Kommentar
DfB: Denn sie wissen nicht, was sie tun – Teil zwei
Mesut Özils Rücktritt aus der Nationalmannschaft ist ein erster richtiger Schritt, nur die Begründung ist falsch – Warum die Krise der Nationalmannschaft weit über das sportliche Versagen hinausreicht
Kommentar von Siegfried Zagler
Als der erste DAZ-Kommentar zum Fall Özil geschrieben wurde, war lediglich der erste Teil des dreiteiligen Özil-Statements erschienen. Im Abstand von jeweils zwei Stunden folgten die anderen beiden Teile, die Rassismusvorwürfe gegenüber DfB-Präsident Grindel enthalten, womit Özil seinen Rücktritt auf eine hochpolitische Ebene hievt. Deshalb dieser zeitnahe zweite Kommentar. Es ist nämlich irritierend, dass der 92-fache Nationalspieler Mesut Özil eine hochpolitische Erklärung bezüglich seines Rücktritts abgibt, ohne dabei die menschenverachtende Politik des türkischen Staatspräsidenten zu erwähnen.
Das DfB-Desaster beginnt deutlich vor der WM, nämlich mit dem Fototermin zwischen dem autokratischen Staatspräsidenten Erdogan und den beiden türkischstämmigen Nationalspielern Ilkay Gündogan und Mesut Özil sowie der DfB-Duldung dieser inakzeptablen Wahlkampfunterstützung. Es ist naiv und unverantwortlich, Amt und Person trennen zu wollen, wenn Amt und Person für Verbrechen gegen die Menschlichkeit stehen. Mesut Özil hat sich nicht von Erdogan distanziert, sondern seinen Rücktritt mit seiner narzisstischen Kränkung erklärt.
Reinhard Grindel muss sich nicht ernsthaft mit dem irrwitzigen Vorwurf des Rassismus auseinandersetzen, sondern zurücktreten, weil er viel zu spät mit Nachdruck von Özil eine Erklärung forderte. Für Oliver Bierhoff gilt das Gleiche. Der Manager der Nationalmannschaft warf vor der WM den Medien vor, “das Thema” künstlich heiß zu kochen, um nach der WM einzuräumen, dass man auf Özil wohl besser hätte verzichten müssen. Das ist Gift und unpassende Illoyalität, auch wenn es als Selbstkritik gedacht war. In dieser Hinsicht ist Özil zurecht gekränkt.
Der DfB hatte in seiner Geschichte zahlreiche Krisen zu verarbeiten, doch nun brennt es lichterloh wie nie und die gesamte Vorstandschaft wirkt überfordert. Mit Sprachhülsen und Beschwichtigungsformeln ist der Vertrauenskrise nicht mehr beizukommen, weshalb Grindel und Co. noch immer vielsagend schweigen.
Die deutsche Fußballnationalmannschaft ist in ihrer politischen Bedeutsamkeit und auch in ihrer gesellschaftlichen Gestaltungskraft ein ernstzunehmender politischer Faktor. Sie ist eine Art Projektionsfläche für nationale Angelegenheit, eine Pausenzeichnung dafür, welche Werte zu welchem Zeitpunkt vorherrschen und zu vermitteln sind.
Diese politische Verantwortung komplett an Marketingagenturen abgegeben zu haben, ist eine moralische Bankrotterklärung – ein unverzeihlicher Akt der Selbstinszenierung und ein durchschlagender Beleg dafür, wie weit sich beim DfB Anspruch und Wirklichkeit voneinander entfernt haben.