Der Fluch des Egoismus – Die „Weihnachtsgeschichte“ im Martinipark
Für das Familienstück hat das Augsburger Theater in diesem Jahr einen Klassiker ausgewählt: „Eine Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens. Sie ist aktuell wie eh und je.
Von Halrun Reinholz
Vor dem abweisenden Büro des Geldverleihers Ebenezer Scrooge (Patrick Rupar) steht ein als Tannenbaum verkleidetes Kind und singt. Scrooge lässt es durch seinen Angestellten Bob Cratchit vertreiben, denn Weihnachten hält er für „Humbug“, das den Arbeitsablauf stört.
Charles Dickens` Kritik am menschenverachtenden Kapitalismus aus dem Jahr 1843 trifft seither den Nerv der Leser und wurde schon bald in verschiedenen Formen auf die Bühne gebracht – als Theaterstück, als Musical, als Film oder gar als Disney-Comic mit dem geizigen Dagobert Duck in der Rolle des Ebenezer Scrooge. Die Geschichte ist zeitlos und vielleicht aktueller denn je – Egoismus, Ich-Zentrierung und Hartherzigkeit sind auch für das junge Publikum von heute sichtbare Phänomene, die hinterfragt werden müssen. Das Premierenpublikum im Martinipark bestand aus Horden von Schulklassen, weitere werden im Laufe der nächsten Monate folgen. Da kann man eine kompetente Beurteilung erwarten. 80 Minuten einigermaßen diszipliniertes Zuschauen und Zuhören sprechen für die Aufführung, der begeisterte Applaus am Schluss auch.
Regisseurin Yvonne Kespohl hat in Augsburg bereits „Alice im Wunderland“ inszeniert. Die Figuren auf der Bühne sind bei ihr auf sympathische Art überzeichnet: Überbreite Schultern, riesige Frisuren, schrille Farben (Bühne und Kostüme: Lydia Huller). Das karge, graue Büro von Scrooge steht in sichtbarem Kontrast zu den Häusern drumherum, die warm und farbenfroh sind. Aus dem Neffen Fred wurde in Augsburg die Nichte „Freddie“, die den sturen Geizhals warmherzig und empathisch jedes Jahr zum Weihnachtsessen einlädt. Die zwischenmenschliche Interaktion steht dadurch in sichtbarem Kontrast zum kalten Rationalismus des Geldverleihers.
Patrick Rupar gelingt es gut, die Wandlung vom egomanen Geizhals zum einsichtigen Wohltäter glaubhaft zu machen. Nur sechs weitere Schauspielerinnen und Schauspieler (Kai Windhövel, Elif Esmen, Natalie Hünig, Katja Sieder, Jannis Roth und Ute Fiedler) teilen sich die weiteren (über 20) Rollen, was bei den teils aufwendigen Kostümen logistisch nicht ganz einfach ist. Vor allem die drei Weihnachts-Geister, die Scrooge letztlich zur Umkehr bewegen, sind eher fantasievoll als furchterregend. Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit hätte die Musik verdient, die eher im Hintergrund abläuft und sich nicht markant hervorhebt. Gerade bei den Kinderstücken, wo die musikalische Umrahmung die Botschaft des Stückes erfahrungsgemäß gut unterstützen kann, hätte sich da mehr angeboten. Doch unabhängig davon verbreitet das Geschehen auf der Bühne in bester britischer Manier gute Laune, indem das eigentlich meist tragische Geschehen mit einer kräftigen Portion Komik aufgebürstet wird.
Das kompetente Publikum zollte den Akteuren, wie bereits erwähnt, donnernden Applaus, auch wenn die stürmischen Zugabe-Rufe unerhört blieben. Im Theater sind die Geister der Weihnacht schon da, jetzt kann das Fest kommen.