DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Sonntag, 24.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Meinung

Kommentar: Der Fall Silvano Tuiach – Ein Clown im Zirkus Nietzsche

Die Coronapandemie treibt pittoreske Blüten im Kulturbereich und in der Politik. Blüten, deren Gerüche schwer zu ertragen sind. Der You-Tube-Kanal des Augsburger Komikers Silvano Tuiach gehört dazu. Tuiachs Plattitüden würden bei jedem Neujahrsempfang der AfD Begeisterungsstürme auslösen.

Kommentar von Siegfried Zagler

Politisches Kabarett erzählt nicht selten eine verkürzt dargestellte Gegebenheit, die sich tatsächlich ereignet hat und schöpft dabei durch Verzerrung Komik –  mit einer unerwarteten Schlussfolgerung oder einer abenteuerlichen Wendung der Erzählung. Meistens lacht das Publikum dabei über die Mächtigen und Erfolgreichen. Tuiach war in seiner Jahrzehnte währenden Bühnenlaufbahn selten Kabarettist, sondern meistens Clown – und zwar ein großartiger und dies ausschließlich in der lokalen Arena.

Seine unbestreitbaren Verdienste, ja sein Lebenswerk, besteht in hohem Maße darin, dass er sich in Augsburg über die Augsburger lustig machte, indem er ihnen „aufs Maul schaute“ und ihre Redensarten ins Hochdeutsche übersetzte. Mit Ranzmayr erfand er eine Kunstfigur, dessen Publikum aus den Landkreisen nach Augsburg pilgerte, um sich zusammen mit den Augsburgern über deren Lebensart und Weltsichten zu amüsieren – oft auf billige Weise, aber auch raffiniert. Damit füllte der Clown Silvano Tuiach Säle – und oft gelang ihm mit dem Publikum eine erstaunliche Intimität, weil er auch von sich erzählte, weil schließlich Ranzmayr auch Tuiach ist – der Uraugsburger, den er erfunden hat wie Reinhold Messner den Yeti.

Auf fatale Weise demonstriert Silvano Tuiach das nun auf You-Tube, wo er sich als „Geisterfahrer Silvano Tuiach“ vorstellt und seine Erzählungen meist an der Subjektivität seiner Erfahrungen aufbaut, und dabei hin und wieder ins Clowneske abgleitet. Und so changiert Tuiach auf You-Tube zwischen seiner Identität als Intellektueller, der er gerne wäre (und in seltenen Momenten auch ist), und seiner Pseudo-Identität als Geisterfahrer Ranzmayr.

Die meiste Zeit holzt Tuiach jedoch unverstellt als Silvano Tuiach mit dem Impetus des Stammtisches, also antiintellektuell und populistisch gegen die „Heiligtümer der Moderne“, also gegen RKI-Chef Wieler, die Klimagerechtigkeitsbewegung, ältere verschleierte Muslima, denen er Integrationsunfähigkeit unterstellt, gegen „Gutmenschen“, gegen die Wissenschaft („Huren der Politik“), die keine Einbußen durch die Pandemie zu beklagen hätten, gegen die öffentlich-rechtlichen Sender und natürlich gegen die christliche Kirche, gegen den zurück gebliebenen Dalai Lama, gegen „Kampfradler“ und gegen die Essgewohnheiten der Chinesen.

Dagegen wäre erstmal nichts einzuwenden, würde es sich im weitesten Sinne um Kunst handeln. Doch Tuiach wettert als er selbst, als „Ich“ aus einem überholten Paradigma heraus gegen eine Welt, die es außerhalb seiner ureigenen Erfahrungen kaum noch gibt. Es gibt längst keine Hauptschüler mehr und das Drei Mohren änderte nicht wegen ein paar „Gutmenschen“ seinen Namen, sondern weil zwei, drei Großkunden ihre Firmenfortbildungen dort nicht mehr fortsetzen wollten – nicht nur wegen des Namens, sondern wegen der rassistischen Logos überall im Hotel. Doch für Tuiach spielte die Wirklichkeit des Narrativs noch nie eine große Rolle. Er habe in der Zeitung gelesen oder im Radio gehört, oder einfach gehört, dass dies und jenes geschehen oder gesagt worden sei.

Tuiach ist im Lauf der Zeit tatsächlich Ranzmayr geworden, also jemand, der sich für die Realität und ihre Abbildung nur noch „instinktiv“ interessiert. Ein in der Kunst aufgelöstes Ich. Also ein Überforderter, der sich aus seiner Überforderung heraus eine Meinung bildet, indem er eine Miniatur aus einem komplexen Kontext pickt, den er in Gänze nicht verstehen muss, weil er die Kleinteiligkeit der Welt meist aus dem „Instinkt“ heraus versteht und bewertet, wie Friedrich Nietzsche es in seiner autobiografischen Schrift „Ecce homo“ darstellt.

Tuiach interessiert sich nicht für Schwarzafrikaner, weiß aber selbstverständlich genau, was sie wollen oder nicht wollen. Spricht wie ein Rassist über „die Chinesen“, die er in der Verantwortung für die Corona-Pandemie sieht. Er weiß vermutlich auch ganz sicher, dass es den Klimawandel nicht gibt und „die Wissenschaft“ nicht unabhängig ist und das ZDF wie ARD kaum noch journalistisch redlich die Welt zeigen, wie sie ist. Konkrete Analysen zu seinen Hass-Gesängen gibt es keine.

Kurzum: Silvano Tuiach hat sich zum Begleitorchester für die AfD und ihre Wählerschaft verwandelt. Damit hat er Ranzmayr und sich selbst aus dem Orbit des Erträglichen geschossen.