DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Dienstag, 16.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Der Rückweg – zerbombt

Premiere in der Komödie: „Motortown“ von Simon Stephens

Von Frank Heindl

Ganz normal autistisch: Lee (Tjark Bernau) mit Bruder Danny

Ganz normal autistisch: Lee (Tjark Bernau) mit Bruder Danny


Danny kehrt aus dem Krieg zurück und ist plötzlich ein Fremder in der Heimat. Ein Thema, das noch vor wenigen Jahren anderen Nationen vorbehalten war: Nur US-Amerikaner, immer öfter auch Engländer litten damals am so genannten posttraumatischen Belastungssyndrom – an den unbewältigten Folgen dramatischer Kriegserlebnisse. Mittlerweile häufen sich dessen Symptome auch bei deutschen Kriegsheimkehrern, die die Erfahrung von Gewalt und Sinnlosigkeit mit nach Hause bringen. Ein gut gewählter Zeitpunkt also, Simon Stephens‘ „Motortown“ von 2006 aufzuführen.

Blutrot leuchtet die Leinwand, die in der Komödie (Bühnenbild: Ann Poppel und Stefan Röhrle) hinter dem grübelnden Danny aufgespannt ist. Ein zähnefletschender, Angst einflößender Hund ist darauf zu erkennen, ein Stock im Vordergrund scheint ihn in Zaum zu halten. Wie lange noch? Danny ist gerade angekommen, hat eine Nacht bei seinem Bruder verbracht – dem Autisten Lee (brillant verklemmt: Tjark Bernau). Der interessiert sich wenig für seine Umgebung, dafür umso mehr für geregelte Mahlzeiten. „Ich bin froh, dass du Soldat bist. Ich bin froh, dass du tapfer bist“, teilt er Danny mit, um ihm dann verdruckst (und doch ein bisschen triumphierend) zu verkünden, dass dessen Vorkriegs-Freundin nichts mehr von ihm wissen wolle.

Für Danny scheint eine Welt zusammenzubrechen – doch schnell versteht der Zuschauer, dass diese Welt in Wahrheit schon im Irak in Scherben gegangen ist, in Basra, wo Danny all das erlebt hat, wovon die Zeitungen berichten. Er hat von Bomben zerfetzte Kinder und sterbende „Kameraden“ gesehen, er hat Frauen die Burka vom Leib gerissen, um sie zu demütigen, hat erlebt, wie Gefangene gequält, Menschen erschossen wurden. Seine Briefe von „da unten“ an Marley (Olga Nasfeter) haben dieser so Angst gemacht, dass sie ihn nicht mehr sehen will.



„Was wir für Sachen gemacht haben in Basra…“


Überlebenskampf vor zerborstener Brücke: Judith Bohle als Jude, Michael Stange als Danny

Überlebenskampf vor zerborstener Brücke: Judith Bohle als Jade, Michael Stange als Danny


Danny will zurück in sein altes Leben, doch er findet keine Anhaltspunkte dafür. Seine Eltern will er nicht sehen, die Freizeitangebote seines alten Freundes Tom (Toomas Täht) interessieren ihn irgendwie nicht mehr. Eine Freundin, ein Auto, ein geregelter Job, das würde zu seinen Vorstellungen eines heilen Lebens gehören – das meiste davon kann er nicht kriegen. Einem philosophisch angehauchten Waffenhändler (aufgeklärt-zynisch wie einfühlsam-brutal: Anton Koelbl) spannt er immerhin flugs die Freundin aus und entführt sie an den Strand – um sie zu ermorden. „Was wir für Sachen gemacht haben in Basra, ich kann dir sagen…“ – Danny wühlt in seinen quälenden Erinnerungen und seine Erinnerungen wühlen in ihm. Er spielt sie nach, wie Kinder nachspielen, was sie nicht verstanden haben: Menschen quälen, Frauen quälen, welchen Sinn hatte das in Basra?

Und welchen Sinn hat es hier? Michael Stange zeigt unter der Regie von Schauspieldirektor Markus Trabusch in rücksichtloser, kalter Strenge den aussichtslosen Kampf des mordtrainierten Soldaten gegen seine inneren Bilder. Danny weiß, was er tut, und weiß es doch nicht. Und will es nicht und tut es doch. Wie neben ihm Judith Bohle als Jade verzweifelt, mutig, elend-ausgeliefert ihre rettungslose Situation nicht wahrhaben will, das ist ebenso bravourös gespielt wie hart anzusehen. Denn ihr bleibt keine Chance – Danny hat, wie beim Militär üblich, den praktischen Leichensack schon mitgebracht. Zwei Zuschauer verlassen nach dieser Szene die Vorstellung – man kann das gut nachfühlen, auch wenn man selbst ausgeharrt hat.

„Alles klar Mann? – Aber hallo Mann!“

Der Mensch als Kampfhund und Büchners Woyzeck – ganz nah: Danny ist Mörder und Opfer

Der Mensch als Kampfhund und Büchners Woyzeck – ganz nah: Danny ist Mörder und Opfer


Was dann noch passiert auf der Bühne der Komödie, ist nur noch jene banale „Normalität“, zu der für Danny kein Weg zurückführt. Das gelangweilte Paar am Strand (Ute Fiedler und Philipp von Mirbach), das im muskelbepackten Soldaten ein Spielzeug fürs in die Jahre gekommene Sexleben sieht; die lockeren Sprüche („Alles klar Mann? – Aber hallo Mann!“), deren Hohlheit nun peinigend deutlich zu Tage tritt; und schließlich das erneute Zusammentreffen mit Lee. In einer innigen Umarmung schließt sich der Kreis zur Eingangsszene: „Du riechst genauso wie ich – könnte ich kotzen!“, sagt Danny seinem Bruder. Und wäre doch gerne wie dieser, wie wir Zuschauer, wir Zeitungsleser: Wie gerne würde er nichts wissen, nichts wissen wollen, nichts wissen können von der alltäglichen Deformierung derer, die wir in die Kriege gegen den Terror oder was oder wen auch immer delegieren. „Ich bin froh, dass du Soldat bist. Ich bin froh, dass du tapfer bist“ – wir sind froh, dass du das für uns übernimmst, mit den Folgen allerdings können wir nichts anfangen, wollen wir nichts zu tun haben – wichtiger sind da schon auch uns „Normal-Autisten“ die geregelten Mahlzeiten.

Für Danny gibt es diese verlogene Normalität nicht mehr. Ganz hinten, zwischen den die Bühne begrenzenden Wellblechwänden und noch hinter dem wildgewordenen Kampfhund, den auch kein Knüppel mehr in Zaum zu halten vermag, hängt das Bild einer geborstenen, zerbombten Brücke. Dass über sie kein Weg zurückführt, stand von Anfang an fest – und womöglich ist es diese ausweglose Strenge der Inszenierung, diese Determiniertheit des vorbestimmten Weges in die Katastrophe, diese radikale Behandlung des Täters als Opfer, die das Publikum ratlos macht. Der Applaus war nicht sparsam, aber Büchners Woyzeck, zweifellos ein Vorbild für Stephens‘ Danny, bekäme wohl mehr Beifall. Möglicherweise könnte man den Woyzeck leichter als „immer noch aktuell“ diskutieren, ohne gleich eine solch bedrückende Nähe spüren zu müssen.