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Freitag, 11.04.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Film

„Die Filmindustrie ist zu doof“: Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm im Kino

Am heutigen Donnerstag startet in den deutschen Kinos Joachim Langs „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“. Es handelt sich um ein in jeder Hinsicht erstaunliches „Musical-Kino“, das über zwei Stunden einen historisierenden Bilderreigen in Szene setzt und für Brecht-Fans sowie für Fans der Dreigroschenoper unumgänglich ist. Doch Achtung, man hat mit Langs Kinofilm ein „kulinarisches Schauvergnügen“ zu verarbeiten.

Von Siegfried Zagler

Lars Eidinger als Brecht © wild bunch

Das aufwändig inszenierte Kinostück verweigert durch Realitätsbrüche und mit verschachtelten Darstellungsebenen Genre-Zuordnungen und widmet sich im Rahmen dieses „filmischen Niemandslandes“ einer Regie-Projektion, nämlich der nicht stattgefundenen Verfilmung der Dreigroschenoper, die nun Lang (für Brecht) vollendet hat. Es handelt sich also um ein ambitioniertes Leinwandkunstwerk, das an seiner Überfrachtung scheitert: Trotz beispielloser Besetzung und großartigen Schauspielerleistungen (von Lars Eidinger, Tobias Moretti bis Robert Stadlober, Christian Redl und Joachim Król, von Hannah Herzsprung und Claudia Michelsen bis Britta Hammelstein, Meike Droste, Peri Baumeister und Max Raabe sind wundervolle Federstriche zu sehen), trotz großartiger Musik ( SWR-Symphonieorchester), trotz einer überzeugenden Choreografie bei den Tanzeinlagen (Eric Gautier) und trotz eines der spannendsten Realmanuskripte der Kunstgeschichte (Brecht und Weill in einer urheberrechtlichen Auseinandersetzung mit einer Filmgesellschaft) bleibt die deutsch-belgische Koproduktion mit all ihrer Opulenz und ihren zahlreichen Zitaten aus der Ästhetikgeschichte des Films über weite Strecken seltsam vernebelt und verhuscht.

Die Frage, wie es sein kann, dass ein Kinofilm, dessen einzelne Sequenzen durchgängig – für sich betrachtet – zu erstklassigen Trailern taugen, nicht funktioniert und im Gesamten gestelzt daherkommt, wie ein Roman, der gekonnt geschrieben, aber schlecht erzählt ist, ist eine Frage, die sich ausnahmsweise einfach beantworten lässt: Regisseur Joachim Lang verweigert eine konsistente Erzählung, weil er sich in biografischen Details und im reichhaltigen Fundus von Brechts Textmaterial verfängt. Mit seiner aufklärerischen – beinahe schulmeisterlichen – Herangehensweise hat Dr. Joachim Lang im Rahmen des Augsburger Brechtfestivals in seiner Eigenschaft als künstlerischer Leiter acht Jahre den ehrgeizigen Versuch unternommen, ein gegen den Strich gebürstetes Brechtbild zu zeichnen: Brecht der Teamplayer, Frauenversteher und Nicht-Kommunist. Lang verehrt Brecht und wie alle Verehrer sieht er nur das Beste. Davon ist auch der Film geschlagen. Es wird getanzt, gesungen und gesprochen und natürlich verfremdet dargestellt, als ginge es darum, dem Zuschauer die Welt aus der Brechtperspektive zu erklären.

Das Lehrbuchhafte, die dialektische Vermittlungsabsicht des Brechttheaters, wirkt bei Lang als Blaupause ins Heute hinein – mit einem wohl eher ungewollt folkloristischen Oliver-Twist-Effekt. Roman Polanskis realistisch gestaltete Charles Dickens-Adaption schimmert durch und entfaltet bei Lang die Wirkung, als sei das Elend von Armut am unverfänglichsten mit der düsteren Eleganz der klassischen holländischen Malerei darzustellen.

Lars Eidinger eilt als verschmitzter und vitaler Bertolt Brecht durch drei verwobene Erzählebenen: Brechts Fortführung der Dreigroschenoper, Brechts Auseinandersetzung mit der Filmgesellschaft und schließlich Brechts Fiktion „seines“ Dreigroschenfilms, der nie entstand und den Lang nun nachliefert, und dabei auf die Suggestivkraft einer Retro-Ästhetik baut, die Brecht mit der obligatorischen Zigarre im Mund zu einer Karikatur, zu einem Avatar einer Aphorismensammlung herunterbricht.

Langs Brecht ist eine Art Heldenfigur, die in jeder Szene als Gewinner hervorgeht und stets mit einem Bonmot dem Kino-Zuschauer einen Lacher anbietet. Jedes Wort, das Eidingers Brecht im Film spricht, ist O-Ton Brecht – zusammengesetzt aus Stücken, Briefen und Gedichten von Brecht. Wie besessen und naiv zugleich sich Lang mit historischen Details beschäftigte, erzählte er nach einer frühen Preview in einem Augsburger Kino: Er habe in Augsburg Dialektaufnahmen machen lassen, um zu prüfen, ob er Brechtdarsteller Eidinger nicht mit Dialektfärbung sprechen lassen sollte.

In Sachen Material schöpfte Drehbuchautor und Regisseur Lang ohnehin aus einem überbordenden Schatz: Da ist ja nicht nur das Stück selbst und Pabsts Kinoversion, sondern auch Brechts im dänischen Exil geschriebener „Dreigroschenroman“. Und natürlich greift Lang nicht nur auf die Dreigroschenoper und Brechts gesellschaftskritische Erläuterungen zum Prozess zurück, den Brecht zusammen mit Kurt Weill gegen die Nero-Film-Gesellschaft führte, sondern auch auf Brechts Exposé zum Dreigroschenfilm „Die Beule“, das den Planungsstatus nie verließ, während Nero-Film mit einer Verfilmung von Regisseur Georg Wilhelm Pabst 1931 die Dreigroschenoper im 1:1-Modus auf die Leinwand brachte. Nicht im Sinne von Brecht, der den Urheberrechtsprozess gegen Nero-Film verlor, um als Selbstvermarktungsgewinner hervorzugehen: „Die Filmindustrie ist zu doof und muss erst Bankrott gehen.“

87 Jahre später kommt nun mit Langs „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ eine nervöse Verfilmung in die Kinos, der man im besten Fall konstatieren kann, dass sie Brecht in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gefallen hätte. Für die Jetztzeit ist festzuhalten, dass das deutsche Kino darunter leidet, dass es neben Hollywood die Fernsehanstalten sind, die das Programm bestimmen.

In Augsburg im Mephisto, im Thalia und im Liliom.