„Die Option der Freiheit“ – 1000-Töne-Organisator Hansi Ruile im DAZ-Gespräch
Am vergangenen Wochenende startete das diesjährige „Festival der 1000 Töne“ – wie immer am symbolträchtigen Ort, in der Augsburger Synagoge. Am kommenden Freitag, 6. November, geht’s weiter mit einer Veranstaltung, die der Veranstaltungsflyer zurecht als „musikalische Sensation“ bezeichnet: Im Goldenen Saal des Rathauses spielt das „Ensemble Sarband“. Im Vorfeld sprach DAZ-Redakteur Frank Heindl mit „1000 Töne“-Veranstalter Hansi Ruile über Interkulturalität in Augsburg.
DAZ: Herr Ruile, was hat jemand wie der niederbayrische Kabarettist Sigi Zimmerschied im Programm des 1000-Töne-Festivals zu suchen?
Ruile: Unser Thema kreist auch um den Heimatbegriff, und der ändert sich durch Zuwanderung enorm. Wir wollen uns dem Begriff Heimat nähern, ohne an einem Konstrukt zu arbeiten, ohne an einer Ideologie zu hängen. Und da gehört jemand wie der Sigi Zimmerschied dazu. Das Festival will sich einlassen auf die komplexe Kakophonie der modernen Großstadt – da können auch Fragen wie Homosexualität oder andere Formen von Differenzen auftauchen.
DAZ: Birgt eine so weitgehende Definition nicht die Gefahr, dass alles und nichts gemeint ist?
Ruile: Sie haben recht: Eigentlich müsste die Tendenz sein, dass man irgendwann gar kein besonderes Festival mehr macht, sondern einfach sagt, Leute, so ist die Kunstwirklichkeit und wir bündeln euch das jetzt in einem kurzen Zeitraum und dann seht ihr, was Normalität geworden ist. Das Problem ist nur: Das wird in unserer Gesellschaft noch nicht als Normalität gesehen. Das Festival soll um Himmels Willen nicht kulturelle Differenzen im Sinn konventioneller Folklore zeigen. Deshalb legen wir den Kulturbegriff sehr breit an, und deshalb gibt’s die unter Umständen berechtigte Kritik der Beliebigkeit. Aber die kulturellen Ausdrucksformen in unserer Gesellschaft sind durch eine unglaubliche Diversität gekennzeichnet, es gibt wahnsinnig viele Kulturen, die in ihrer Rezeption sowohl kulturpolitisch als auch soziokulturell weit im Abseits stehen, gleichzeitig aber intensiv gelebt werden. Da geht’s um Öffnungen, die wir dringend brauchen in der pluralen Gesellschaft.
DAZ: Die Tendenz der kulturellen Öffnung gibt’s ja mittlerweile – zumindest spartenweise – auch in der „offiziellen“ Kultur. Die gegenläufige Tendenz aber auch – diese Nischenbildungen, die ethnisch orientierten Jugendkulturen und die von außen mit ethnischen Zuweisungen definierten Nischen wie „Türkengang“, „Russendisco“ usw. Kann Ihr Festival in solche Randgruppenkulturen reinwirken?
Ruile: Mit Sicherheit nicht von heute auf morgen. Ich denke, es geht um kurze Blitzlichter in die Nischen und in die hegemonialen Strukturen der Gesellschaft hinein, damit dort erst mal wahrgenommen wird, dass es solche Nischen gibt. Die Entgrenzung und Öffnung der Gesellschaft ist ein sehr langwieriger Prozess. Aber wir kommen nicht drum herum, daran zu arbeiten, denn nur so verstehen wir, was in unserer Gesellschaft los ist. Wir müssen zunächst mal akzeptieren, dass die moderne Gesellschaft fragmentiert ist – das muss nicht unbedingt schlecht sein, wenn wir ein paar gemeinsame Nenner haben. Es gibt auch gar keine andere Option, ist wüsste nicht, wie man’s sonst machen sollte.
DAZ: Wie justiert sich so ein Festival denn aus überregionaler oder gar nationaler Sicht? Woher bekommen Sie Anregungen und Feedback?
Ruile: Ich habe schon immer den bundesweiten Diskurs gesucht. Im Bereich interkultureller Kultur waren wir ja in Deutschland mit die ersten, die in den späten 80ern und frühen 90ern angefangen haben, an diesem Thema zu arbeiten. Daraus ist eine deutschlandweite Vernetzung entstanden. Wir haben mittlerweile eine ganze Reihe von Tagungen und Projekten gemacht, in die auch Akteure aus anderen Städten und anderen Bundesländern eingebunden waren. Und wir haben das nicht nur in einem theoretischen Zusammenhang gemacht, sondern immer um das „Rap für Peace“-Projekt herum. Auch da ging’s immer um das Verhältnis von Jugendkultur und Globalisierung, um die Verbindung zwischen konventionellem Kulturbetrieb und Jugendhilfe, und immer vor dem Hintergrund des dynamischen demographischen Wandels.
DAZ: Auch diese Diskussion findet ja Platz im „Festival der 1000 Töne“.
Ruile: Ja, wir machen am 27./28. November eine national ausgerichtete Tagung zum Thema „Kunst und Kultur, Migration, Diversity und neuer Kosmopolitismus“, und da geht’s um den notwendigen Perspektivenwechsel in der Kulturpolitik, um die Öffnung der Kultureinrichtungen. Die wichtigsten Vertreter des theoretischen Diskurses kommen nach Augsburg und auch die engagiertesten Kulturamtsleiter.
DAZ: Wirkt das denn in die Stadt rein?
Ruile: Ich erhoffe mir schon sehr, dass die Akteure der Augsburger Kultur- und Kunstszene engagiert an der Tagung teilnehmen. Wir sind in Augsburg aber auch schon auf dem Weg: Bei „Rap for Peace“ zum Beispiel ergibt sich langsam eine strukturelle Kooperation zwischen dem Theater und dem Stadtjugendring. Und das sind ja die einzigen Lösungsmöglichkeiten, die wir haben in so einer komplexen Gesellschaft: Allianzen zwischen Bildung, Kultur und Sozialem.
Auch das Projekt von Generalmusikdirektor Dirk Kaftan ist aus den Aktivitäten hier entstanden: Er macht am 7. und 8. Dezember das Symphoniekonzert „Träume des Orients“. Das ist einerseits der Versuch, beim deutschen Publikum mal mit solchen Themen anzuklopfen, und andererseits auch ein Zeichen an die Teile der Stadtbevölkerung, die bislang nicht unbedingt die konventionellen, deutsch gestimmten Kultureinrichtungen besuchen. Das sind moderne Ansätze einer Integrationspolitik, die die Zuwanderer nicht immer nur als Analphabeten wahrnimmt.
DAZ: Gerade ist eine Reihe mit Neuer Musik angelaufen, das Theater geht raus an neue Spielorte, die Musiker auch – kommt da eine Welle in Richtung Anerkennung veränderter kultureller Gepflogenheiten?
Ruile: Die verantwortlichen Akteure sehen ja selbst, dass in ihren Veranstaltungen nur noch Leute mit grauen Haaren sitzen. Die wollen natürlich ihre eigene Struktur retten, und da ist es allerhöchste Zeit. Ich finde es wahnsinnig gut, dass das Theater mit „web und walk“ rausgeht, dass man sich hier auch in Bezug auf die jüngste Geschichte der Stadt kulturpolitisch-künstlerisch positioniert. Ich denke, dass man da weitermachen muss. Wir müssen auch den Menschen, die hier als Immigranten angekommen sind, unsere Anerkennung ausdrücken. Das kann man mit solchen Projekten machen, das kann man auch mit dem „Festival der 1000 Töne“ machen, aber das macht nur Sinn, wenn es Teil der bestehenden Kulturinstitutionen wird. Es geht darum, einen Prozess in Gang zu setzen. Und auch da kommt langsam Bewegung in die Stadt.
DAZ: Sehr langsam, ja!
Ruile: Entgrenzung ist ein mühseliger Prozess und ich kann meine Ungeduld oft nicht kontrollieren, solange ich merke, dass wir riesige Verluste haben, dass wir quasi die dritte Generation von Kindern verlieren, bei denen das im Bildungsbereich nicht klappt. Das können wir uns doch alles überhaupt nicht leisten!
DAZ: Oft sind die mickerigen Ergebnisse ja dann auch noch wenig nachhaltig.
Ruile: Man muss am Ball bleiben. Es ist ganz wichtig zu sagen: Wir machen keine temporären, additiven Projekte. Projekte wie „Rap for peace“ müssen Bestandteil der konventionellen Kultur- und Kunstarbeit werden. Und dann tauchen all die Fragen auf: Wie kann man das kommunizieren in der Gesellschaft, wie nehmen wir die Migranten mit …
DAZ: … und wie institutionalisieren wir das?
Ruile: Genau das sind die schwierigen Fragen, und das kann man nicht so „zackzack“ machen wie jetzt bei ku.spo, denn dann scheitert das sofort, da kommen sofort und zu Recht kritische Fragen.
DAZ: Und man gerät in die Zange zwischen den Leuten, die so was noch nie wollten und konkreten Erwartungen, die man auch nicht erfüllen kann.
Ruile: Das Ganze ist eine Suchbewegung, die wir organisiert, strukturiert machen müssen – aber so weit sind wir eigentlich noch nicht. Ich will unsere Arbeit nicht als ein additives Element, das man bei der nächsten Finanzkrise wieder wegzieht.
DAZ: Wie viel Zeit geben Sie dem Prozess?
Ruile: Wandel tritt immer ein, wenn die Bedrohung zunimmt.
DAZ: … ein sehr zweischneidiges Argument!
Ruile: Ich liebe dieses Argument gar nicht – ich hatte schon an der Uni riesige Konflikte mit denen, die gesagt haben, lasst doch den Karren erstmal so richtig in den Dreck fahren, dann passiert schon was. Deshalb kämpfe ich auf diesem Posten, weil mir das rechtzeitige Nachdenken unerlässlich erscheint. Ich bin da ein bisschen ein Anhänger von Axel Honneth …
DAZ: … dem Sozialphilosophen und Habermas-Schüler …
Ruile: … es geht bei ihm um Anerkennung: Alle Menschen, alle Gruppen brauchen Anerkennung, und dann läuft der Laden. Nichtanerkennung dagegen empfindet man als Missachtung. Ich hoffe, dass wir Strukturen finden, um Anerkennungsprozesse zu initiieren, und da arbeitet die Stadt ja auch dran. Ich bin da nicht so pessimistisch. Heterogenität und Diversität sind eigentlich die wahren Motoren von Demokratie und Pluralismus. Wenn man zu Adenauers Zeiten gesagt hätte, es würde mal eine Bundeskanzlerin geben und einen Außenminister mit einer gewissen sexuellen Präferenz, dann wäre wahrscheinlich der Staatsanwalt eingeschaltet worden. Diesem Wandel muss man sich stellen. Das ist manchmal sehr schwierig, aber das ist die Option Freiheit. Das sieht man auch bei unseren Konzerten, die auf einem sehr hohen intellektuellen Niveau zu vermitteln versuchen, was Differenz durch Kultur und Region eigentlich bedeutet.
DAZ: Herr Ruile, vielen Dank für das Gespräch.