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Freitag, 16.08.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Die Krise der Grünen ist dramatisch

Fällt derzeit in der politischen Stadt die Rede auf die Augsburger Grünen, sind drei Attribute zu hören: zerrissen, gespalten und führungslos. Das mag zwar zutreffen, verschleiert aber das Schlimmste, nämlich ihre Bedeutungslosigkeit.

Kommentar von Siegfried Zagler



„Die haltlosen Behauptungen gegen Claudia Roth und Grüne MandatsträgerInnen, sie würden die Partei spalten, weisen wir entschieden zurück. Die persönliche Meinung frei äußern zu können, gehört zu Grünen Grundsätzen, jedoch hat der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Pro-Fusions-Stellungnahme parteiintern zu Irritationen geführt. Vorstand und Stadtratsfraktion sowie alle Abgeordneten stehen zu gemeinsamen Grünen Zielen. Auch in Zukunft werden wir zusammen inhaltlich Grünen Politik in Augsburg voranbringen. Dies stellen Parteivorstand, Stadtratsfraktion und Referent, sowie Claudia Roth und Christine Kamm nach einer gemeinsamen Parteiratssitzung fest.“

Diese Presseerklärung ist das Resultat einer endlosen Parteiratssitzung, die am Donnerstagabend begann und in den frühen Morgenstunden des vergangenen Freitag  ihr Ende fand. Das abstrakte Resultat dieser dramatischen Sitzung floss in diese kurze Verlautbarung, deren floskelhafte Reduktion auf Durchhalteparolen schlagartig offenlegt, dass die Grünen mit hohem Tempo gegen eine Wand fahren und vor dem tödlichen Crash noch hastig ihre Fahnen schwenken. Wer sich innerhalb einer demokratischen Partei auf das Bürgerrecht der freien Meinungsäußerung berufen muss, befindet sich bereits mitten in einem Auflösungsprozess, dessen drastische Wirklichkeit von den Grünen Spitzenpolitikern nach innen wie nach außen verleugnet wird. Festzuhalten ist darüber hinaus, dass die Positionierung einer illustren Schar für eine Fusion kein loses Sammelsurium von Äußerungen individueller Meinungen darstellt, sondern eine konzertierte und wohlüberlegte Aktion einer Gruppe, die mit dieser Aktion in einem Quasiwahlkampf weit über die Grenze ging, die eine Minderheitsposition innerhalb einer Partei zulässt.

Die Realität bei den Grünen sieht so aus: Die Geschwindigkeit der Zerrüttung nimmt in einem Ausmaß zu, dass man davon ausgehen muss, dass es längst nicht mehr darum geht, wieder eine gemeinsame Linie zu finden oder darum, gemeinsame Ziele voranzubringen, sondern offenbar nur noch darum, die innerparteilichen Gegner zu vernichten. Konfliktforscher bezeichnen diese Höhe eines Konflikts als „unkontrollierbare Eskalation“. Die Grünen befinden sich somit auf einer Konfliktebene, die ein versöhnliches Ende ausschließt, weshalb man die Spaltung der Fraktion vermuten darf und auch davon ausgehen darf, dass sich der Vorstand mit Parteiausschlussanträgen auseinandersetzen muss.

Dass es so weit kommen konnte, lässt sich mit der jüngeren Geschichte der Augsburger Grünen erklären. Hat also damit zu tun, dass die jüngeren Talente vom Grünen Establishment stärker unterdrückt als gefördert wurden. Mit Raphael Brandmiller gab es gar ein Opfer unter den jungen ambitionierten Grünen. Eva Leipprand, Reiner Erben aber auch Dieter Ferdinand waren nicht in der Lage, dem zahlreichen Grünen Nachwuchs, die Mühen der Ebenen beizubringen. Waren nicht in der Lage, die beiden jungen Stadträte der Grünen zu starken Kräften der Partei aufzubauen. Verena von Mutius tritt seit sieben Jahren auf der Stelle und einer der begabtesten Grünen Politiker, der auch vom Gesamtstadtrat hochgeschätzt wird, nämlich Christian Moravcik, sieht sich in der Fraktion meist auf verlorenem Posten und wurde somit in die Rolle eines Basiskämpfers gedrängt.

Dass es so weit kommen konnte, hat damit zu tun, dass die Grünen nicht mehr in der Opposition sind, sondern ein besonderer Bestandteil des Regierungsbündnisses: Die Rathaus-Grünen haben sich zu einer bedeutungslosen Partner-Fraktion verwandelt, sie sind weder Opposition noch Regierung und somit ein Dekorationsverein ohne bestimmte Aufgaben und ohne großen Einfluss.

Dass es so weit kommen konnte, hat also auch damit zu tun, dass mit Reiner Erben ein Grüner Referent in der Stadtregierung sitzt, mit dem die Grünen weder bei ihren Wählern noch parteiintern punkten können. Erben beeinflusst als Grüner Referent weder die Bündnispolitik noch entwickelt er Glanz und Strahlkraft in die Stadtgesellschaft hinein. Erben zeigt keine Durchsetzungsstärke, entwickelt keinen Gestaltungswillen und ist im Fahrwasser eines dominanten Oberbürgermeisters von einem einst überragenden Oppositionspolitiker zu einem bedeutungslosen Mitschwimmer einer blassen Stadtregierung mutiert. Wenn man den bisherigen Eindruck hochrechnet, darf man davon ausgehen, dass Erben für die Augsburger Grünen in seiner Eigenschaft als Referent eher zur Belastung wird als zum Umsetzer und Darsteller Grüner Politik. Erben könnte mit seiner themenübergreifenden Belanglosigkeit für die Grünen das werden, was Peter Grab mit seiner narzisstischen Proletenhaftigkeit für Pro Augsburg wurde.

Dass es so weit kommen konnte, hat auch damit zu tun, dass die beiden Spitzenparlamentarierinnen bei den Augsburger Grünen immer schon eigene Inseln bildeten und es nie verstanden, innerhalb des Augsburger Kreisverbandes ihre Kompetenzen einzubringen, was zum einen damit zu tun hat, dass keine vorhanden sind (Claudia Roth) und zum anderen damit, dass die Landtagsabgeordnete Christine Kamm mit ihrer liebenswert verdrehten Art innerhalb der Grünen eine eigene Welt darstellt. Die kategorische Trennung von Amt und Mandat hat bei den Grünen in Augsburg dazu geführt, dass ein Kompetenz- und Führungstransfer der Berufspolitiker in den Kreisverband hinein nicht stattfindet. Roth ist innerhalb des Grünen Kreisverbands sogar zu einer Reizfigur geworden. Und es spricht Bände, dass Roth und Erben, der mit Roth freundschaftlich verbandelt ist, immer noch weit davon entfernt sind, ihre Rollen bei der innerparteilichen Spaltung als tragende Rollen zu sehen.

Dass es so weit kommen konnte, hat damit zu tun, dass ein Teil der Fraktion der Augsburger Grünen von der Basis immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert wird, dass sie deshalb für die Fusion waren und sind, weil sich Reiner Erben mit dem Versprechen, die Fusionsumsetzung zu unterstützen, seinen Referentenjob „erkauft“ hat. Die Debatte um die Fusion hat bei den Augsburger Grünen die Stimmung dergestalt vergiftet, dass die Unterschrift von Claudia Roth bei der Pro-Fusionspositionierung als entlarvendes Manöver im innerparteilichen Zwist bewertet wurde: Roth, die von der Augsburger Kommunalpolitik nicht die geringste Ahnung habe, sei wegen ihres Promistatus dafür verwendet worden, zusammen mit den lokalen Halbpromis (Leipprand, Kamm) eine medienwirksame Allianz gegen einen Parteibeschluss zu bilden.

Am morgigen Sonntag, den 12. Juli, stimmen die Augsburger Bürger nicht nur über die Fusion ab, sondern auch über die zukünftige Rolle der Grünen in der Augsburger Lokalpolitik. Sollte die Fusion von der Augsburger Bürgerschaft abgelehnt werden, würde dieses Ergebnis den Absturz der alten Seilschaften im Grünen Kreisverband bedeuten. Für die Zukunft der Grünen wäre dieser Vorgang wie ein rettender Sprung mit dem Schleudersitz aus der beschriebenen Höllenfahrt gegen die Wand.