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Mittwoch, 05.03.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

„Das letzte, woran man sparen sollte, ist die Interkultur“

Aladin El-Mafaalani hat den Augsburger Wissenschaftspreis erhalten

Von Frank Heindl

5000 Euro Preisgeld sind nicht zu verachten – aber auch nicht wirklich viel. Doch der Augsburger Wissenschaftspreis für interkulturelle Studien, den die Stadt am 4. Juli an Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani vergeben hat, hat mittlerweile ein gewisses Renommee – und damit einen ganz eigenen, nachhaltigeren Wert. El-Mafaalani betonte denn auch in seiner Dankesrede, er kenne keinen der bisherigen Preisträger persönlich – aber alle aus seiner wissenschaftlichen Arbeit. Drei Wochen nach der Preisvergabe gab El-Mafaalani der DAZ ein Interview.

„BildungsaufsteigerInnen aus benachteiligten Milieus“ – unter diesem Titel hatte der Politikwissenschaftler, seit kurzem Professor an der Uni Münster, einmal nicht den üblichen Ansatz gewählt: In der Regel wird nämlich untersucht, warum Migranten und andere „Benachteiligte“ den Aufstieg nicht schaffen. El-Mafaalani interessierten die wenigen Ausnahmen: Was sind das für Menschen, die es aus Migrantenmilieus und den sogenannten „bildungsfernen Schichten“ trotzdem ganz nach oben schaffen, welches sind die Bedingungen, die das möglich machten, welches ist der Preis, der für den Aufstieg zu zahlen war. Im Podiumsgespräch mit Uni-Präsidentin Sabine Doering-Manteuffel gestand El-Mafaalani zunächst, dass er mit seiner Ausgangsthese falsch gelegen hatte: Er war der Ansicht gewesen, es müsse ein starkes „Aufstiegsmotiv“ gegeben haben – und fand dieses in keinem der untersuchten „Karrierebiographien“. „Reich und berühmt werden zu wollen“ – dieses Motiv beispielsweise nennen viele Menschen – doch diese scheinen es in der Regel nicht zu schaffen.

Wichtig: ein Mentor als „sozialer Pate“

Stattdessen stellte der Wissenschaftler fest, „der Wille, sich selbst zu verändern“, sei ein wesentlicher Grund für die Befähigung zum Aufstieg – doch dieser Wille müssen von außen angestoßen werden. Sein Beispiel: Ein heute sehr wichtiger Theaterschaffender (El-Mafaalanis Auskunftgeber bleiben selbstverständlich allesamt anonym) habe durch Zufall einen Regisseur kennengelernt. Die Schauspielerei sei für ihn „etwas für Schwule“ gewesen, er habe sich nur durch die Gage ködern lassen. Doch damit sein ein Prozess in die Gänge gekommen. In dessen Verlauf habe der junge Mann gemerkt, dass die anderen Schauspieler ihm überlegen waren, weil sie offen für Neues und nicht von Vorurteilen gehemmt waren. Der Regisseur, der ihn angeworben habe, sei für sehr lange Zeit ein wichtiger Begleiter geblieben, der junge Mann machte das Abitur nach, studierte, wurde bekannt in seinem Fach.

El-Mafaalanis Fazit: „Es muss zur richtigen Zeit jemand kommen“, der eine Mentor-Rolle übernehme, „wie ein Vater“, der über „fragile Situationen“ hinweghelfe. „Sozialer Pate“ nennt der Wissenschaftler solche Förderer – und diese Paten seine in seiner Untersuchung durchweg „Mitglieder der Oberschicht“ gewesen. Normalerweise sei vielen soziologischen Untersuchungen zufolge der Beruf des Vaters ausschlaggebend für den eigenen Erfolgsweg. Man müsse als Angehöriger benachteiligter Milieus „zwei ganz massive Hürden“ überwinden: die des Bildungssystems und die des Berufssystems. Die Unterstützung der eigenen Familie reiche in keiner Weise aus, „wenn man aus der Unterschicht kommt.“ Nicht nur müsste zum Beispiel junge Migranten auf dem Weg nach oben „permanente Minderwertigkeitsgefühle ertragen“, sie müssten im Verlauf einer steilen Karriere auch die soziale Bindung der Familie aufgeben – denn dort sinkt mit dem Aufstieg das Verständnis für das, was der Sohn oder die Tochter beruflich tut. Diese soziale Bindung aber, die Sicherheit und Aufgehobenheit im eigenen Milieu, könne der Aufsteiger nicht wieder finden: In der Sphäre, in die er nun gelangt, gelten andere Maßstäbe und Gesetze, Freundschaft und soziale Bindung seine bei weitem nicht so zuverlässig wie in der Familie und stark an den beruflichen Erfolg gekoppelt. Dieser Verlust der sozialen Bindung werde von allen Untersuchten als „schmerzhaft“ wahrgenommen.

Nichts hat mehr Bedeutung als Ästhetik und Theater

Im Podiumsgespräch mit der zweiten Preisträgerin gab es dann noch eine Überraschung. Jessica Pahl war für ihre Masterarbeit über „Körper und interkulturelles Verstehen“ mit dem Förderpreis ausgezeichnet worden. Sie hatte im Rahmen von Improvisationstheater untersucht, wie Schüler verschiedener Herkunftsmilieus kulturelle Differenzen auch körperlich ausdrücken und überbrücken. El-Mafaalani lobte diesen Ansatz ausdrücklich: Er plädierte deutlich für die Bedeutung von Kunst, Kultur und Theater beim Erlernen neuer Milieus. „Am wichtigsten sind die ästhetischen Erfahrungen.“ Das dürfte vor allem Timo Köster, den Leiter des Augsburger Friedensbüros, sehr gefreut haben: Er war in den Wochen zuvor teils heftig kritisiert worden für seine Forderung an einer deutlichen Öffnung der Kulturinstitutionen und vor allem des Theater für die Belange von Migranten.

El-Mafaalani bestätigte im persönlichen Gespräch nach der Preisverleihung diese Position deutlich: Im Theater, „beim Kucken und beim Spielen“, erlerne man Fähigkeiten wie sonst nirgends: Das Betrachten von fremden Dingen aus anderer Perspektive zum Beispiel. Er selbst erlebe immer wieder, wie nach dem Besuch von Theatervorstellungen „über Dinge gesprochen wird, die man sich vorher nicht getraut hätte und auf die man gar nicht gekommen wäre“ – so würden plötzlich Themen wie Religion und Ehrenmord diskutierbar. Daneben lerne man mit Kunst und Theater auch zusätzliche Fähigkeiten wie „Disziplin, Kreativität und Kommunikation.“ Ihm sei „nichts bekannt, was ähnlich bedeutend wäre wie die Ästhetik, das Theater“, sagt El-Mafaalani, und fasst seine Meinung in einer sehr deutlichen Forderung zusammen: „Das letzte, wo man sparen sollte, ist die Interkultur“.

Zwei Wochen nach der Preisverleihung gab Aladin El-Mafaalani der DAZ ein telefonisches Interview.