„Der Drache“ in der Brechtbühne: Eine bittere Komödie mit aktuellen Bezügen
Das Stück „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz stammt aus dem Jahr 1943. Schon seine Aufführungsgeschichte zeigt, dass die Märchenlogik – das Gute besiegt das Böse – im realen Leben nicht so recht funktioniert.
Von Halrun Reinholz
Seit Jahrhunderten beherrscht ein Drache die Stadt. Jedes Jahr holt er sich eine Jungfrau und heiratet sie. Klassischer Fall für den Ritter Lanzelot. Er möchte den Drachen herausfordern. Doch wollen die Bewohner der Stadt tatsächlich befreit werden? „Und denen willst du die Freiheit bringen? Was sollen sie denn damit anfangen?“ Das fragt der Drache, gespielt von der in Lack und Leder gekleideten Ute Fiedler, den Ritter. Das Dilemma ist offensichtlich. Ist das Gute tatsächlich gut und das Böse böse?
Die Geschichte galt als Satire auf Hitler, geschrieben in der Zeit der Belagerung Leningrads im Zweiten Weltkrieg. Dennoch wurde die Uraufführung in Moskau 1944 nach der letzten Generalprobe verboten. Später stellte sich heraus, dass Jewgeni Schwarz das Stück wohl bereits früher zu schreiben begonnen hatte und der „Drache“ ursprünglich Stalin gewidmet war, dessen Säuberungen Schwarz in seinem unmittelbaren Umfeld mitbekommen hatte. Die Inszenierung in der Brechtbühne zeigt nun, dass es zu jeder Zeit „Drachen“ gibt, die getötet werden müssen, vor allem auch die Drachen in den Köpfen der Menschen.
Da es sich um ein „Märchen“ handelt, bringt Regisseur Andreas Merz Raykov die Handlung etwas manieriert auf die Bühne. Weiße Gestalten in ungewöhnlichen Kostümen bevölkern die Bühne – ein Einheitslook, der doch wieder keiner ist. Selbst der Kater (Andrej Kaminsky), der, wie im Märchen üblich, die allwissende Weisheit verkörpert, ist Teil der Einheitswelt. Teil der Stadt, die von dem Drachen beherrscht wird. Ritter Lanzelot ist sichtlich nicht Teil der Einheitswelt. Er (oder vielmehr sie: Elif Esmen) trägt Leggings und ein goldenes Hemd, wie das Ritter so tun im Märchen. Er stellt Fragen und wundert sich, dass die Bewohner nicht „hurra“ schreien, weil er sie von dem Drachen befreien will. „Wir haben uns an ihn gewöhnt“, ist der Tenor. „Liegt man warm und weich, soll man schlummern und schweigen“, fasst der Kater diese Haltung kryptisch zusammen.
Die schöne Elsa (hervorragend verkörpert von Florian Gerteis), die Tochter des Stadtarchivars Charlesmagne (Sebastian Müller-Stahl) soll das nächste Opfer des Drachen werden, damit haben sich alle abgefunden, auch Heinrich, ihr auserkorener Bräutigam (Patrick Rupar) , Sohn des karrieregeilen Bürgermeisters (Kai Windhövel) und „Adlatus“ des Drachen.
In slapstickhafter Manier hüpfen die Gestalten über die Bühne, die wie eine Spirale in die Tiefe führt bzw. aus ihr hervor. Eine Drachen- oder Höllenschlund? Ein Labyrinth? Man taucht auf und wieder ab, dreht sich im Kreis, wird bespitzelt und lässt bespitzeln. Und da ist auch noch das „Volk“, zwei Darsteller aus der Statisterie, die Parolen schreien, Beifall klatschen und Plakate hochhalten. Dass es sich bei dem Stück nicht nur um eine Satire jeder Diktatur handelt, sondern durchaus auch andere blinde Gefolgschaften auf die Schippe nimmt, zeigen Spitzen in Richtung aktueller Themen – wenn von „Abstand“ und „Maß halten“ die Rede ist, von „alten weißen Männern“, von „wie wagt ihr es“ oder von „wir sind das Volk“.
Der verbale Austausch solcher Perlen bestimmt das Geschehen auf der Bühne ebenso wie die akrobatische und pointierte Auseinandersetzung der allesamt kongenial hervorragenden Darstellerinnen und Darsteller. Eine wichtige Rolle für die Dynamik der Handlung spielt die Musik (live am Bühnenrand: Stefan Leibold). Mit dem Klavier aber auch diversen anderen Geräusch-Erzeugern unterstreicht er die Leichtigkeit, das Märchenhafte aber auch den schwarzen Humor des Stücks.
Der Kampf des Ritters gegen den Drachen wird nicht gezeigt, nach der Pause ist jedoch die „Stadt“ vollkommen gewandelt, der Drache ist weg, doch die Zustände sind nicht besser. Der frühere Bürgermeister ist jetzt Präsident. Er behauptet, den Drachen besiegt zu haben und stützt seine Macht auf Bespitzelung und einen fähigen Kerkermeister. Auch Elsa, die er ja angeblich vom Drachen errettet hat, steht ihm seiner Meinung nach jetzt zu. Ob Lanzelot auch diesen neuen Drachen besiegen kann? Das Spiel könnte von vorne losgehen. Immer wieder. Verdienter Beifall des gut gelaunten Premierenpublikums in der endlich wieder ordentlich gefüllten Brechtbühne.