Die offene Gesellschaft und ihre Feinde
Kommentar von Siegfried Zagler
Die Demonstration von 27 Neonazis am vergangenen Samstag in der Augsburger Fußgängerzone war ein Vorgang, den eine offene Stadtgesellschaft ertragen muss. Wäre dies nicht so, würde eine offene Gesellschaft im Umgang mit ihren Feinden ihrer demokratischen Überzeugung untreu. Demonstrationen müssen nicht genehmigt werden, sondern nur angemeldet werden. Der Gesetzgeber hängt das Recht der Versammlungsfreiheit sehr hoch – das gilt auch für Neonazis, wie die Entscheidungspraxis der zuständigen Verwaltungsgerichte zeigt. Die juristische Praxis in Sachen rechtsradikaler Demonstrationen lehrt, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit höher hängt als das berechtige Interesse der Kommunen, rechtsradikale Aufmärsche auf der Behördenebene zu vereiteln. Aus diesem Grund ist es in Deutschland zur guten Sitte geworden, dass Kommunen gegen rechte Aufmärsche in Zusammenarbeit mit demokratischen Bündnissen und mit hohen Teilnehmer-Zahlen in Form von Gegendemonstrationen Flagge zeigen. Darauf darf man stolz sein, zumal wir in Deutschland mit unserer Geschichte einem sehr intensiven NO-GO in Sachen Neonazi-Gruppierungen verpflichtet sind. Dennoch muss man in aller Gelassenheit festhalten, dass das aktuelle Geifern der Opposition in Richtung Ordnungsreferent Volker Ullrich weit über das Ziel hinaus schießt.
Ullrich hat sich für die Sicherheit entschieden
Die halbstündige Nazi-Demo war kaum vorbei, als die Augsburger Grünen Ullrich in einem Offenen Brief die richtigen Fragen stellten. Ullrich hat die Fragen beantwortet und dabei zum Ausdruck gebracht, dass er kaum eine andere Wahl hatte, als die von Roland Wuttke angemeldete Demo anders abzuwickeln. Ullrich hätte erst am Freitagnachmittag an die Öffentlichkeit gehen können, und es wäre nur unter größten Schwierigkeiten möglich gewesen, die für eine Demo-Gegendemo-Situation notwendigen Sicherheitsvorkehrungen herzustellen. Kurzum: Ein konservativer Ordnungsreferent hat sich in einer schwierigen Situation für die Sicherheit und somit gegen das ritualisierte Prozedere einer Gegendemonstration entschieden. Der rechtsstaatliche Umgang einer offenen Gesellschaft mit ihren Feinden ist ein wesentliches Merkmal dafür, ob eine Gesellschaft tatsächlich offen ist. Eine kategorische Festlegung darauf, wie die Feinde einer offenen Gesellschaft zu behandeln sind, läuft den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit zuwider.
Die Augsburger Innenstadt wurde geistig verschmutzt
Sobald Nazis ihre menschenfeindliche Parolen verbreiten, sollte man nicht achselzuckend zuschauen, sondern aktiv dagegen steuern. Das ist eine richtige Haltung. Nur eins sollte man hinzufügen: Die ritualisierten Nazi-Bashing-Spektakel sind keine Kindergeburtstage, sondern hochbrisante Vorgänge, die in der Vergangenheit nicht selten zu Gewaltexzessen führten. Womit gesagt sein soll, dass der demokratische Habitus auf öffentliche Empörung und Verachtung vor Ort, nicht als höchstes Prinzip einer offenen Gesellschaft zu betrachten ist, sondern die Fortsetzung der Rechtsstaatlichkeit. Dazu gehört zum Beispiel, neben dem angemessenen Umgang mit den Feinden des Rechtsstaates, auch die Sicherstellung von Ordnung, die Sicherheit von Leib und Leben. Mal abgesehen davon, dass die Parolen der bedauernswerten Gestalten die Augsburger Innenstadt geistig verschmutzten, wurde die Demo am Samstagnachmittag trotz belebter Innenstadt und Karneval der Welten geräuschlos abgewickelt. Die Polizei meldete keine besonderen Vorkommnisse und keinen besonderen Aufmerksamkeitspegel. Bravo!
Systemische Verachtungs-Rituale beinhalten eine antidemokratische Dogmatik
Für die SPD und die Linken gilt das nicht. Ihr reflexartiges Bombardement Richtung Ullrich ist nicht ernstzunehmen und bestenfalls traditionsbewusste Schaumschlägerei. Von „Totschweigen“, „Wegschauen“ und „Verheimlichen“ sollte man dann reden, wenn das tatsächlich und methodisch geschieht. Ullrich, der seinerzeit u.a. auch deshalb ums Haar aus der CSU-Fraktion geflogen wäre, weil er dem damaligen Ordnungsreferenten Böhm unterstellte, sich beim juristischen Verbots-Bemühen um einen Nazi-Aufmarsch zu wenig ins Zeug gelegt zu haben, hat in großer Not eine Entscheidung getroffen, die sich an diesem Tag in dieser Situation als richtig herausgestellt hat.
Es ist dem Ordnungsreferent und der Polizei zu wünschen, dies heute im Stadtrat auch darstellen zu können. Den Stadträten Karl-Heinz Schneider (SPD), Alexander Süßmair und Benjamin Clamroth (beide Linke) muss man attestieren, dass sie mit ihren Angriffen Richtung Ordnungsreferent ein Verachtungs-Ritual im öffentlichen Raum als System einfordern und mit dieser Dogmatik ihren eigenen demokratischen Ansprüchen nicht gerecht werden.