DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Dienstag, 29.04.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Detailreich aus der Distanz

Brechtfestival: Regine Lutz über die Schauspielerei mit Brecht

Von Frank Heindl

„Er war nicht der wichtigste Mensch in meinem Leben, aber der wichtigste in meinem Beruf und in meiner Arbeit“. Die 82jährige Schauspielerin Regine Lutz erinnert sich detailreich und genau an den Mann, der ihr die Schauspielerei beigebracht und sie zum Star gemacht hat – und bleibt doch in einer gewissen Distanz zum großen Dichter. Das machte den Abend mit ihr so spannend, unterhaltsam, stark: Sie verehrt ihren Brecht nicht, aber sie hat seine Bedeutung erfasst.

Regine Lutz

Regine Lutz


Joachim Lang, Leiter des Augsburger Brechtfestivals, kennt die Schauspielerin seit 20 Jahren, hat sie diverse Male interviewt, präsentierte sie entspannt und im Plauderton. Und Regine Lutz brauchte ihn allenfalls als Stichwortgeber – ihre Erinnerungen sind lebendig, vom ersten Treffen mit Brecht bis ganz zum Schluss. 1948 war das, in Zürich, als sie für Brechts Erstaufführung des Puntila vorsprechen durfte und der Regisseur sie auf Anhieb engagierte. Lutz hatte einen großen Vorteil: Sie war keine ausgebildete Schauspielerin – Brecht konnte sie formen. Was er damals von seiner Truppe verlangte, das „epische“ Spiel, das „epische“ Sprechen, das forderte von den gelernten Akteuren eine völlige Abkehr von allem, was sie bisher praktiziert hatten. Brecht führte, so Lutz, „einen erbitterten Kampf gegen die Farbigkeit des damaligen Theaters“, den Schauspielern sei es „ganz furchtbar schwer gefallen, die Dramatik zu lassen“. Auch die berühmte Therese Giehse hatte mit diesen Vorgaben zu kämpfen. Regine Lutz schildert sie als eifersüchtig, geradezu „giftig“. Als Lutz sich über Brechts „Pflaumenlied“ amüsierte, habe die Giehse ihr gesagt, sie sei „einfach eine Sau“ – dabei habe sie die erotischen Anspielungen gar nicht verstanden.

Gerade mit ihrer Schilderung von Brechts harter Arbeit mit den Schauspielerei, von der extremen Genauigkeit, mit der er den Text probieren ließ („Die Inszenierung war minutiös, Wort für Wort“) und vom Unverständnis, auf das seine Anweisungen immer wieder stießen („Niemand hat was gesagt gegen Brechts Spielweise, aber in den Garderoben wurde sehr geschimpft“) – macht Lutz das Genie Bertolt Brechts deutlich: Oftmals scheint nur Brecht selbst in der Lage gewesen sein, die Wirkung seines „neuen Theaters“ vorherzusehen. Sein Vertrauen auf den Text bei stark reduzierter Schauspielkunst muss enorm gewesen sein – und er behielt recht.

Doch Regine Lutz wusste nicht nur vom „Fachlichen“ zu erzählen. Als Mann fand sie Brecht wenig anziehend: Er habe immer wieder Annäherungsversuche gemacht, „aber er roch so streng“, erinnert sie sich einerseits. Und berichtet andererseits noch immer fasziniert vom einzigen Kuss, zu dem es in der langjährigen Zusammenarbeit kam: „Ich bin nie wieder so sanft geküsst worden!“ Breiten Raum in ihren Erinnerungen nehmen Brechts Frauenbeziehungen trotzdem ein – Lutz hat vieles mitbekommen, weiß ergreifend über Helene Weigel zu erzählen: „Sie war die Mutter von uns allen. Sie hat die Gage gemacht, sie hat die Verträge gemacht, sie hat sich um jeden Hosenknopf gekümmert“. Brecht betrügt Weigel nicht nur einmal, und doch habe sie „nicht eine einzige Eifersuchtsszene mitbekommen.“ Es lässt die gefeierte Weigel in einem anderen Licht erscheinen, wenn man weiß, dass sie nicht nur ihren Bertolt Brecht nahezu stoisch so akzeptierte, wie er nun einmal war – auch schauspielerisch führte Brecht sie an Grenzen: „Die Reduktion, die Brecht ihr auferlegte, hat ihr bestimmt sehr oft große Qualen bereitet“, erzählt Lutz, immer sei die Weigel unter Zwang gewesen, „es wurde ihr immer ein Geschirr angelegt.“

Ganz klein macht Regine Lutz den großen Brecht am Ende. Bewegt erzählt sie von den letzten Proben in Berlin zum „Galilei“, dessen Aufführung Brecht dann nicht mehr erleben sollte: Brecht sei erschreckend müde gewesen, und „er war so unglaublich grau und so unglaublich klein.“ Und doch: Dieser kleine, graue, schlecht gekleidete und nicht gut riechende Mann hat Literatur- und Theatergeschichte geschrieben, und er hat sich dabei so in die Erinnerungen seiner Mitarbeiter gebrannt, dass Menschen wie Regine Lutz ihn noch heute plastisch zum Leben erwecken können. Die sicherlich bemerkenswerten Filmdokumente, die Joachim Lang mitgebracht hatte, manche davon noch nie vor Publikum gezeigt, wurden so zum fast überflüssigen Beiwerk – Brecht wurde in Erzählungen lebendig, nicht auf Zelluloid, und in seinen Liedern, die die Schauspielerin zur Klavierbegleitung vortrug. Zum Beispiel dem von der „verderbten Unschuld beim Wäschefalten“: „Das ist ein originaler Brecht, ich singe es immer noch genauso. Und immer wenn ich es singe, höre ich ihn.“ Das hätte Brecht gefallen.