Die Heimat der Musik
Zwei Werke von George Crumb im ersten Konzert der Reihe “Zukunft(s)musik”
Von Frank Heindl
Es ging sehr vorsichtig los, könnte man wohl sagen: Mit den Stücken “Vox Balaenae” und “Quest” von George Crumb begann die ambitionierte Reihe “Zukunft(s)musik” – wer atonale Klänge und schrilles Nervensägen befürchtet hatte, wurde aufs Angenehmste enttäuscht. Neue Klänge waren das wohl, doch waren sie von meditativer Ruhe geprägt.
Das erste Konzert der von engagierten Mitgliedern des Philharmonischen Orchesters ins Werk gesetzten Reihe mit Neuer Musik (die DAZ berichtete) fand in der Klanghalle der H2-Galerie im Glaspalast statt – die momentane Ausstellung “Silent Spaces” bot einen hervorragenden Rahmen, setzte Bildende Kunst und Musik in ein herrliches Wechselverhältnis. Das Programm begann mit “Vox Balaenae – Gesänge der Wale”- einem Stück für Klavier, Flöte und Cello. Crumb hat vorgeschlagen, die Musiker sollten bei diesem Stück Halbmasken tragen und so “die gewaltigen, unpersönlichen Naturkräfte” zu symbolisieren. Man mag das übertrieben mystifizierend finden – die Augsburger Musiker hielten sich an die Vorgabe. Flötistin Judith Müller durfte in der eröffnenden Vocalise gleichzeitig in ihr Instrument blasen und singen und gurren, Iris Lichtinger arbeitete mit den Saiten des Flügels genauso intensiv wie an den Tasten, von Detmar Leertouwers Cello erklangen hauptsächlich Flageolett-Töne, und alles spielte sich, von einigen wenigen Forte-Eruptionen abgesehen, vor allem im Lautstärkebereich von piano und pianissimo ab – eine klangfarbige Idylle und der Versuch, auf neuen Wegen zurückzufinden zu den Ursprüngen der Musik in der Natur (so Crumb in einem Essay von 1980).
Das zweite Stück mit dem Titel “Quest” (Suche) steht auf breiterer Instrumentenbasis: Gitarre, Sopransaxophon, Harfe, Kontrabass, Hackbrett und eine Vielzahl von Perkussionsinstrumenten sind beteiligt, John Kevin Edusei dirigierte. Ein federleicht angeschlagenes Becken, ein Harfenarpeggio, eine schnelle Phrase auf der Gitarre – das Stück besteht aus einer Vielzahl von klanglichen Einzelteilen in teilweise rascher Abfolge. Und strahlt trotzdem eine geradezu kontemplative Ruhe aus. Crumb habe sich vom Zeitempfinden der japanischen Musik inspirieren lassen, schreibt der Musikkritiker Christoph Schlüren, und tatsächlich entsteht der Eindruck von Zen-hafter Meditation wohl nicht nur wegen der Instrumentierung.
Gleichzeitig zeigte “Quest” in der Klanghalle auch, dass Crumbs Musik auf Inszenierungsvorgaben wie Masken und Licht ohne Verluste verzichten kann: Das zweite Stück wurde unter der hellen Ausstellungsbeleuchtung gegeben und büßte durchaus nichts ein an atmosphärischer Wirkung. Er habe bei der Komposition keine programmatischen Ideen verfolgt, sagt Crumb, und so darf man sich ganz den eigenen Assoziationen und Vermutungen hingeben. Warum das Saxophon einige Male das Volkslied “Amazing Grace” andeutet, mag dahingestellt bleiben. Vielleicht aber geht es auch hier um die “Suche” des George Crumb nach Herkunft und Heimat seiner Musik, und wenn das so wäre, dann dürfte man ihm dazu gratulieren, die Begriffe Heimat und Musik auf eine Weise verbunden zu haben, die den Hörer befreit aufatmen lässt. Für beide Programmteile gab es jedenfalls lang anhaltenden Applaus.
George Crumb feiert übrigens am heutigen 24. Oktober seinen 80. Geburtstag. So richtig “neu” ist seine Musik in der Tat nicht mehr, und dass “Quest” ganz am Anfang der “Zukunfts”-Reihe stand, ist von den Initiatoren durchaus programmatisch gemeint: Man darf sich darauf freuen, was die folgenden acht Konzerte noch alles zu Tage fördern auf der Suche nach der Musik der Zukunft. Es wird wohl noch deutlich “neuer” werden.
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