„Das Stadtbad hat Symbolcharakter für falsche Prioritäten“
Karl-Heinz Schneider, viele Jahre SPD-Fraktionschef, gilt als einer der versiertesten Kulturpolitiker in Augsburg. Nach der verlorenen Kommunalwahl 2008 hat Schneider den SPD-Fraktionsvorsitz an Stefan Kiefer abgegeben. Sein Wort hat in der Augsburger SPD – glaubt man CSU-Fraktionschef Bernd Kränzle – dennoch nicht an Gewicht verloren. Im DAZ-Gespräch erklärt der SPD-Stadtrat, warum die SPD den Haushalt 2010 aufgrund des möglichen Verkaufs des Alten Stadtbades ablehnen wird, warum das diesjährige Brecht-Festival ein Erfolg, und weshalb ku.spo politisch umkämpft war.
DAZ: „Sie haben Spendierhosen an und müssten mit dem Sparstrumpf herumgehen!“ Wissen Sie noch, wann Sie das gesagt haben, Herr Schneider?
Schneider: Ja, sehr genau sogar: bei den Beratungen zum Haushalt 2009. Ich habe damals vor dem Szenario gewarnt, das sich jetzt fast millimetergenau eingestellt hat. Deshalb muss man es immer wieder und immer wieder wiederholen: Die jetzige Finanzkrise der Stadt ist zu zwei Dritteln selbst gemacht und nur zu einem Drittel der allgemeinen Verschlechterung bei den Kommunen geschuldet. Auf den Punkt gebracht würde ich es wie der amerikanische Investor Warren Buffet formulieren: „Wenn die Ebbe kommt, zeigt sich, wer ohne Badehose geschwommen ist.“
DAZ: Ein besseres Stichwort bekommt man selten. Aber lassen Sie mich noch kurz – bevor wir uns dem Alten Stadtbad widmen – wissen, warum die damals neue Stadtregierung ihren Haushaltsplan 08 tiefer hätte hängen sollen als der Städtetag empfohlen hat.
Schneider: Die neue Stadtregierung hat den noch von uns aufgestellten, äußerst soliden Haushalt 08 durch zwei Nachtragshaushalte kräftig nach oben getrieben und hat dann beim Haushalt 09 nochmals zusätzlich aufgesattelt. Die waren geradezu besoffen und blind für die Gewitterwolken am Horizont.
DAZ: Nun zum aktuellen Haushaltsplan. Waren die Gewerbesteuereinbrüche und die niedriger ausgefallenen Schlüsselzuweisungen wirklich so konkret absehbar? Schließlich haben andere Kommunen sehr ähnliche, wenn nicht noch dramatischere Probleme.
Schneider: Ja, das war absehbar, ist aber keineswegs so dramatisch wie von der Gribl/Grab-Regierung behauptet. Im Haushalt 08 hatten wir Gewerbesteuereinnahmen von 129 Mio. veranschlagt, die jetzige Regierung legt immerhin noch 120 Mio. zu Grunde. Ein dramatischer Absturz? Wahrlich nicht. In keinem Fall können damit die behaupteten Kürzungsnotwendigkeiten von 80 Mio. begründet werden.
DAZ: Demnächst lehnt die SPD – wie zu lesen war – wegen der möglichen Schließung des Alten Stadtbades den gesamten Haushalt ab. Spart die Stadtregierung aus ihrer Sicht nur dort an der falschen Stelle?
Schneider: Das Stadtbad hat Symbolcharakter für falsche Prioritäten und ist Identifikationsobjekt für die Gegenwehr in der Stadtbevölkerung. Natürlich gäbe es für mich auch andere Punkte für eine Ablehnung, wie zum Beispiel: kuspo, sinnlose Personalaufblähungen, zweifelhafte Höhergruppierungen, hilflose Gutachteritis wie zum Beispiel beim Stadttheater, der Ersatzspielstätte, Freilichtbühne, Einzelhandel etcetera etcetera. Ganz gravierend ist auch die selbstverschuldete Verzögerung beim Königsplatz- und Bahnhofsumbau mit den dadurch ausgelösten horrenden Preissteigerungen.
DAZ: Selbstverschuldete Verzögerungen beim Kö- und beim Bahnhofsumbau?
Schneider: Obwohl der Wettbewerb klar gezeigt hat, dass unsere Grundkonzeption mit Dreieck und zusätzlicher Linienführung richtig war, soll nunmehr das Nadelöhr „Kaiserhofkeuzung“ geschaffen werden. Zumindest in Stoßzeiten wird es dort zum Verkehrschaos kommen und zusätzlich viele Millionen Euro für neue Trassen, Ampeln und Straßenverlegungen notwendig machen.
DAZ: Nun gut, das Stadtbad mit seinem Symbolcharakter für falsche Prioritäten hat das SPD-Fass zum Überlaufen gebracht. Erklären Sie mir den politischen Unterschied zwischen dem Sparwillen, der zur möglichen Schließung des Alten Stadtbades führen könnte, und dem Sparwillen, der die anvisierte Schließung des Plärrerbades favorisierte? Eine Aktion, die Wengert 2005 zusammen mit der SPD und den Grünen vornehmen wollte.
Schneider: Beim Plärrerbad ging es um ein Investitionsvolumen von ca. 8 Mio. €, beim Stadtbad lediglich um 500.000 €. Beim Plärrerbad wären zwei von drei Becken erhalten geblieben, beim Stadtbad heißt es: tabula rasa.
DAZ: Der gesamte Haushalt beziffert sich auf 716 Millionen Euro. Wenn Sie den gesamten Haushalt letzlich wegen dieses – was den Gesamtetat betrifft – marginalen Punktes ablehnen, dann lehnen Sie doch auch die Verwendung aller Mittel für Projekte ab, die richtig und notwendig sind. Oder ist das nur ein Allerweltsargument der jeweiligen Regierung?
Schneider: Wir haben für jedermann sichtbar gemacht, dass wir für den Erhalt des Stadtbades alle Kröten geschluckt hätten, fast bis zum Erbrechen. Da kann uns doch wirklich niemand vorwerfen, dass wir uns der Verantwortung in schwierigen Zeiten entziehen wollten. Die Stadtregierung wird gegen die Wand laufen, wenn sie uns in die Ecke von Verweigerern stellen will.
DAZ: Nennen Sie uns zwei bis drei „Kröten“?
Schneider: Wir hätten zum Beispiel das von uns bekämpfte ku.spo, unsinnige Koordinatoren und Kürzungen im Kulturetat mittragen müssen.
DAZ: Herr Schneider, Sie sitzen im Kulturausschuss und sind dort neben Verena von Mutius der aktivste Redner der Opposition. Sie haben die Kulturpolitik von Peter Grab im Kulturausschuss sehr oft und sehr hart kritisiert. Zum Beginn der neuen Stadtregierung, als Grab sozusagen als erste relevante Amtshandlung Ostermaiers abc-Festival ins Leere laufen ließ, hatte ich das Gefühl, Sie würden ihm am liebsten dafür die Haut abziehen. Sehen Sie das heute nach fast zwei Jahren ein wenig anders? Schließlich waren Sie in diesem Jahr ein Dauerbesucher beim Brecht-Festival, dessen Neukonzeption Ihnen offensichtlich zusagt. Oder sehe ich das falsch?
Schneider: Albert Ostermaier war mit seinem Konzept keineswegs sakrosankt und in Teilen durchaus änderungsbedürftig. Darum ging es also nicht. Sondern um den Stil des Kulturreferenten, wie dieser mit einem renommierten Schriftsteller und Festivalleiter umgegangen ist. Hier hat er Augsburg überregional schwer geschadet. Für mich gibt es keine Unvereinbarkeit von Ostermaier und Lang. Vielmehr hat Ostermaier die längst überfälligen Schneisen im Brechtverständnis geschlagen, auf denen nunmehr Joachim Lang agieren konnte. Das Konzept von Joachim Lang ist für mich Fortentwicklung und nicht Gegensatz zu dem von A. Ostermaier. Das Verdienst von Joachim Lang beim ersten Teil seines Festivals war es, Brecht aus dem Kommunisteneck geholt und den scharfzüngigen Gesellschaftskritiker auf höchstem künstlerischem Niveau heraus gearbeitet zu haben. Lang hat gezeigt, Brecht ist aktueller denn je und er war bis zum Lebensende überzeugter Augsburger.
DAZ: Müsste die Stadt, um Langs Botschaft nachhaltig zu unterstützen, nicht das Brecht-Museum umgestalten?
Schneider: Eine interessante und verfolgungswürdige Idee. Und das Brechthaus etwas „aufzupeppen“ würde bestimmt nicht schaden. Im Übrigen haben wir schon lange eine Verbesserung im Marketing und in der Außenwahrnehmung gefordert.
DAZ: Im letzten Kulturausschuss ging es um die Bilanz von ku.spo 09. Ein kulturpolitisches Markenzeichen von Peter Grab und somit auch der Stadtregierung. Peter Grab hat ein positives Bild von ku.spo gezeichnet. Erklären Sie mir, warum ku.spo aus ihrer Sicht politisch so umkämpft war?
Schneider: Kultur war bisher mit eigenen Referenten immer gut ausgelastet. Ob bei Dr. Kotter, Geßler oder Eva Leipprand. Damit wollte sich Grab nicht zufrieden geben und hat ein „Mammut-Referat“ gefordert. Da blieben nur Kultur und Sport. Und hierfür musste dann ein Rechtfertigungsprojekt her, also etwas süße Soße über den zähen Brei. Allerdings eine zu teure Soße. Ku.spo ist eine willkürliche Aneinanderreihung von zufälligen Einzelprojekten ohne Niveau und ohne neue Qualität. Das dafür aufgewendete viele Geld mit eigener Koordinatorin und üppigen Sachmitteln ist zum Fenster hinaus geworfen. Würde der Referent sein Konzept ernst nehmen, so fände er die „Nagelprobe“ beim Stadtbad. „Die Wahrheit ist konkret“ formulierte Bert Brecht. Beim Stadtbad ist die Verbindung von Sport und Kultur „konkret“ – aber da versagt der Referent kläglich.
DAZ: Nun sagt aber Peter Grab, dass ku.spo keine Augsburger Erfindung sei, sondern vielerorts bereits erfolgreich praktiziert wurde, und dass Einzelprojekte wie Augsburg Calling, Lilalu und andere Vereins- wie Schulprojekte ohne ku.spo nicht mit städtischen Mitteln förderbar gewesen wären.
Schneider: Ein Märchen! Im Übrigen, warum nicht Kultur und Soziales, Kultur und Bauen, Kultur und Umwelt? Dies wären echte Herausforderungen für die Stadt.
DAZ: Hat die Zusammenführung von Kultur- und Sportreferat der Stadt nur ku.spo gebracht? Oder hatte das nicht auch strukturelle Veränderungen in der Verwaltung zur Folge?
Schneider: Na ja, das Kulturamt wurde zwar aufgewertet – was durchaus zu begrüßen ist – aber der Referent ist heillos überfordert. Dazu kommen Selbstverliebtheit und hohe Eitelkeit, die eine „Arbeit aus einem Guss“ verhindert. Ein richtiger Kulturreferent hätte das Thema „Ersatzspielstätte Schauspielhaus“ zu seiner Sache gemacht, Herr Grab hat das Thema stattdessen auf die Theaterleitung verlagert. Jetzt muss das Theater mit der Bauverwaltung verhandeln, was doch eigentlich die Aufgabe des Referenten wäre.
DAZ: Herr Schneider, vielen Dank für das Gespräch.
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Das Interview führte Siegfried Zagler per Mail-Austausch.