„Der Wunsch nach einem Neuanfang ist sehr groß“
Interview mit Stefan Kiefer
Wenn sich im politischen Augsburg die Experten über die kommende Kommunalwahl unterhalten, dann sind sie sich sehr schnell darin einig, dass eine Große Koalition zwischen der CSU und der SPD “im Raum steht”. Das hat damit zu tun, dass Pro Augsburg bei der CSU als möglicher Koalitionspartner nicht mehr in Frage kommt und es aus verschiedenen anderen Gründen wahrscheinlich ist, dass es weder für das bürgerliche Lager noch für den linken Block eine regierungsfähige Mehrheit gibt. Das muss noch nicht zwingend zu einer Augsburger “GroKo” führen. Was fundamental gegen eine Große Koalition spricht, ist zum Beispiel eine tiefe persönliche Abneigung zwischen den beiden Frontmännern der beiden großen Parteien. Kurt Gribl (CSU) und Stefan Kiefer (SPD) pflegen seit langer Zeit eine persönliche Feindschaft. “Eine Große Koalition auf kommunaler Ebene zwischen SPD und CSU ist nicht mein Ziel und widerspräche meinen Erfahrungen der letzten 12 Jahre”, so Kiefer im DAZ-Interview, das sich in erster Linie um mögliche Koalitionen nach der Kommunalwahl dreht.
DAZ: Herr Kiefer, Sie wollen als Kandidat der SPD Oberbürgermeister der Stadt Augsburg werden. Nehmen wir an, dieses Vorhaben würde überraschenderweise gelingen und die SPD hätte zusammen mit den Grünen und den Linken 31, 32 oder gar 33 Sitze. Es handelt sich hier nicht um eine Annahme, sondern um ein Denk-Modell. Würden Sie ähnlich wie die CSM vorgehen und und andere Fraktionen ab sechs Sitze bei der Vergabe der Referate mit einbeziehen?
Kiefer: Also wieso es überraschend sein soll, dass ich gewählt werde, das lassen wir mal außer Acht. Nach den Pannen und Pleiten dieser Stadtregierung ist der Wunsch nach einem Neuanfang sehr groß. Das räumt immerhin auch die CSM ein, sonst hätte sie sich nicht von der CSU abgespalten. Wie Mehrheiten in Zukunft im Stadtrat aussehen, ist Kaffeesatzleserei. Dass die CSM, die noch nie an einer Wahl teilgenommen hat, jetzt schon Referate verteilt, ist doch etwas verfrüht. Das müssen wir dem Wähler überlassen.
“Wie Mehrheiten in Zukunft aussehen, ist Kaffeesatzleserei”
DAZ: Tut die CSM auch, aber sie macht auch eine klare Ansage, wie ihre Haltung nach der Wahl aussieht.
Kiefer: Welche persönliche Haltung ich zu dem Thema habe, will ich gerne – und nicht zum ersten Male – kundtun. In einer Stadt, in der weder SPD und Grüne einerseits noch die CSU andererseits eine strukturelle Mehrheit findet, ist eine Zusammenarbeit dieser beiden Lager noch zwingender als anderenorts. Und das geht nur durch Beteiligung. Das hat auch bis 1990 in Augsburg funktioniert und wurde in den nachfolgenden 24 Jahren mehr oder weniger missachtet, am deutlichsten in dieser Ratsperiode, und nicht zum Vorteil der Stadt.
DAZ: Also auch von 2002 bis 2008?
Kiefer: Auch da, aber nicht mit der Deutlichkeit wie zwischen 1996 und 2002 und nach 2008. Dennoch: ich sehe diese 24 Jahre als Block und Phase der wechselseitigen Ausgrenzung auf kommunaler Ebene. Aus diesem Fehler ziehe ich Schlüsse. Deshalb werden unter mir als Oberbürgermeister mit einer SPD-geführten Stadtregierung beide Lager einbezogen, wie das früher jahrzehntelang in Augsburg so gewesen ist. Wobei aber vor allem die Qualität der Bewerberinnen und Bewerber um einen Referentenposten im Mittelpunkt steht, also keine automatische Benennung nach Parteibuch erfolgt.
“Ich bezweifle, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger beim Ausfüllen des Wahlzettels in Koalitionen denken”
DAZ: Aber ist es nicht so, dass man aus Wahlergebnissen (auch bei kommunalen Parlamenten) einen Wählerwillen zu einer Koalition herauszulesen hat? Wie viele Sitze müsste Rot-Grün-Rot haben, damit die SPD zusammen mit den Grünen und den Linken eine Koalition schmiedet?
Kiefer: Ich bezweifle, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger beim Ausfüllen des Wahlzettels in Koalitionen denken. Sie gehen davon aus, dass der gewählte Stadtrat zusammenarbeiten kann. Oft geht es bei der Wahlentscheidung auch um persönliche Bekanntschaften oder um Einzelthemen, die man beim einen oder anderen Bewerber besser aufgehoben sieht. Daraus bei jedem Wähler eine zwingende weltanschauliche Richtungsweisung für die Stadt in sämtlichen Sach- und Personalfragen herauslesen zu wollen, halte ich für gewagt.
DAZ: Wie erklären Sie sich dann das Phänomen „Stammwähler“?
Kiefer: Klar haben viele Wählerinnen und Wähler eine persönliche Haltung, die sie in einer Partei am besten aufgehoben sehen. Die wählen dann ja auch “ihre” Partei, auch auf kommunaler Ebene. Aber eine Koalition wählen sie deshalb noch nicht. Sie wollen, dass so viel wie möglich von ihrer Präferenz und Haltung zur Geltung kommt und deshalb “ihre” Partei so gut wie möglich abschneidet. Darüber hinaus gibt es sicher noch politische Gruppierungen, mit denen solche Wähler besser oder schlechter leben können, neben der Partei, deren “Stammwähler” sie sind.
DAZ: Den Grünen in Augsburg, so sehen sie das mehrheitlich wohl selbst, würden die Stammwähler davon laufen, wenn sie mit der CSU eine Koalition eingingen. Sehen Sie diese Gefahr bei der SPD nicht?
Kiefer: Was Wählerinnen und Wähler bei Beobachtung des Stadtrats und der Parteiprogramme erkennen können ist, dass die SPD mit den örtlichen Grünen in mehr Fragen übereinstimmt als mit anderen Parteien. Das ist sicher die Grundlage, um insbesondere in diesem Bereich auch weiterhin Ziele gemeinsam zu verfolgen, zum Beispiel bei Fragen der Bildung und der Umwelt. Aber deshalb muss es doch keine generelle Koalition unter strukturellem Ausschluss aller anderen Akteure geben, so wie dies diese Ratsperiode unter dem jetzigen Oberbürgermeister gelebt wurde, wo z.B. die Grünen nicht in einem einzigen Aufsichtsrat akzeptiert wurden. Ein derartiges gezieltes Fernhalten von Beteiligung gab es übrigens auch unter Hans Breuers Zeiten nicht und das gibt es z.B. auch in Nürnberg heute nicht, wo die SPD sowohl Grüne als auch die CSU bei der Besetzung der Referate mit ins Boot genommen hat.
“Wir sollten die typischen Rollenbilder “Opposition” und “Regierung” auf kommunaler Ebene möglichst weit zurückdrängen”
DAZ: Regierung und Opposition sind dann kaum noch unterscheidbar.
Kiefer: Ich finde, wir sollten die typischen Rollenbilder “Opposition” und “Regierungsparteien/Koalition”, die in Bundes- und Landtag ihre Berechtigung haben, auf kommunaler Ebene möglichst weit zurückdrängen. Denn letztendlich gilt: Um den politischen Wandel und eine zukunftsfähige nachhaltige Politik für Augsburg zu erreichen, brauchen wir eine möglichst breite Basis für alle Entscheidungen. Das heißt auch, dass wir bei den anderen Rathausfraktionen für unseren Kurs werben werden.
DAZ: Okay. Lassen Sie uns dennoch von der Vorstellung „Regierung versus Opposition“ ausgehen. Lassen Sie uns ein anderes Modell denken: Die CSU hat nach dem 16. März die größte Fraktion, aber für eine Koalition mit den möglichen Koalitionären im bürgerlichen Lager reicht es nicht im bürgerlichen Lager. Würden Sie auf eine große Koalition mit der CSU eingehen, wenn man Sie zum Beispiel mit einem Koalitionsvertrag mit SPD-Handschrift und der Hälfte der Referate umschmeicheln würde?
Kiefer: Eine solche Große Koalition auf kommunaler Ebene zwischen SPD und CSU ist nicht mein Ziel und widerspräche meinen Erfahrungen der letzten 12 Jahre. Denn sie hätte wiederum den Ausschluss anderer Gruppierungen und der dahinter stehenden Wählerschaft zur Folge, was ich kommunalpolitisch für falsch halte.
“Eine rechnerische Mehrheit für sich allein heißt noch lange keine gute gedeihliche Politik”
DAZ: Sie sehen also keine Basis für eine „GroKo“ in Augsburg?
Kiefer: Eine tragfähige Zusammenarbeit basiert für mich auf gemeinsamen Inhalten und persönlichem Vertrauen. Eine rechnerische Mehrheit für sich allein heißt noch lange keine gute gedeihliche Politik, was wir die letzten Jahre gut verfolgen konnten. Gerade die Augsburger CSU in ihrer derzeitigen Zusammensetzung ist schwer einzuschätzen. In den letzten Jahren war kaum erkennbar, wofür sie steht; außerdem ist sie sehr zerstritten und immer wieder stark mit sich selbst beschäftigt. Der Spruch „Tunnel statt Chaos“ steht symbolhaft für diese Partei, auch die fehlende Transparenz beim Curt-Frenzel-Stadion und der Einsatz von städtischer Werbung zu eigenen Zwecken. Was soll sich künftig ändern, wenn diese CSU weiter am Steuer sitzt?
DAZ: Möglicherweise viel. Die CSU säße dann ja nicht mehr allein mit einem schwachen Partner am Steuer, sondern mit der SPD als Co-Pilot. Aber lassen wir die spezielle Augsburger Situation bei der CSU mal außen vor. Können Sie unseren Lesern kurz erklären, auf welcher Basis eine SPD-geführte Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen stattfinden könnte?
Kiefer: Eine SPD-Handschrift bei den Inhalten ist für mich Voraussetzung einer Regierungsbeteiligung. Um eine „Koalition“, also eine Art Nibelungentreue in allen Entscheidungen, wird es meines Erachtens in Zukunft gar nicht gehen, sondern um eine Zielvereinbarung zwischen den Fraktionen und darauf aufbauend um konkrete inhaltliche Schritte. Persönlich und inhaltlich stehen uns andere Parteien näher als die derzeitige Augsburger CSU, weshalb wir eine breitere Mehrheit für eine Regierung anstreben. Wir wollen den spürbaren Wechsel bei den Themen und im Stil des Umgangs miteinander.
DAZ: Das klingt nach einer Präferenz aus der Erfahrung heraus. Woran soll der Wähler diese Ausrichtung festmachen?
Kiefer: Die Präferenzen gehen nach den inhaltlichen Überschneidungen, wonach sonst. Das brauche ich unseren Wählern nicht eigens zu erklären. Das Beispiel „Sozialticket“ zeigt, dass SPD, Grüne und Linke ganz offensichtlich eine andere Sozialpolitik für erforderlich halten, als die CSU (Sozialticket ist „blöd“) oder Pro Augsburg (Sozialticket ist „ordnungspolitischer Unsinn“). Ich wünsche mir eine Mehrheit im Rathaus, die auch bereit und willens ist, dringende bildungs-, umwelt- und sozialpolitische Weichen in Augsburg zu stellen: für eine aktive Arbeitsmarktpolitik, mehr Armutsbekämpfung, Schaffung bezahlbaren Wohnraums, Schulsanierungen, Radwege et cetera. Und für diese Themen kämpfen SPD, Grüne und Linke nachweislich verlässlicher als das sogenannte bürgerliche Lager.
DAZ: Herr Kiefer, vielen Dank für das Gespräch.
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Fragen: Siegfried Zagler