Der Eklat kam vor der Generalprobe
Warum „Mahagonny“-Regisseurin Tatjana Gürbaca das Stadttheater im Streit verließ
Von Frank Heindl
„Ich finde, das ist eine sehr, sehr gute Inszenierung“, sagte Intendantin Juliane Votteler. „Frau Gürbaca ist eine richtig tolle Regisseurin“, bestätigt Generalmusikdirektor Dirk Kaftan. „Ich habe sieben Wochen mit Herzblut, Kraft und Energie meine Arbeit gemacht“, sagt Regisseurin Tatjana Gürbaca. Und fügt hinzu: „Es tut mir und meinem Team ungeheuer leid, dass diese Arbeit auf den letzten paar Metern zerstört wurde.“ Am Tag, nachdem Gürbaca hingeschmissen und ihre Regie bei Brechts „Mahagonny“-Oper abgegeben hat, ist eine große Traurigkeit in den Erklärungsversuchen aller Beteiligten zu spüren. Trotzdem: Gürbaca hat Augsburg verlassen, will nicht zurückkehren, empfindet auch heftige Enttäuschung und Bitterkeit: „Das fühlt sich ein bisschen an wie eine Fehlgeburt.“
Der Sachverhalt ist schnell dargestellt: Tatjana Gürbaca war vom Theater Augsburg mit der Regie bei Brechts „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ beauftragt worden. Schon vor einem Jahr fing man an, die Inszenierung zu diskutieren. Schon damals, so Votteler, gab es Diskrepanzen in der Auffassung. Am Mittwoch – und damit einen Tag vor der Generalprobe – führten diese zum Eklat: Nach tage- und nächtelangen Diskussionen ließ Votteler einen Teil des Bühnenbilds abbauen und gab bekannt, die Schlussszene werde, da in der Kürze der Zeit keine Alternative zu beschaffen sei, konzertant aufgeführt – ohne szenische Darstellung. „Das Ganze ist an den letzten zweieinhalb Minuten gescheitert“, fasst GMD Kaftan zusammen.
Stein des Anstoßes: ein gekreuzigter Affe
Beim strittigen Bühnenbild handelte es sich um eine Kreuzigungsdarstellung – am Kreuz hätte nach Gürbacas Vorstellungen ein Affe hängen sollen. Eine zu große Provokation für Augsburgs Publikum und seine Intendantin? „Wenn man Mahagonny ins Programm nimmt, muss man doch wissen, was da kommt“, sagt Gürbaca. „Das ist ja im Text angelegt: Diese etwas windschiefen Vergleiche mit der Bibel sind typisch Brecht, um diese Diskussion kommt man bei ihm nicht rum.“ Ihr sei es „als Regisseurin noch nie um eine platte Provokation um der Provokation willen gegangen“, fügt sie hinzu. In der Tat ist Gürbaca keine „junge Wilde“, die das Theaterpublikum mit billigen Effekten schocken will. Sie hat landauf, landab inszeniert, unter anderem in Graz und Bern, in Regensburg und Berlin, in München und Nowosibirsk, vor drei Jahren auch in Augsburg: Mozarts „Entführung aus dem Serail“. Mit der nächsten Saison nimmt die 38-Jährige ihre neue Stelle als Operndirektorin in Mainz auf – auch dort hat man wohl nicht nach einer skandalorientierten Provokateurin gesucht, sondern nach einer erfahrenen und erfolgreichen Opernregisseurin mit Ideen.
Das sieht auch Juliane Votteler so. Mit Gürbacas Vorstellungen für die Schlussszene konnte sie sich gleichwohl nicht anfreunden. „Frau Votteler weiß schon seit einem Jahr von dieser Schlussszene. Noch am Tag davor hat sie eigens Kostüme dafür entliehen“, sagt Gürbaca. Und Votteler bestreitet das nicht: „Wir haben doch alle bis zum Schluss geglaubt, dass es eine Lösung geben wird. Wir haben gesagt, wir müssen das probieren, wir müssen uns das ankucken. Ich hab noch nie erlebt, dass man im ganzen intensiven Arbeitsprozess keine gemeinsame Linie findet.“ Am Mittwoch erst sei endgültig klar gewesen, dass es diese Lösung nicht geben werde. „Der Streit“, so Votteler, „war nicht ideologisch, sondern rein künstlerisch.“ Ein Problem dabei: Votteler agiert bei vielen Operninszenierungen nicht nur als Intendantin, sondern, wie bei „Mahagonny“, auch als Dramaturgin. In dieser Rolle sieht sie sich verantwortlich für das Gesamtkonzept. „Die Schlussszene hat mir inhaltlich nicht eingeleuchtet. Ich finde, die Inszenierung führt nicht stringent auf dieses Bild hin. Es erschließt sich kein Zusammenhang mit dem gesamten Stück.“
„Kein Geschrei, kein Streit, einfach keine Einigung“
Gürbaca sieht ein Problem auch in Vottelers „Arbeitsbelastung als Dramaturgin und Intendantin.“ In der Tat hat die Theaterchefin anstrengende Wochen im Kampf um die Ersatzspielstätte hinter sich – und sich dabei nach Meinung einiger Beobachter gelegentlich zu übertriebener Emotionalität hinreißen lassen. Das wiederum streitet Votteler vehement ab: „Mir sind nicht die Nerven durchgegangen! Es gab in diesen nächtelangen Diskussionen kein Geschrei, keinen Streit. Es gab nur einfach keine Einigung und ich musste reagieren.“
Für Irritationen und einen weiteren Nebenschauplatz hatte zusätzlich gesorgt, dass sich ein Orchestermusiker bemüßigt gesehen hat, die katholische Kirche über die Schlussszene auf der Bühne des Stadttheaters zu informieren. Ein Vorgang, der nach Ansicht aller Beteiligten auch deshalb völlig untragbar ist, weil der Musiker zuvor keine Vorgesetzten informiert, aber eine Kopie seines Schreibens an die Intendanz weitergereicht hatte. Kaftan und Votteler sind sich einig, dass der Denunziant mit Konsequenzen rechnen müsse. Plötzlich aber steht nun der Verdacht im Raum, die Theaterleitung habe aus vorauseilendem Gehorsam vor der Kirche eine strittige Szene gestrichen. „Wir hatten keine Angst vor irgendeinem Skandal!“, sagt Votteler vehement, „den hätten wir doch locker weggesteckt.“ Im Übrigen soll sich die Kirche liberaler als der klagende Musiker gezeigt haben: „Die haben ausgerichtet, dass sie sich da überhaupt nicht einmischen wollen.“
Brecht zeigt, wie Menschen zu Tieren werden
Zensur? Laut Dirk Kaftan wurde mit der Regisseurin sogar diskutiert, statt des Kreuzes eine Projektion auf die Bühne zu bringen: „An dieser Stelle sollte der gekreuzigte Affe hängen – das wurde vom Theater Augsburg zensiert“, hätte das Publikum dann lesen können. Im Programmheft hätten zudem beide Seiten Gelegenheit gehabt, ihre Argumente darzulegen. Gürbaca war das zu wenig: „Die Ablehnung dieser Szene war schockierend für mich, und ich habe in über 40 Produktionen nie etwas vergleichbares erlebt.“ Ihre Interpretation ergebe sich sehr wohl schlüssig aus Brechts Text: Der wolle zeigen, dass die Menschen in einer Stadt wie Mahagonny zu Tieren würden – Jim Mahoney habe sie deshalb am Ende als Affen dargestellt. Gleichzeitig werde dessen Leben von Brecht „immer mehr mit der Leidensgeschichte von Jesus enggeführt.“ Und nach Mahoneys Tod versuchten die in Fraktionen zerstritten Hinterbliebenen, in Mahoneys Namen zu agieren.
Lohnte dieser künstlerische Konflikt den Eklat? Votteler ist überzeugt von der Richtigkeit ihrer Entscheidung: „Frau Gürbaca hat das Recht zu sagen, sie sei in ihrer künstlerischen Aussage beschnitten worden. Ich kann dafür geradestehen.“ Sie habe auch vermeiden wollen, dass man nach der Premiere gezwungen sei, Szenen im Nachhinein zu verändern. „Ich habe mir geschworen, dass so etwas an meinem Haus nie vorkommen soll.“ Am heutigen Samstagabend, bei der Premiere im Großen Haus, wird nun das Publikum entscheiden müssen, ob die Inszenierung auch ohne Gürbacas Schluss funktioniert. Die (Ex-)Regisseurin, die nun auch nicht mehr im Programmheft genannt werden will, bezeichnet das gekürzte Ende als „ein halbes Ding ohne jede Kraft“, während Votteler, wie erwähnt, von einer „sehr, sehr guten Inszenierung“ spricht. DAZ-Leser erfahren mehr in der Nachtkritik – am heutigen späten Abend.