Der „negative Wahlkampf“ der Freien Wähler
Wie die Augsburger Freien Wähler neue Wähler gewinnen wollen
Von Siegfried Zagler
I
Der Wahlkampf der Freien Wähler ist anders als derjenige, den man bisher in Augsburg kannte. „Negative campaigning“ ist der Begriff dafür, womit die Freien Wählern bei jungen politverdrossenen Wählern zu punkten hoffen. Entwickelt wurde diese Form des politischen Marketings in den USA. Es geht darum, den politischen Gegner dergestalt zu verunglimpfen, dass dem Wähler nichts mehr andres übrig bleibt, als den am wenigsten Beschädigten zu wählen. Rainer Schönberg und Volker Schafitel haben es dabei auf bestimmte Personen abgesehen. Schönberg ließ im Vorwahlkampf keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass alle „Pro Wählervereinigungen“ einen rechtspopulistischen Hintergrund hätten und wollte wissen, wie es sich damit bei Pro Augsburg verhält. Volker Schafitel bezeichnete in seiner letzten Pressemitteilung die Aussage, dass das vermehrte Verkehrsaufkommen in der Stettenstraße nach der Königsplatzeröffnung von der Stadt prognostiziert wurde, als eine „glatte Lüge“.
II
Die beiden Harley-Biker Schafitel und Schönberg sind mit der groben Keule schnell bei der Hand. Nun versuchen sie sich mit einer schwierigen Kunst: dem Sezierwerkzeug des negative campaignings: der Satire. In einer ganzseitigen 1.000 Euro-Anzeige in der Januar-Ausgabe des Augsburg-Journals, die im Facebook-Layout dargestellt ist, machen sich die Freien Wähler über die Facebook-Auftritte ihrer politschen Gegner lustig. Außer dem ausgesprochen souveränen Hermann Köhler (Bildungsreferent) und dem weniger souveränen Max Weinkamm (Sozialreferent) sind in Augsburg alle Referenten plus Oberbürgermeister Kurt Gribl auf Facebook aktiv. Anders gesagt: Bis auf wenige Ausnahmen bilden die Granden der politischen Stadt ihre Welt auf Facebook ab. Das geht natürlich nicht ganz ohne Peinlichkeiten über die Bühne.
III
Das soziale Netzwerk Facebook ist ein Medium des „Ich-Marketings“, also eine Kunst-Welt, in der alles Schöne, Wahre und Gute, das einem Menschen widerfahren kann, mit einem Foto und zwei bis drei Sätzen abgebildet wird. – Kurt Gribl und Sigrid Einfalt, Eva Weber, Hermann Weber, Stefan Kiefer, Peter Grab, Rainer Schaal, Margarete Heinrich u.v.m. verzahnen dabei nicht selten das Private mit dem Öffentlichen. Eine schwierige Form der Selbstdarstellung, die Brecht mit seinem „Arbeitsjournal“ und später ein gewisser Max Frisch mit seinen „Tagebüchern“ meisterhaft beherrschten. Der qualitative Unterschied zwischen den Augsburger Lokalpolitkern und den beiden Großschriftstellern muss nicht beschrieben werden, die Methode schon: Während Brecht und Frisch die eigene Haltung und ihre Kunst hinterfragten, erleben die Protagonisten auf Facebook die Welt als Wonne und zelebrieren ihre Tüchtigkeit in dieser wunderbaren Welt als organisierte Selbstvergewisserung. Die Anzeige der Freien Wähler veräppelt das sich gegenseitige Tollfinden (liken) der politischen Kaste auf Facebook in einer Art Persiflage, also in einer fiktiven Erzählform, die jede Aussage, ob nun wahr oder unwahr, möglich macht.
IV
In dem Satire- und Schmuddelblog Arno Löbs (Augsburger Skandalzeitung) hat der anarchische Stil der Vermengung von realistischen Szenarien (meist aus Medienberichten) und Fiktion seit vielen Jahren Tradition und viele treue Leser gefunden. Löb vermischt die Reportage mit der Satire und lässt am Ende eine dritte Person „das Geschreibsel“ kommentieren. Manchmal, so könnte man meinen, lugt bei der „Augsburger Skandalzeitung“ Bertolt Brecht um die Ecke. Die politische Anzeige der Freien Wähler im Augsburg-Journal kann nur einer entworfen und entwickelt haben: Der ewige Punker Arno Löb, der in der Kommunalwahl 2008 auf Platz 10 der Freien Wähler-Liste für den Stadtrat kandidierte. „Kein Kommentar“, so Löb auf Nachfrage, ob er für die Verunglimpfung gewisser Personen im Rahmen einer FW-Anzeige verantwortlich sei. Bisher ist nur das Polit-Greenhorn Markus Arnold (FDP) in die Falle der Freien Wähler gelaufen. In einem Offenen Brief an die FW fordert er Schönberg auf, sich bei den Personen öffentlich zu entschuldigen und von weiteren „Anzeigen in dieser Form abzusehen“. Das Schreiben Arnolds ist eine erhoffte Reaktion im System des negative campaigning. Arnold ist Schönberg nicht nur auf den Leim gegangen, sondern hat Löbs satirischen Reportage-Stil mit einer Untervariante der Realsatire angereichert.
Der Text des Anstoßes ist auf der Facebookseite “augschbook” zu finden. In der Februar-Ausgabe des Augsburg-Journals soll die zweite Staffel folgen.