„Die Oper ist kein Museum“
Intendantin Juliane Votteler sprach an der Universität
Von Frank Heindl
Ein „Werkstattbericht“ war angekündigt gewesen, es wurde aber auch ein Einblick in Juliane Vottelers Sicht auf die Aufgaben des modernen Theaters. Die Augsburger Intendantin gab Auskunft als Gast einer Vorlesung von Professor Mathias Mayer vom Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft unter dem Titel „Literatur, Oper und Erkenntnis.“
Wie kommt ein Opernspielplan zustande? Diese Frage zu klären hatte sich Votteler vorgenommen. Doch so trocken, wie sich das Thema anhört, kann die Intendantin wohl gar nicht reden. Wissenschaftlich inspiriert zwar, aber in freier Rede und mit einer Fülle von Beispielen und Assoziationen erzählte sie von ihren Aufgaben als Intendantin mit einem großen Faible für die Oper. Dass Juliane Votteler auch Philosophie studiert hat und einen beträchtlichen intellektuellen Hintergrund mitbringt, wurde schnell deutlich. Mit diesem Hintergrund geriet der rund einstündige Vortrag zu einem spannenden Einblick in den Alltag der Opernintendanz. Doch Marketingaspekte (am liebsten kommen die Leute im November und Dezember ins Theater) und Finanzierungsprobleme (Wagners „Tristan“ ist allein schon wegen seiner Länge kostspielig: Das Orchester bekommt „Doppeldienste“, außerdem reicht das 13-köpfige Augsburger Sängerensemble nicht aus, sodass Gäste bezahlt werden müssen) sind zwar interessant – spannender waren Vottelers Auskünfte zur zentralen Frage, wer eine Oper inszenieren soll, sprich: nach welchen Kriterien der Regisseur ausgewählt wird.
„Originalgetreu“ geht nicht
Brennpunkt der Diskussion ist dabei (und in dieser Richtung stellte auch das Uni-Publikum seine Fragen), ob Opern „originalgetreu“ wiedergegeben werden sollen oder der Regisseur alle Freiheiten hat. Wer die derzeitige Augsburger Figaro-Inszenierung gesehen hat, kann sich schon denken, dass Votteler keine Freundin allzu konservativ-zurückhaltender Herangehensweise ist. Das Theater habe qua Grundgesetz einen Bildungsauftrag, betont sie und leitet daraus eine gesellschaftspolitische Verpflichtung ab: Sie definiert Theater als „Institution, die Meinung bildet“ – und zwar, indem sie Interpretationen zur Diskussion stellt, deren Gültigkeit daran überprüft werde, „ob wir Sie überzeugen können.“
Dem Begriff der Originaltreue kann die Intendantin in diesem Zusammenhang nichts abgewinnen – die Oper sei schließlich „kein Museum.“ Wer wisse denn, fragt sie, wie Mozart seine Opern inszeniert haben wollte? In der Tat ist man da auf Vermutungen angewiesen, überliefert ist außer Partitur und Libretto so gut wie nichts – für die „Originalinszenierung“ gibt es keine Belege. Unbestritten ist ohnehin, dass selten je ein Komponist damit einverstanden war, was auf der Bühne aus seinem Werk wurde. Das Wichtigste an einer Oper wie dem Figaro aber, macht Votteler klar, ist die Tatsache, dass sie überhaupt überliefert wurde. Denn der allergrößte Teil der Opernliteratur der letzten Jahrhunderte ist verloren – in früheren Zeiten wurde nur das Allerwenigste notiert oder in Partituren festgehalten. Den Lauf der Zeiten hat daher nur überstanden, was die Gemüter erregte, Werke, „die etwas neu gemacht haben.“
200 Opern bilden den „Kanon“
Wie eben beispielsweise der „Figaro“: Mozart stellte nicht, wie zu seiner Zeit üblich, adelige Handlungsträger in den Mittelpunkt seiner Geschichte, sondern das Gesinde – und sein Graf erhält nicht einmal eine Auftrittsarie. Diese inhaltliche Revolution, gepaart mit völlig neuen musikalischen Mitteln, beförderte „Le nozze di Figaro“ in jenen „Kanon“ der europäischen Opern, der gerade mal rund 200 Werke umfasst, die landauf, landab in permanentem Reigen aufgeführt werden.
Den „Zwang zur Originalität“ leitet Votteler auch aus diesem Konkurrenzdruck ab: Wer den „Figaro“ in den Spielplan aufnimmt, muss dem Publikum Neues bieten. Doch das ist nur ein Nebenaspekt. Einleuchtender ist Vottelers Plädoyer für eine Regie, die jede Oper auf die Frage hin überprüft: „Was kann uns ein Stück heute erzählen?“ Um fühlbar zu machen, warum der „Figaro“ 1786 ein Skandal war und nach nur zwei Aufführungen vom Spielplan genommen wurde, genügt es nun einmal nicht, ihn wie „originalgetreu“ auch immer aufzuführen – dafür muss die Inszenierung ihn schon in heutige Verhältnisse überführen, ihn mit heutigen Maßstäben erfahrbar machen. So, und nur so, sagt Votteler, werde dann auch wieder hörbar, was Mozart komponiert hat. „Erkenntnis wächst aus der Reibung am Werk“, und diese Reibung sei verloren gegangen, wenn man „klassische Musik“ bei der Hausarbeit höre: „Beethoven hätte sich umgebracht, wenn er wüsste, dass wir zu seinen Sinfonien bügeln!“
Dass diese Haltung in ihren Augen keine blinde Neuerungssucht rechtfertigen kann, machte Votteler ebenso deutlich. Am wichtigsten für die Annäherung des Regisseurs sei zunächst „eine große Hochachtung vor dem Werk“, sagt sie. Nur dürfe diese nicht in „starre Ehrfurcht“ umschlagen.