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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Das Turamichele ist ein Sinnbild des Urfaschismus

Wenn mit Beginn des Herbsts Blutrausch und Kaufrausch auf dem Augsburger Rathausplatz Hochzeit feiern, dann ist das Turamichele zurück. 

Ein Tötungsritual als Kindergeburtstag: Das Augsburger Turamichele-Fest – Bildnachweis: Stadt Augsburg

Falls es eines Bildes bedürfte, um die Ideologie des Faschismus auf den Punkt zu bringen – das Augsburger Turamichele wäre dafür ideal: Ein glanzvoller, männlich-jugendlicher Charakter dominiert einen dunklen, bestialischen Untermenschen und metzelt diesen ohne mit der Wimper zu zucken ab. 

Das ist Rassismus, der in der mystischen Überhöhung des Dargestellten zum überirdischen Kampf von Gut gegen Böse gipfelt. Die innerhalb dieses dualistischen Weltbilds von der Gestalt des Turamichele verkörperte Macht über Leben und Tod gehört zu den kulturellen Zeichen des Faschismus, wie die bedingungslose Bereitschaft zur Ausübung von Gewalt. Das Tötungsritual entstammt einem seit Jahrtausenden fortgeschriebenen mystisch-religiösen Bedeutungsgewebe, das die sich Stadt Augsburg seit einem knappen Jahrtausend zu eigen gemacht hat und bis auf den heutigen Tag als eine Art Kindergeburtstag zelebriert.

Kulthandlungen beinhalten meist die Ablehnung von Widerspruch 

Der kollektive Turamichele-Wahn auf dem Rathausplatz, wo Hunderte Kinder die Lanzenstiche ihres mörderischen Modellcharakters zählen, erinnert an das Prinzip von Gefolgschaft und Führer. Der italienische Historiker und Faschismusforscher Emilio Gentile weist darauf hin, das faschistische, beziehungsweise faschistoide Bewegungen kulturstiftend wirken, indem sie aus Mythen, Riten und Symbolen eine irrationale Ersatzreligion formen. 

Laut Umberto Eco verfestigen tradierte Handlungen dieser Art, die Ablehnung der wissenschaftlichen Widerspruchskultur und ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Intellekt. „Im Kult um das Augsburger Turamichele sind somit die Muster des Ur-Faschismus zu erkennen“, so sieht das Kulturkritiker Bernhard Schiller, der mit seiner langjährigen DAZ-Reihe „Zum Teufel mit dem Turamichele“ Tausende DAZ-Leser begeisterte, aber auch Kopfschütteln und Ablehnung erntete.

Nach zwei Tagen hat der Erzengel 108 Mal auf den Teufelsdrachen eingestochen und das Böse besiegt

"Wie von Geisterhand?" Foto: Stadt Augsburg

„Wie von Zauberhand?“ Foto: Stadt Augsburg

Die Augsburger Stadtwerke, die sich um den mittelalterlichen Kult kümmern, sehen das natürlich anders: „Der Namenstag des heiligen Michael, der 29. September, ist in Augsburg seit 494 Jahren ein ganz besonderer Tag. So lange schon wird das Fest des Turamichele gefeiert. Es ist das älteste und größte Kinderfest im Raum Augsburg, wenn nicht eines der ältesten in Deutschland: Von 10 bis 18 Uhr schauen am Samstag, 28. September und am Sonntag, 29. September dem Michaels-Tag zu jeder vollen Stunde hunderte Kinder auf dem Rathausplatz gebannt hoch zum Perlachturm, wenn sich wie von Zauberhand ein Fenster öffnet und der Heilige Michael den Teufelsdrachen bezwingt. Wie von Zauberhand? Nicht ganz. Denn hinter dem Schauspiel am Turmfenster verbergen sich zwei Stadtwerke-Mitarbeiter: Sie öffnen den Vorhang, bringen die Figuren in Position und erwecken mit dem Drehen an einer Kurbel die Figuren zum Leben: Mit einem Lanzenstich des heiligen Michael pro Glockenschlag. Nach zwei Tagen hat der Erzengel dann 108 Mal auf den Teufelsdrachen eingestochen und das Böse besiegt.“