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Samstag, 02.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Die CSU hat ein Glaubwürdigkeitsproblem

Warum die CSU ein Glaubwürdigkeitsproblem hat und sich im Destruktionsmodus befindet

Von Siegfried Zagler

“In Bayern gehen die Uhren anders.” Das war lange ein geflügeltes Wort, wenn es darum ging, die treue Gefolgschaft der bayerischen Bevölkerung bezüglich einer Regionalpartei namens CSU zu erklären. Diese kultivierte Form des Untertanentums wäre längst vorbei und käme auch nicht mehr zurück, wäre die Opposition in Bayern eine wählbare Alternative. Doch da man davon nur träumen kann, gilt das zweite Erklärungsmuster für die Bayern und ihre CSU: “Wenn man CSU wählt, wählt man die Opposition gleich mit.”

Doch selbst mit dieser Lakonie kommt man langsam zum Ende, denn die inhaltlichen Schwächen der CSU werden immer auffälliger: Die brennenden Themen der Zeit haben im Süden den Staub von den Stammtischen gewischt und lassen die Regionalpartei alt aussehen. Der staatstragende und somit CSU-nahe Bayerische Rundfunk verliert an Bedeutung, die Kirchen verlieren ihre gesellschaftliche Dominanz und somit die CSU ihre konservative Überzeugungskraft.

“In Bayern gehen die Uhren anders.” Ja, das ist richtig. Gingen sie in der Vergangenheit langsamer, so drehen sich die Zeiger heute schneller – und die CSU kommt nicht mit. Wohnungsnot, Energiewende, Digitalisierung, Altersarmut, Pflegenotstand, Migration, Wirtschaftspolitik, Flächenfraß, marode Straßen und eine kafkaeske Europäische Union: Gibt es ein aktuelles Thema, das die CSU plausibler und überzeugender besetzt bzw. nicht besetzt als andere Parteien? Die Antwort ist in der Fragestellung bereits vorhanden.

Die CSU verliert zusehends an struktureller und kultureller Macht, weil ihr die Progression der Gesellschaft zu schnell davonläuft. Die „Ehe für alle“ ist dafür ein gutes Beispiel. Und nun auch noch das: Markus Söder.

Dass Horst Seehofer die Abwehr von Markus Söder nicht gelang, hat mit jahrelanger Netzwerkarbeit des ehrgeizigen Franken zu tun – und mit Horst Seehofer selbst, der als Bayerischer Ministerpräsident eine Bundestagswahl verlor und als Regierungschef seine eigene Landtagsfraktion öfters gängelte und vor den Kopf stieß, als man das in der Regel machen darf – Ministerpräsident hin, Ministerpräsident her.

Wenn keiner der Kontrahenten den anderen besiegen kann, wird in der Regel ein Burgfrieden geschlossen. Eine Doppelspitze in der CSU ist nichts anderes. Die Doppelspitze Söder/Seehofer aber wird doppelt nicht funktionieren. Zum einen, weil dieser in höchster Not gezimmerte Burgfrieden wohl nicht lange halten wird und zum anderen, weil dieser faule Frieden bei den Wählern nur Kopfschütteln auslöst: Gestern noch zerrüttet, heute eine Einheit. Das ähnelt dem verhängnisvollen CSU-Verfahren mit Kanzlerin Merkel, die von Seehofer bekämpft und später hochgelobt wurde – ohne dass sich an ihrer Politik etwas geändert hätte. Die CSU wirkt in dieser Personalkonstellation nicht mehr glaubwürdig.

Die letzte CSU-Doppelspitze Huber/Beckstein hielt nicht lange. Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit im Landtag 2008 wollte die CSU schnell wieder beide Posten in einer Hand. Die damalige Krise war die Stunde von Horst Seehofer, der die CSU wieder zur absoluten Mehrheit führen sollte.

An den Erfolg der Doppelspitze Seehofer/Söder (eine Art Beckstein/Huber 2.0) bei der Bayernwahl im Herbst 2018 kann niemand glauben. Vermutlich auch nicht die Führungspersönlichkeiten beider Lager. Und am wenigsten der machtpolitisch versierte Seehofer, weshalb man in gewissen Kreisen noch davon ausgeht, dass der alte Fuchs Seehofer noch einen Trumpf im Ärmel hat – falls er nicht im kommenden Merkel-Kabinett eine wichtige Rolle spielen darf.

Markus Söder wird, falls er tatsächlich als Ministerpräsident in den Wahlkampf gehen sollte, die CSU, das ist eine gewagte (weil viel zu frühe) Prognose, auf ein historisches Rekordtief führen. Das signalisieren jedenfalls die ersten Umfragen. Franken werden außerhalb Frankens (also nicht nur in altbayerischen Gefilden) als schalkig und naseweis empfunden. Markus Söder fehlt katholische Aura und der in Bayern geschätzte staatstragende Habitus. Und Markus Söder ist, pardon, jederzeit für eine politische Dummheit gut. Die CSU hat sich mit Söder an der Spitze auf Destruktionsmodus gestellt. Nach mehr als einem halben Jahrhundert an der Macht – das wird nur von der KP Chinas übertroffen – macht die CSU den Eindruck, als hätte sie davon genug.