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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Die längste Filmrolle der Welt

77 Stunden lang Brecht nonstop im Thalia

Von Frank Heindl



Schon am Donnerstagabend ging’s los – aber es dauert noch lange: Die Organisatoren des Brechtfestivals haben mit den Betreibern des Augsburger Filmbüros und des Thalia-Kinos die „längste Filmrolle der Welt zu einem Autor“ zusammengestellt. Es geht nonstop weiter bis Sonntag gegen 23 Uhr! Hier die Highlights, den Rest des Programms gibt’s auf der „Lechflimmern“-Website zum Nachlesen und Downloaden:

  • „Sein oder Nichtsein“. Der Ernst-Lubitsch-Klassiker von 1943 ist eine herrliche Verwechslungssatire, die die Nazis alt aussehen lässt. Wie man sich über dumme Deutsche lustig macht und trotzdem den Ernst der Sache nicht aus den Augen verliert – das hat ähnlich kunstvoll nur noch Chaplin im „Großen Diktator“ geschafft. Zum vollends Durchmachen geeignet, aber auch als Wachmacher vor dem Frühstück: Am Freitagfrüh um 6 Uhr 30.
  • „Bi und Bidi in Augsburg“ – der Dokumentarfilm von Heinrich Breloer lief schon mal im Rahmen des Brechtfestes und wurde in der DAZ hier schon besprochen. Mit einer Einführung von Jan Knopf am Freitag um 20 Uhr.
  • „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ in der 1955er Verfilmung des Brasilianers Alberto Cavalcanti. Schön, wie in dieser Kinoverfilmung Puntila delirierend durch die finnische Landschaft fährt, merkwürdig, was Cavalcanti alles an Brechts Plot verändert hat: Die Heilsarmee warnt vor den üblen Folgen des Alkohols für die Leber – da braucht Puntila gleich zehn Cognacs auf einmal. Eine Liebesgeschichte zwischen Matti und Fina wird deutlich herausgearbeitet und manifestiert so eine zusätzliche Eifersuchtskiste zwischen Eva und Fina. Die Verlobten kommen im grünen Postbus aufs Puntila-Gut gefahren, der Alkohol wird, bevor er dann doch nicht vernichtet wird, auf dem ganzen Hof zusammengesammelt, Misthaufen inklusive. Und auch die Ästhetik der 50er-Jahre hält Einzug: Wenn sie Herrin auf Puntila würde, verkündet eine der „Verlobten“ kämen ins Wohnzimmer erst mal „Clubsessel hinein“. Das ist der letzte für Freitag, er beginnt um 22 Uhr.
  • Am Samstag um 0 Uhr geht’s weiter: In den „Mysterien eines Frisiersalons“, einer Kooperation von Brecht und Karl Valentin, kann man noch einmal erleben, wie der Münchner Komiker einem Kunden im Frisierladen versehentlich den Kopf abschneidet. Makaber und trotzdem lustig!
  • „Leoparden“ küsst man nicht, die legendäre Screwball-Komödie von Howard Hawks läuft am Samstag früh um 3 Uhr. Cary Grant in einer Paraderolle, Katherine Hepburn sabotiert seine Hochzeit, ein gefährlicher Leopard wird befreit, und nicht enden wollende Verwicklungen am laufenden Band! 1938 hat Hawks diesen Geniestreich gedreht – immer noch hinreißend!
  • Um 5 Uhr früh gibt’s die „Fahrraddiebe von Vittorio de Sica. 2001 hat Xiaoshuai Wang mit „Bejing Bicyle“ ein Remake des Films von 1948 gedreht – hier ist das Original, das die harte Realität im Nachkriegsitalien zeigt: Wer ehrliche Arbeit sucht, muss erst mal stehlen, um an ein Verkehrsmittel zu kommen.
  • Von „Raritäten“ wird oft gesprochen – hier ist eine echte: Volker Schlöndorff hat 1970 fürs Fernsehen Brechts „Baal“ verfilmt, mit dem wunderbaren Rainer Werner Fassbinder in der Hauptrolle. Brechts Erben haben den Film sofort nach der Erstaufführung aus dem Verkehr gezogen – nun ist er wieder da, Festivalleiter Joachim Lang hat ihn ausgegraben. „Muss ich euer Geschwätz mit fressen, weil ich mir den Bauch vollschlagen will?“, fragt Fassbinder/Baal – muss also der Künstler sich anpassen, um von seiner Kunst zu leben? Dieses Kleinod zeigt das Thalia am Samstag „zur Besten Sendezeit“ um 20 Uhr.
  • Der Sonntag beginnt fröhlich und antifaschistisch: Charlie Chaplins „Großer Diktator“ darf mit seinem „Sauerkraut“-Gefasel mal wieder Lachstürme auslösen. 1940 hat Chaplin die Geschichte des jüdischen Friseurs verfilmt, der dem GröFaz zu ähnlich sieht. Ein Muss für Cineasten.
  • Um 6 Uhr gibt’s einen Woody Allen von 1991: „Schatten und Nebel“ ist mit Musik von Brechts Hauskomponisten Kurt Weill angereichert und also sehens- und hörenswert.
  • Um 11.30 präsentiert Festivalleiter Joachim Lang einen eigenen Film: „Die Kunst zu leben“ von 1990. Lang will weniger bekannte Seiten aus Brechts Leben und seinem Werk darstellen.
  • Am Sonntag um 16 Uhr folgt ein Film von Jan Schütte: „Abschied – Brechts letzter Sommer“, in dem Josef Bierbichler Brecht spielt, Monica Bleibtreu stellt die Schauspielerin Helene Weigel dar.
  • Der letzte Film der längsten Filmrolle beginnt am Sonntag um 21 Uhr: Jürgen Flimm hat 1975 „Turandot oder der Kongress der Weisswäscher“ gedreht – ein Stück, das Brecht als Fragment hinterlassen hat. Eine Brechttypische Parabel auf den Kapitalismus: In China verfällt der Baumwollpreis, der Kaiser lässt daher Baumwolle vernichten. Und beauftragt seine Intelektuellen, Gründe dafür zu erlügen. Der Film dauert 95 Minuten – wer nun immer noch nicht müde ist, hat noch Zeit für ein Bierchen im Thalia-Café.