Das reine Vergnügen auf bayrisch
Der „Brandner Kasper“ gelingt in der Brechtbühne als waschechter Bauernschwank
Von Frank Heindl
Diese „G’schicht“ vom Brandner Kasper kann man als durchaus subversiv betrachten. Wie da „der Himmel“ vermenschlicht wird, wie man Gottvater, -mutter und -sohn aus dem Off herzlich lachen hört, und wie der Erzengel Michael als Pedant und Bürokrat nervt – das mag zuzeiten manche Gemüter durchaus erregt haben. Auch als Sozialdrama könnte man die Posse lesen: Dass die Wilderer nicht zum Spaß wildern, sondern weil sie sonst nicht zu Rande kommen und beim Grundbesitzer hoffnungslos in der Kreide stehen, klingt durchaus an. Dass solche Möglichkeiten auch in der Augsburger Inszenierung von Markus Trabusch nicht aufgegriffen werden, ist ein Glück. Denn so ist das Stück auf der Brechtbühne ein uneingeschränkter Spaß geworden.
Kurt Wilhelm hat den Stoff erst in den 1970er-Jahren aus einer hundert Jahre älteren Geschichte des Franz von Kobell zur Komödie geformt – ihr Inhalt aber ist so alt, dass man ihn wohl als mythischen „Volksstoff“ bezeichnen kann. Das Jagen und das Wildern, die Auseinandersetzung mit der Obrigkeit und wie man ihr eine Nase dreht, der so freche wie dumme „Preiß“, die ländliche Gottesfürchtigkeit – „Der Brandner Kasper und das ewig‘ Leben“ verarbeitet viele Aspekte des zum Klischee geronnenen Bajuwarentums, und die Augsburger Inszenierung greift diese Klischees auf, ohne mit der Wimper zu zucken.
Volksmusik, Marshmallows und ein doofer „Preiß“
Wie hatte man sich im Theater darüber gefreut, dass man mit Inbetriebnahme der Brechtbühne endlich nicht mehr die gewohnte Guckkastenbühne der vormaligen Komödie am Hals hatte – nun hat Bühnenbildnerin Isabella Kittnar genau so eine wieder hingebaut: Roter Vorhang, blau-weiße Umrahmung mit barocken Kitschengeln und dahinter mal düster-ärmliche Stube, mal geburtstägliches Almhütten-Idyll mit Bierbänken und Tischdecken im obligatorischen Rautenmuster – ein Bauerntheater halt. Und nach der Pause ein Himmel, wie er im Buche steht, nur noch ein bisschen besser: Kinderfarben von hellrosa bis blasslila, Wölkchen wie Marshmallows. Sogar die Musik ist himmlisch: Hansjörg Gehring spielt die Tuba, der Schauspieler Florian Innerebner darf mal zur Zither greifen, das Hackbrett schlägt Koamlé Akakpo (man kennt ihn vom volkstümlich-schräg-genialen Lanzinger Trio). Akakpos dunkle Haut ist ein kleiner Schlenker hinaus aus dem heimattümelnden Klischee und darf für einen sauberen Gag herhalten, der ein anderes Klischee gleich wieder bestätigt: Es kenne sich aus mit der Musik, wird ihm bestätigt, er sei schließlich „von do.“ Was nichts anderes ist als ein gemeiner Seitenhieb gegen den dialekt- und sangesunfähigen Preißn aus Berlin (Alexander Darkow).
Und wie aber die Augsburger Schauspieler alle Dialekt können! Man muss schon genau hinhören, um mitzukriegen, dass beispielsweise die Abtönung des a hin zum o nicht immer ganz waschecht ist – als bayrisch geht das bestens durch. Am besten beim Brandner selber: Eberhard Peiker gibt einen von Leben strotzenden, gewieft-listigen Bauerncharakter, der sich nicht unterkriegen lässt und erst spät in Zweifel gerät. Zunächst luchst er dem Boandlkramer, dem Tod also, satte 18 zusätzliche Jahre ab, nachdem er ihn im wörtlichen Sinne unter den Tisch gesoffen hat. Jetzt kann er erst mal weiter den Jäger Simmerl (Anton Schneider) und den Bürgermeister Senftl (Klaus Müller) trietzen und kann weiter gefahrlos mit dem Flori (Florian Innerebner) die Wilderei betreiben, um endlich aus den Schulden rauszukommen.
Herzrührend und zum Kringeln
Tjark Bernau ist der hohlwangige, genussfreudige und – wie der Brandner – durchaus verschlagene Knochenhändler Boandl, von „denen da oben“ gepiesakt und eigentlich nur auf der Suche nach ein bisschen Wärme – wer kann’s ihm verübeln. Herzrührend und zum Kringeln, wie er sich naiv, gutmütig und betrunken beim Karteln „dupfen“ (also betrügen) lässt und so Unstimmigkeiten im himmlischen Fahrplan auslöst. Dort oben muss er einem bürokratisch-pedantischen Erzengel (Thomas Prazak), der dort wenig ehrerbietig mit „Habe die Ehre Michi!“ gegrüßt wird, und dessen Chef, dem heiligen Portner, den Fehlbestand im himmlischen Kontingent erklären – und auch hier gibt’s außerdem einen unausstehlichen Preißn, der den bayrisch-himmlischen Schlendrian mal eben „auf Zack“ bringen möchte (noch einmal nervig berlinerisch: Alexander Darkow).
Natürlich geht alles gut aus. Dass der Brandner am Ende freiwillig ins Paradies geht, wie es ihm „aufgesetzet“ ward, ist auch der nachsichtigen Obrigkeit zu verdanken: Von ganz oben (wir sprechen von Gottvater, -mutter und -sohn) hört man schallendes Gelächter über des Brandners irdische Streiche, und als der Portner (Anton Koelbl) dessen Aufnahme in den Himmel verkündet, weiß er auch zu erzählen, die Heilige Maria lache immer noch – man darf hoffen, dass einem selbst auch mal mit so viel Humor das Sündenregister ausgelegt wird.
Fast hätte man’s vergessen und muss reumütig verkünden: Theater kann – und soll! – neben dem Nachdenken auch das reine Vergnügen fördern. Die Zuschauer bestätigten das mit heftigem Beifall, und ein Blick auf die Theater-Website zeigt, dass das Publikum nicht auf die Kritiken wartet: Einige Vorstellungen sind ausverkauft, für fast alle folgenden gibt’s nur noch Restkarten – dem Brandner Kasper scheint zumindest auf der Bühne ein Weiterleben gesichert.