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Montag, 17.02.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Der alte Mann und das Klavier

McCoy Tyner enttäuschte im Botanischen Garten

Von Frank Heindl

Das Leben ist an McCoy Tyner nicht spurlos vorübergegangen. 72 Jahre alt wird der Mann im Dezember – eine Ikone des Jazz, der Musiker, der mit seinem Piano die phänomenalen Innovationen mit ermöglich hat, die John Coltrane in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den Jazz einführte. Ein Musiker, der Großes geleistet hat und nun mühsam schlurfend die Bühne im Rosenpavillon des Botanischen Gartens betritt – leicht könnte man ihn auf zehn Jahre älter schätzen.

Jazzpianist McCoy Tyner: die großen Zeiten liegen wohl hinter ihm

Jazzpianist McCoy Tyner: die großen Zeiten liegen wohl hinter ihm


Und dieser Eindruck hält an. Als zweites Stück kündigt Tyner an diesem Abend seinen wohlbekannten „Blues on the corner“ an. Krächzend und brüchig klingt seine Stimme anfangs, ein Greis, der noch einmal von früher erzählt, den man aber leider kaum mehr verstehen kann. Schon während des Sprechens allerdings wird diese Stimme klarer. Und als der Alte dann ans Klavier wechselt – da kann man seine Erzählung plötzlich verstehen. Im Blues ist die Geschichte des Jazz aufgehoben, in den traditionellen Tönen, mit denen Tyner seine Story beginnt, scheint nicht nur das Stride Piano auf, mit dem sich der Jazz aus dem Ragtime herauslöste – der Blues reflektiert die Geschichte des Jazz bis zurück zu den worksongs der schwarzen Baumwoll-Sklaven in den USA. Und in McCoy Tyners Version zeigt er natürlich nicht nur zurück, sondern weist auch nach vorn: Nicht lange braucht der Pianist, bis auch die ersten modalen Abwandlungen in seiner Improvisation auftauchen, bis seine Entwicklung des Pianosounds weit über die Zeit mit Coltrane hinaus dargestellt ist. Das ist Musik, die den Jazzfan zum Jazzfan macht: Die spielerische Reflexion der Geschichte dieser Musik in einem zehnminütigen Song, ganz ohne Theorie, stattdessen mit sehr viel Swing, und satt gefüttert mit dem herrlichen Gegensatzpaar der modernen Musik: der Harmonie und ihrer Auflösung.

Kraftvoller Bass und kleine Hänger …

Damit allerdings ist das Beste über das Konzert am Mittwochabend bereits gesagt. Denn es lässt sich nicht verheimlichen: Tyner ist alt geworden. Zwar hämmert seine Linke noch immer faszinierend wie einstmals aus großer Höhe mit manischer Energie die kraftvollen Ostinatos, die ihm so viele abgeschaut haben (und die erst JoAnne Brackeen zu höchster Vollendung gebracht hat). Zwar donnern seine akkordisch-clusterhaften Begleitkaskaden (die Gonzalo Rubalcaba später weitergetrieben hat) noch immer voluminös und orchestral gegen die verspielte Rechte an – doch bei der hapert es mittlerweile. Mancher Lauf kommt nicht so sauber rüber, wie er geplant war, manches Mal gibt’s kleine Hänger. Und dann kamen seine Forti auch noch krachend und scheppernd aus der lädierten Verstärkeranlage!

Wohlgemerkt: Wir sprechen von einem Großmeister des Jazz und legen keinen geringen Maßstab an. Mancher Jüngere wäre wohl froh, all das mit 50 hinzukriegen, was Tyner noch mit 71 macht. Aber zum nicht mehr ganz so sauberen Spiel gesellt sich später auch eine Unlust, die man wohl als Mischung aus Müdigkeit, schlechter Laune und Arroganz interpretieren muss: Als ihm ein paar Fotografen zu nahe rücken, reagiert der Meister heftig gereizt, spielt noch ein Stück – und geht. Schon nach 80 Minuten und nahezu ohne Verabschiedung. Fotografen kann man auch höflich um Rücksicht bitten, zumal, wenn man seine Aversionen vorher nicht mal auch nur angedeutet hat. Und wenn man müde ist und nicht mehr kann, darf man das ruhig zugeben. Man wird dann deutlich mehr Wohlwollen ernten als durch brüskierendes Basta-Verhalten. Das Publikum, das wegen eines Stars gekommen war, bekam einen Ex-Star zu sehen und zu hören, der seinen Zenit deutlich überschritten hat.

… und ein abrupter Schluss

Schade auch für seine Sidemen: Eric Kamau Gravatt zeigte neben der selbstverständlichen grundsoliden Begleitarbeit viele präzise, melodische, geradezu singende Soli; und Gerald Cannon spielte einen verblüffend schnellen, in den Improvisationsteilen geradezu perlenden Bass. Selbst wenn man konzidiert, der Chef könnte womöglich nur einen schlechten Tag gehabt haben: Man hatte sich mehr erhoffen dürfen. Bezeichnend war die Täuschung, der Veranstalter Christian Stock aufsaß: Der Mann sei mittlerweile weit über 80, versuchte er McCoy Tyner zu entschuldigen. Von wegen – er wirkte nur so! Das Publikum reagierte gnädig – aber als es realisiert hatte, dass der schnelle Abgang nicht der Pause, sondern der Abreise diente, war’s für Buhs ohnehin zu spät. Der Applaus jedenfalls hielt sich für Jazzsommer-Begriffe in engen Grenzen.