Kommentar
DfB: Denn sie wissen nicht, was sie tun
Mit seiner heutigen Erklärung zum Foto-Treff mit Recep Tayyip Erdogan, Staatspräsident der Türkei, hat sich Mesut Özil von der deutschen Nationalmannschaft verabschiedet. Eine andere Schlussfolgerung ist nicht möglich.
Kommentar von Siegfried Zagler
Nach vielen Wochen des Schweigens hat der deutsche Fußballnationalspieler Mesut Özil zur Foto-Affäre mit Recep Tayyip Erdogan eine bodenlose Erklärung abgegeben. Hätte er den Termin abgesagt, wäre es eine “Respektlosigkeit für all meine Vorfahren gewesen”, so Özil, der mit dem Foto-Shooting mit dem türkischen Staatspräsidenten kurz vor der Wahl in der Türkei keine politische Handlung erkennen will. Özil schließt seine Stellungnahme mit folgendem Satz ab: “Wie auch immer das Ergebnis der letzten Wahl oder der Wahl davor gewesen wäre – ich hätte immer noch das Foto gemacht.” Unser Treffen habe keinerlei Zustimmung zu irgendeiner politischen Richtung dargestellt, so Özil.
Damit bringt Özil nicht nur sich selbst, sondern auch die Führungsspitze des DfB, inklusive Jogi Löw und Oliver Bierhoff erneut in große Not, denn Özil argumentiert völkisch, wenn er “all seine Vorfahren” ins Spiel bringt. Wer sind diese Vorfahren? Seine Eltern und Großeltern oder womöglich alle Türken? Der türkischstämmige Fußballprofi Emre Can hat im Umkehrschluss dann gegenüber seinem Präsidenten und gegenüber seinen Vorfahren respektlos gehandelt, als er den Fototermin mit Erdogan absagte.
Despot und Staatschef Erdogan spaltet die Türkei in fanatische Anhänger und in ihrer Existenz gefährdete Gegner, also in zwei unversöhnliche Lager, die einen hoch emotionalen politischen Krieg führen, der die Türkei spaltet und viele Familien entzweit. Erdogan hat in atemraubender Geschwindigkeit die Türkei in einen Unrechtsstaat verwandelt, in einen dunklen Kerker, wo schwerste Menschenrechtsverletzungen zur Tagesordnung gehören. Doch um die politischen Verfehlungen beziehungsweise um mangelnde Bildung und Charakterfestigkeit junger Fußballmillionäre soll es an dieser Stelle nicht gehen.
“Denn sie wissen nicht, was sie tun”, so könnte man Nicholas Ray und James Dean in die Welt des DfB übersetzen. Ein Film, der von den Nöten der Silent Generation der 50er Jahre erzählt und im Orginal “Rebel Without a Cause” heißt. Die Sachlage ist nämlich ernst genug, um die beiden Nationalspieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil in Schutz nehmen zu können. Sie sind jung, politisch unbeschlagen und haben sich in der Hitze des Gefechts zu einer außergewöhnlichen Dummheit hinreißen lassen. So hätte man das stehen lassen können, wenn von beiden auch nur halbherzig in diese Richtung argumentiert worden wäre. Anschließend hätte man sie beiseite nehmen müssen und ihnen in aller Ruhe erklären müssen, dass man als DfB diese Dummheit dennoch sanktionieren müsse und deshalb eine Teilnahme bei der WM nicht möglich sei, weiterhin aber keine Tür für immer zugeschlagen sei. Punkt.
Dass das nicht geschehen ist, ist eine unverzeihliche Verfehlung des DfB und der sportlichen Führung der Nationalmannschaft. Ein Fehler, der im Nachgang nicht zu reparieren ist. Die deutsche Fußballnationalmannschaft ist in ihrer politischen Bedeutsamkeit und auch in ihrer gesellschaftlichen Gestaltungskraft mit den öffentlich rechtlichen Medien zu vergleichen. Sie ist eine Art Projektionsfläche für nationale Angelegenheit, eine Pausenzeichnung dafür, welche Werte zu welchem Zeitpunkt vorherrschen und zu vermitteln sind.
Deutsche Fußballnationalspieler, die Wahlkampf betreiben, sind für “das Amt Nationalspieler” nicht mehr zu halten. Man muss sich einfach nur vorstellen, dass Markus Lanz zwei Wochen vor der Bundestagswahl Sympathie-Fotos mit Angela Merkel veröffentlichen lässt oder Anne Will mit Martin Schulz ein Foto-Shooting zulässt. Beide wären anschließend sofort ihre Jobs los. Würden ihre Chefs bei ihrem Rauswurf zögerlich sein, wären sie ebenfalls nicht mehr tragbar. Für den öffentlichen Dienst gilt das politische Neutralitätsgebot. Falls dieses Gebot nicht zum Kodex der “Bundesadler-Träger” gehören sollte, wurden sie vom DfB nicht umfassend geschützt. Für Gündogan und Özil steht nach der WM die Fortsetzung ihres Fußballer-Lebens auf dem Spiel, da es immerhin denkbar ist, dass sie sich nun dem Druck der Straße ausgesetzt sehen. Man kann nur hoffen, dass dieser Kelch an den beiden vorübergeht.
Die DfB-Führung war vor der WM nicht in der Lage, die Tiefenwirkung des Themas zu erkennen, sie war während der WM nicht fähig, das Thema zu bearbeiten und sie war und ist nach der WM nicht bereit, die Komplikationen der Erdogan-Fotos zu analysieren und zu verarbeiten.
Das Rummenigge-Wort, dass der DfB von Amateuren durchsetzt sei, lässt sich kaum besser als mit diesem Narrativ unterfüttern. Nun hat sich Özil mit seiner Erklärung selbst aus der Geschichte gebettelt. Der DfB muss jetzt eine Position dazu entwickeln. Obwohl alles ganz einfach ist, ist mit dem Schlimmsten zu rechnen.