Die Augsburger Grünen befinden sich im Selbstzerstörungsmodus
Warum für die Augsburger Grünen nach dem Fusiondesaster endgültig der Abstieg in den bedeutungslosen politischen Raum beginnt
Kommentar von Siegfried Zagler
Die Augsburger Grünen sind gespalten und befinden sich im Selbstzerstörungsmodus. Gespalten, weil in der Debatte zur Sanierung des Theaters der Kreisvorstand mehrheitlich gegen den vorgestellten städtischen Finanzierungsplan ist, während es in der Fraktion eine Mehrheit für den „Weber-Plan“ gibt, der die Theatersanierung komplett mittels Neuverschuldung stemmen will. Die Grünen haben aus ihrem fatalen Crash bei der Fusionsdebatte gelernt und ließen, um ihrer Entscheidungsschwäche schnellstmöglich zu entkommen, ihre Basis abstimmen. Die Begründung für diese Urabstimmung: Man würde gegen den Kooperationsvertrag verstoßen, wenn man als Fraktion für die Theatersanierung mittels Neuverschuldung stimmen würde. “Bist Du einverstanden, dass die Grünen Augsburg wegen den zu erwartenden Kosten der Theatersanierung eine Ausnahme von der Kooperationsvereinbarung machen und einer Neuverschuldung zustimmen?”, so die Frage, die 233 Grüne Mitglieder mit Ja oder Nein zu beantworten hatten. 68 Mitglieder stimmten dafür, 39 dagegen. Ein klares Votum sieht anders aus.
In ihrem Anschreiben an die Mitglieder gaben sich die Mandats- und Amtsträger in ihrer Begründung ausgewogen und zählten wie in einem vorbildlichen Schüleraufsatz Pro und Contra auf. Ganz so, als würde es sich um eine reine Sachentscheidung handeln. Dabei ist die Entscheidung in Sachen Theatersanierung eine hochpolitische Entscheidung und somit auch eine emotionale Entscheidung, die die Zukunft der Stadt in hohem Maße gestaltet. Für die Augsburger Grünen bedeutet eine Pro-Entscheidung zur vorgestellten Sanierungsplanung, gekoppelt mit der Pro-Entscheidung zur vorgestellten Finanzierung, politischen Selbstmord. Nicht nur, weil die Augsburger Grünen sich mit 180 Grad gegen das Grundkonzept ihres Wahlprogramms stellen und somit in Zukunft von jedermann ungestraft als „Wahlbetrügerpartei“ bezeichnet werden dürfen, sondern auch deshalb, weil sie mit einem “Ja” zu den Plänen der Stadtregierung in Sachen Theatersanierung gegen das höchste Prinzip der Grünen verstoßen: Nachhaltigkeit.
Die Sanierung, die die Stadtregierung plant, ist ein Sinnbild der Verschwendung, ein Sinnbild von Luxus und Dekadenz. Verschwendung von Steuergeldern, Verschwendung von Zeit und Energie, weil man aus dem hohlen Bauch heraus auf ein Theatermodell setzt, dessen Zukunftsfähigkeit mit keiner einzigen ernstzunehmenden Zahl untermauert wurde. Die vorgestellten Sanierungspläne bauen auf eine unausgesprochene und noch nie hinterfragte Uralt-Vereinbarung zwischen Gesellschaft und ihren Stadt- und Landesregierungen, die auf nicht viel mehr als auf einen von den Theatern selbst gesetzten Imperativ aus den Achtzigern fußt: „Theater muss sein!“ Damit ist natürlich das hochsubventionierte Stadttheatersystem gemeint.
Die Besucherzahlen des Großen Hauses sind stark rückläufig. In Augsburg noch stärker als im Bundestrend verlieren die großen Repräsentationsbühnen ihr Publikum. Die vorgestellte Sanierung ist aber auch deshalb verschwenderisch, weil die Kunst des Theaters am Kennedyplatz nur einen kleinen Adressatenkreis erreicht. Vielleicht drei, vielleicht fünf Prozent der Augsburger Bürger interessieren sich für die Kunst, die das Augsburger Stadttheater anbietet. Würde man diese Zahlen auf das Angebot des Großen Hauses beziehen, käme man vermutlich auf noch geringere Prozentsätze. Eine konkrete Erhebung dazu gibt es in Augsburg nicht. Es handelt sich um Vergleichswerte. Das Große Haus schlägt mit zirka 120 Millionen Euro Sanierungskosten ins Kontor. Das ist ziemlich konkret.
Gerne sprechen treue Theatergänger, Theaterkünstler und Theaterkritiker (und natürlich die Grünen sowie die Stadtregierung) davon, dass dieses Missverhältnis nichts Besonderes sei, schließlich werden auch Radwege gebaut und Schwimmbäder saniert und diese Maßnahmen würden selbstverständlich auch von allen bezahlt, ohne dass alle davon profitieren würden. Diese Argumentation hängt schief. Würde man in Augsburg 200 Millionen Euro in Radwege investieren, wenn 95 Prozent der Bevölkerung erklärten, dass sie nie ein Rad benutzen würden? Würde man in Augsburg und anderswo in Schwimmbäder investieren, wenn 95 Prozent der Bevölkerung sich übers Schwimmen lustig machen würden – und eine große Mehrheit der Bürgerschaft glaubhaft erklärte, dass sie sich selbst unter Folter nicht in ein Schwimmbad begeben würden?
Man würde nicht, auch dann nicht, wenn man diese Maßnahmen mit kostspieligen Gesundheitskampagnen fürs Schwimmen und Radfahren unterfüttern könnte. Radfahren und Schwimmen würde in diesem Fall fünf Prozent der Bevölkerung gesundheitlich einen Nutzen bringen. Was aber erhält die Stadtgesellschaft, wenn sie jährlich zweistellige Millionenbeträge in einen laufenden Stadttheaterbetrieb investiert? Was bekommt sie zurück, wenn sie dreistellige Millionenbeträge in die Sanierung der Theatergebäude steckt? Die Antwort geben die Feuilletons der großen Tages- und Wochenzeitungen zu Beginn der Theaterspielzeit regelmäßig mit überzeugender Kompetenz und Einigkeit: Schrott. 90 Prozent Schrott oder museale Darbietungen würden auf den bundesdeutschen Bühnen gezeigt. Dem kann man bedenkenlos zustimmen. In der Kunstproduktion ist das eine normale Quote. Warum aber soll sich eine Stadt für Kunstangebote dergestalt fragwürdiger Art finanziell so stark ins Zeug legen? Will sich die Kulturpolitik für ein starkes Theater engagieren, müsste die Fragestellung anders lauten: Wie kommt zum Beispiel eine Stadt wie Augsburg aus dieser Förderfalle heraus?
Mit Nachhaltigkeit haben jedenfalls diese Investitionen nichts zu tun! Mit Formelhaftigkeit jede Menge: Man stehe zum Theaterstandort Augsburg, man müsse das Große Haus am Kennedyplatz erhalten, weil es unter Denkmalschutz stehe. „Die Sanierung des Großen Hauses ist alternativlos“, sagte die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, Verena von Mutius, im Brustton einer religiösen Verlautbarung kürzlich auf dem Sonderparteitag der Grünen vor zwölf (!) interessierten Mitgliedern des Augsburger Kreisverbands. „Alternativloses“ gibt es nur in totalitären Staaten. Aber auch in Augsburg gibt es zur Sanierung des Großen Hauses nur einen Plan, nämlich den eines Münchner Büros. Dieser Plan beinhaltet eine 120 Millionen-Euro-teure Generalsanierung des Großen Hauses. Einen zweiten oder dritten Plan, wie man zum Beispiel ausschließlich die dringenden Brandschutzprobleme lösen könnte, gibt es nicht. Einen Plan, wie man vorerst die dringenden Statik-Probleme lösen könnte, gibt es nicht. Nach diesen beiden Maßnahmen könnte man den Betrieb des Stadttheaters möglicherweise einfach weiterführen. Politisch ist diese Vorgehensweise offenbar trotz knapper Kassen nicht gewünscht. Die Sanierung des Großen Hauses, so wird aus verschiedenen Architekturbüros hinter vorgehaltener Hand erklärt, könnte man billiger und besser machen als geplant.
Zurück zu den Grünen. Die Finanzierung eines dreistelligen Millionenbetrags zu 100 Prozent auf Pump ist das Gegenteil einer nachhaltigen Haushaltspolitik. Ist das Gegenteil davon, was die Grünen im innersten ausmacht und ist natürlich das Gegenteil davon, was die Augsburger Grünen in der Oppositionsrolle gebetsmühlenartig verkündeten, als sie noch die Grünen in der Opposition waren. “Das Theater muss die absolute Ausnahme bei einer Neuverschuldung bleiben. Sonst sehen wir die Gefahr, dass die Stadt keinen finanziellen Gestaltungsspielraum mehr für die sozialen und ökologischen Herausforderungen der nächsten Jahre hat”, so der Vorsitzende des Grünen Kreisverbands, Peter Rauscher. Wenn man weiß, dass es sich nach der Grünen Zustimmung zur Neuverschuldung in Sachen Schulsanierung bereits um die zweite „absolute Ausnahme“ handelt, klingt das wie ein Witz. Zirka 340 Millionen Euro beträgt der Schuldenberg der Stadt, dessen Abarbeitung den städtischen Haushalt mit einem überdurchschnittlich hohen Schuldendienst belastet. Jetzt kommen noch mehr als 100 Millionen Euro dazu. Wenn diese Neuverschuldung irgendwann in den 40er Jahren dieses Jahrhunderts abbezahlt ist, steht die nächste Generalsanierung der Theatergebäude ins Haus.
Diese Vorgehensweise bedeutet für die Stadt Augsburg den Abschied von der Vorstellung, dass man nachhaltig wirtschafte. Und das müsste im Grunde bedeuten, dass der Grüne Nachhaltigkeitsreferent Reiner Erben im Feuer stehen würde, wenn ihn die Fusionsdebatte nicht bereits verbrannt hätte. Für die Augsburger Grünen steht aber noch etwas auf dem Spiel. Sie stehen noch an der Schwelle. Für sie beginnt aber spätestens mit ihrem “Ja” zu diesem Projekt ihr unaufhaltsamer Abstieg in den bedeutungslosen politischen Raum.