Die Historizität der Stadt ist ein Wert, der mehr bedeutet als der Umstand, wer gerade besitzt, baut und begehrt
Kommentar von Siegfried Zagler
Das Augsburger Pulvergäßchen ist ein magischer Ort. Viele Jahrzehnte residierte dort ein kleines Amt mit dem zauberhaften Namen „Führerscheinstelle“. Die Adresse „Pulvergäßchen 6“ hat für zehntausende Augsburger eine ähnlich extreme Erinnerungshoheit wie in etwa das erste Auto oder der erste Kuss. Kurt Gribl und Rainer Schönberg haben im Pulvergäßchen vermutlich ihre Mopedführerscheine abgeholt. Damit soll gesagt sein, dass es Orte gibt, die die endlose Kette des zu sich selbst Kommens in ein Muster der Erinnerung gießen. Die Führerscheinstelle im Pulvergäßchen 6 war so ein Ort. Doch darum soll es hier nicht gehen. Ob die Stadt das Pulvergäßchen preisgeben soll oder nicht, darf auch nicht an der Plausibilität von Märchen und Legenden hängen. Das Gässchen mit dem Namen “Pulvergäßchen” existiert an dieser Stelle seit vielen Generationen und verweist auf ein Gebäude, das vor mehr als 600 Jahren gebaut wurde und nicht mehr existiert. Der öffentliche Verweis auf etwas Vergangenes ist ein Wert, der sehr hoch hängen sollte. Höher jedenfalls als die Frage, wer gerade baut, besitzt und begehrt. Die Stadt Augsburg sollte sich jedem Stein und jedem Jota ihrer Geschichte mit hoher Intensität widmen. Die Historizität dieser Stadt ist nicht nur ihr größtes Kapital, sondern beherbergt auch einen großen Teil ihrer geistigen Ressourcen und somit ein Stück ihrer Identität, weshalb dem Stadtrat Schönberg an dieser Stelle für seine Mär von der Erfindung des Schießpulvers und dem damit verbundenem Aufschub in Sachen Pulvergäßchen gedankt sein soll. Namen von Plätzen und Straßen zeugen nicht nur von dem Bildungsstand und dem Bewusstsein einer Gesellschaft, die diese Namen vergibt, sondern verweisen auf Menschen und deren Taten, also auf etwas, das nicht dem Vergessen preisgegeben werden darf. Dass ein „geistlicher“ Vinzenz-von-Paul-Platz neben einem „kriegerischen“ Pulvergäßchen anflanscht, sollte in der „City of Peace“ genauso auszuhalten sein, wie der schmerzvolle Gedanke, dass von der Forschung in Richtung Verbundfaserstoff Carbon auch die Rüstungsindustrie profitiert.