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Mittwoch, 15.01.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Der Zyniker und sein Gretchen im Alten Stadtbad

Brechtfestival: „Baal badet“

Von Frank Heindl

Sehr expressiv kam Brechts antiexpressionistisches „Baal“-Drama am Freitagabend im Alten Stadtbad daher. Das Ensemble „Bluespotproductions“ hatte das „Baal badet“ ins Jugendspielambiente geholt, ließ den jungen Künstler seine Flüche auf die Welt, seine Verachtung der Gesellschaft und auch allem anderen gegenüber im weiten, akustisch erstaunlicherweise akzeptablen Gewölbe ertönen. Das hatte durchaus ein bisschen Happening-Charakter, vor allem aber eine starke atmosphärische Ausstrahlung – ganz unabhängig vom Stück. Der Blick durch die verspielten Geländer auf der Empore schweifte, zwischen alten Bahnhofsuhren und schweren Deckenlampen hindurch, in der Pause zu Zuschauern, die sich in den offenen grünen Umkleidekabinen niedergelassen hatten, wo viele auch ihre Mäntel deponiert hatten – es war endlich mal richtig warm beim Brechtfestival. Auch während des Stücks musste man öfter den Blick schweifen lassen – über die mitunter nur von fahlem Kerzenlicht und den grünen Schildern der Notausgänge beleuchteten Gesichter der Zuschauer, an die Decke, wohin Szenen und Assoziationen projiziert wurden.

Unten aber, rund ums gefüllte Becken, stritten Baal (Felix Zählke) und sein Freund Ekart (Florian Hackspiel) vor allem um Sophie (Eva Gold), die in Nora Schüsslers Inszenierung auch die anderen Frauengestalten aus Brechts Text mit repräsentierte. Gold durfte zwischendurch auch singen (am Sonntagabend war sie mit ihrem Ensemble „Misuk“ im Schlusskonzert des Brechtfestivals zu hören). Begleitet von Girisha Fernando an der (teilweise mit dem Bogen gestrichenen) Gitarre kam so der „Choral von großen Baal“ ebenso zur Aufführung wie das berührende Gedicht „Als sie ertrunken war“. Sophie/Eva Gold aber war ein deutsches Gretchen: so zart, so schüchtern, so hilflos, so ausgeliefert – und so schön auch noch im Tod, wie sie da auf dem Wasser trieb im weißen, schwebende Kleid, mit stumm geöffnetem Mund …:

„Als ihr bleicher Leib im Wasser verfaulet war / Geschah es (sehr langsam), dass Gott sie allmählich vergaß. / Erst ihr Gesicht, dann die Hände und ganz zuletzt erst ihr Haar. / Dann ward sie Aas in Flüssen mit vielem Aas.“

Schön, wieder einmal zu vernehmen, wie, durch all die zynischen Sprüche Baals hindurch, sich schon beim frühen Brecht das ganz tiefe Mitgefühl für das Leid des Menschen paarte mit den mitleidslos-brutalen Worten des sezierenden Chirurgen, und wie daraus eine Schönheit der Sprache resultiert, die ihn zu dem machte, was er zweifelsohne war: der bedeutendste Lyriker des 20. Jahrhunderts. Die Analyse, woher all das Unglück denn kommt und warum der Dichter Baal sich so hart von der Welt abwenden zu müssen glaubt – sie fehlte im Baal. Sie folgte im späteren Werk.