DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Freitag, 19.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Die Katze auf dem heißen Blechdach: Zeitlose Beziehungskisten

Das Schauspielensemble des Theaters zeigt mit dem Drama von Tennessee Williams Drama die Allgegenwärtigkeit der innerfamiliären Scheinwelt.

Von Halrun Reinholz



Hypokrisie, das sind Vorspiegelungen: Heuchelei, Tabus und zelebrierte Bösartigkeiten prägen die Dramen von Tennessee Williams und bei “Cat on a Hot Tin Roof” kommt unweigerlich die Assoziation mit der legendären Verfilmung von 1958, wo Elizabeth Taylor und Paul Newman sich als Hauptdarsteller zerfleischen. Für die Inszenierung am Theater Augsburg löst sich Regisseur Matthias Fontheim, der vor dieser Spielzeit acht Jahre Intendant des Mainzer Staatstheaters war, ganz bewusst von der Schablone der 50er Jahre in den amerikanischen Südstaaten. Sein Familiendrama findet in einem Guckkasten statt und somit zu beliebiger Zeit an beliebigem Ort. Die Darsteller sitzen vor der Bühne, in einem Haufen Herbstlaub (so sieht es zumindest aus) und schauen auf den Guckkasten wie auf einen Bildschirm, bis sie jeweils zu ihrem Einsatz kommen. Denn was es da zu sehen gibt und wovon sie (wie übrigens auch die Zuschauer) ein Teil sind, ist der ganz normale Wahnsinn zwischenmenschlicher – oder noch schlimmer – innerfamiliärer Beziehungen, die weder an Zeiten noch an Orte gebunden sind.



Freilich, die Nuancen ändern sich. Big Daddy (neu im Ensemble: Gregor Trakis) und Big Mama (mit routinierter Spielfreude: Ute Fiedler) sind smarte Jungsenioren und im Gegensatz zur heute gängigen Praxis liegt die Krebserkrankung des Vaters nicht auf dem Präsentierteller, sondern wird andeutungsreich tabuisiert und ihm selbst verheimlicht. Denn es ist sein Geburtstag, bei dem die ganze Familie Einmütigkeit zeigen soll. Brick, Lieblingssohn und auf allen Fronten gescheitertes Sorgenkind (Ronny Miersch als Gast) mit seiner Frau Maggie (Jessica Higgins, neu im Ensemble), die enfants terribles der Familie, sind wiederum älter als in der Vorlage und tragen damit den heutigen Verhältnissen Rechnung. So sind die Generationen zwar optisch näher aneinandergerückt, doch die Konflikte sind die gleichen wie eh und je. Im Fokus steht jener der ungleichen Brüder und Schwägerinnen: Mustersohn Gooper (Alexander Darkow im smarten Anwalt-Look) kümmert sich “einfach so” nebenbei um das väterliche Unternehmen und fühlt sich als dessen rechtmäßiger Erbe. Er hat den Eltern mit seiner Frau Mae (hinterhältig-tugendhaft: Lea-Sophie Salfeld) schon fünf Enkel beschert, das sechste ist bereits unterwegs. Sein Bruder Brick dagegen ersäuft seinen Weltschmerz in Whisky und fühlt sich von seiner jungen, attraktiven Frau Maggie, die ihm gleichgültig ist, unangenehm bedrängt. Ihr als der größten Außenseiterin der Familie kommt in dem Stück die Schlüsselrolle zu, wie “eine Katze auf dem heißen Blechdach” tänzelt sie auf dem gefährlichen Parkett der familiären Beziehungen, ohne Unterstützung von ihrem Mann und von der Schwägerin bis unter die Gürtellinie offen angefeindet.



Jessica Higgins hat keinen leichten Einstand in Augsburg mit dieser Rolle. Ein bisschen zu platt wirkt die permanente Zurschaustellung ihres sehr ansehnlichen Körpers, ein bisschen zu schrill die Auseinandersetzung mit Brick, fast slapstickhaft das dauernde Geturne von der Bühne und wieder hinauf, das die Regie von ihr abverlangt. Doch letztlich überzeugt sie als starker Charakter mit vielen Facetten. Als ihr Gegenpol Brick lässt Ronny Miersch kaum Emotionalität erkennen, hier hätte man fast ein bisschen mehr erwartet. Doch angesichts anderer (unnötig) lautstarker Dialoge ist man für einen stillen Phlegmatiker als Kontrast durchaus dankbar, die Figur gewinnt dadurch Profil. Überzeugend besonders im Dialog mit Big Daddy, wo ein weiteres Tabu der 50er Jahre, der Verdacht auf Homosexualität, thematisiert wird. Gregor Trakis bietet dem Augsburger Publikum übrigens als Einstand einen fein nuancierten und souveränen Big Daddy. Im Gegensatz zur kahlen (und sehr schrägen!) Guckkasten-Bühne von Elisabeth Pedross wirken die typengerechten Kostüme von Valerie Hirschmann als gewollter und wohltuender Kontrast. Eine runde Arbeit eines routinierten Teams und viel Applaus vom Publikum.

Fotos: Nik Schoelzel