“Die Reise mit Vater” im Liliom: Die 68er aus zwei Perspektiven
Ein preisgekrönter Spielfilm der in Dachau lebenden Regisseurin Anca Miruna Lazarescu läuft derzeit im Liliom. Regiegespräch am Sonntag, 27.11. nach der Vorführung um 19 Uhr
Von Halrun Reinholz
Eine Familie aus Rumänien reist im Sommer 1968 ins sozialistische Bruderland DDR. Unterwegs begegnen sie den Panzern, die in die Tschechoslowakei einrollen, als sich dort junge Leute den „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ erstreiten wollten. Die Familie gerät, mit vielen anderen Touristen, in den Strudel der Zeitgeschichte und lernt in dem 68er-bewegten Westdeutschland auch die andere Perspektive auf den „sozialistischen“ Kampf gegen den Kapitalismus kennen.
Das ist, in Kurzfassung, der Hintergrund des bewegenden, unglaublich komischen aber letztlich auch tragischen Films der jungen Regisseurin Anca Miruna Lazarescu, die als Kind mit ihren Eltern aus Rumänien nach Deutschland kam. Die Folie für den Stoff lieferte die Geschichte ihres eigenen Vaters, der als Jugendlicher mit seinen Eltern genau diese Situation erlebt hatte. Dass hier politischer Zündstoff der jüngeren Zeitgeschichte liegt, war ihr klar. Mit guter Recherchearbeit ging sie daran, die Ereignisse weiter zu fassen. Sie gibt der Familie im Film einen rumäniendeutschen Hintergrund und arbeitet auch die Position der westdeutschen „1968er“ mit ein, was bei einer Begegnung zu einem Kulturschock auf beiden Seiten führt. Doch bei aller Schilderung der politischen Begleitumstände geht es um das Lebensgefühl von jungen Leuten, die auf die Zeitphänomene reagieren und sie gestalten wollen. Wiegt Repression mehr als Heimatverbundenheit? Halten die Werte der Realität stand? Und natürlich gibt es Verstrickungen durch Gefühle.
Eine wichtige Rolle spielt auch die Musik – gerade in Zeiten der Diktatur und Normierung Vehikel der Rebellion. Als die in Prag (!) gekaufte Beatles-LP von den DDR-Grenzern konfisziert werden soll, rechtfertigt sich der junge Beatles-Fan: „Das ist eine sozialistische Gruppe, sie singen von Erdbeerfeldern. Für mich singen sie von einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft.“ Entsprechend aussagekräftig ist auch die Filmmusik, die beiden Brüder haben eine Gitarre dabei und geben auch in der Münchner Kommune Lieder zum besten, etwa „Kalinka Maja“ mit einem subversiv-antistalinistischen rumänischen Text.
Diese detailreiche und sehr menschliche Gegenüberstellung ohne Polarisierung und erst recht ohne erhobenen Zeigefinger macht den Film auch für die sehenswert, die nur eine abstrakte Vorstellung von den damaligen Ereignissen haben. Der Film zeigt, wie junge Leute mit Idealismus, Enthusiasmus, aber auch Naivität, nach neuen Wegen aus verkrusteten Verhältnissen suchen. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Und deren Lebensgefühl war hüben und drüben gar nicht so verschieden.
Am Sonntag, 27.11.2016 wird Regisseurin Anca Miruna Lazarescu der Vorführung um 19 Uhr im Liliom beiwohnen und sich danach dem Gespräch mit dem Publikum stellen.