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Donnerstag, 31.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Das Scheitern eines guten Lebens

Mary Page Marlowe auf der Brechtbühne im Gaswerk

Von Halrun Reinholz

Foto — © Jan-Pieter Fuhr

Tracy Letts, US-Erfolgsdramatiker und selbst auch Schauspieler, skizziert in seinem Stück „Mary Page Marlowe – eine Frau“ eine recht durchschnittliche Frauenbiografie der Nachkriegszeit in den USA: Mary Page, 1946 geboren, steht eigentlich die Welt offen. Selbstbewusst lehnt sie den Heiratsantrag eines Kommilitonen auf dem College ab, um ihr Leben selbst zu gestalten, vielleicht nach Paris zu gehen. Doch es kommt anders. Nach drei Ehemännern, Alkoholexzessen, Auseinandersetzungen mit Tochter und Sohn, der letztlich aus ihrem Leben verschwindet, zieht sie am Ende dennoch die Bilanz: „Ich hatte ein gutes Leben.“

Die Biografie wird auf der Bühne allerdings nicht linear erzählt, sondern anhand von Wendepunkten im Lebenslauf – mit den eigenen Eltern, der selbst alkoholkranken Mutter, den Männern, der Tochter, dem Sohn. Scheinbar ohne jede Ordnung ploppen die Szenen auf, die Mary Page (wechselweise dargestellt von Ute Fiedler, Stephanie Schönfeld, Elif Esmen und Christina Jung, die aber auch alle anderen Frauenrollen übernehmen) in verschiedenen Lebensphasen zeigen, vom neun Monate alte Kleinkind, das sich als Klotz am Bein ihrer Eltern erweist, bis zur 69-Jährigen, die ihr Leben Revue passieren lässt. Doch das Bühnengeschehen setzt 1969 ein, an dem Punkt, wo alle Hoffnungen noch die Chance haben, sich zu erfüllen. Danach werden in Vor- und Rückbewegungen die Puzzleteile der Biografie gesammelt.

Lilli-Hannah Hoepner inszeniert dieses Mosaik auf der Brechtbühne karg und schnörkellos. Über der Bühne prangt in Leuchtschrift ein Zitat aus Shakespeares King Lear: „Thou shouldst not have been old till thou hadst been wise“.

In der Bühnenmitte steht ein durchsichtiger Kasten, sowas wie ein Aquarium, das mit Luftballons gefüllt ist. Die Darstellerinnen und Darsteller sind alle weiß gekleidet, mit weißen Bubikopf-Perücken. Sie liegen zunächst alle am Boden, um dann abwechselnd die Episoden aus dem Leben der Mary Page zu spielen. Die Männerrollen (Sohn Ben, der Vater und die drei Ehemänner) sind auf Florian Gerteis, Sebastian Müller-Stahl und Patrick Rupar aufgeteilt. In einer zentralen Szene, 1982 (Jahr und Alter von Mary werden zur Orientierung an die Bühnenwand projiziert), wird Mary Page von einem Therapeuten (Patrick Rupar) zu ihrer individuellen Verortung befragt. Doch sie verweigert sich der Selbstreflexion.

„Ich bin nicht die, die ich bin. Ich tue nur so.“, weiß sie. Doch wer sie ist, und was sie will, will sie nicht wissen.  Die Luftballons, die irgendwann aus dem Kasten befreit werden und umherfliegen, werden zu den äußeren Zeichen des Scheiterns und am Ende nach und nach zum Platzen gebracht. Das Fazit wäre allerdings auch ohne das allzu plakative gegenseitige Besudeln mit Schlamm zu vermitteln gewesen, denn die wandelbaren Schauspielerinnen und Schauspieler wirkten in ihren wechselnden Rollen allesamt überzeugend. Ein gutes Leben, wenn man kein besseres kennt.