das ist eine absurde Behauptung, die nicht wesentlich über den Status des Agitprop hinausgeht. Man könnte auch sagen, dass es sich um eine Schutzbehauptung handelt, um “exorbitante Verschwendung” mit dem Anstrich einer “notwendigen 200-Millionen-Euro-Investition” zu versehen. Hat sich Audi in Ingolstadt angesiedelt, weil es dort so eine tolle Oper gibt? Oder produziert VW in Wolfsburg, weil sich das innovative Manipulationsmanagement von dem weltberühmten Wolfsburger Schauspielhaus angezogen fühlte? Hat sich BMW seinerzeit für Leipzig (und somit gegen Augsburg) entschieden, weil die Leipziger Theaterlandschaft der Augsburger um Längen voraus war? Gelingt es der Augsburger Wirtschaftsreferentin “ihren” dahinsiechenden Innovationspark mit zukunftsträchtigen Firmen zu füllen, wenn die Theatersanierung in trockenen Tüchern ist?
Die aktuelle Stadtregierung kämpft aufgrund ihres Theater-Sanierungsvorhabens offenbar vorauseilend mit den Mitteln der Auto-Suggestion gegen einen unsichtbaren Feind in ihren eigenen Reihen. Ein Feind, der sie nachts als Albtraum aufsucht und ihr am helllichten Tag unerwartet und schmerzvoll am Fersenbein knabbert: Vernunft.
Vor ihrem Agitprop-Meisterwerk sieht man die Schüler Melisa Simsekci, Paul Häberle und Max Maus (v.l.n.r).