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Mittwoch, 04.12.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Das kecke Lachen der Füchsin

Lange Brechtnacht: Isabell Münsch und Geoffrey Abbott im Schaezlerpalais

Von Frank Heindl

"Ach, in jener Nacht der Liebe": Von dieser CD stammt das Programm dieses Abends.

"Ach, in jener Nacht der Liebe": Von dieser CD stammt das Programm des Abends im Schezlerpalais.


Finstere Verzweiflung, bitteres Flehen, klagendes Weinen. Bertolt Brecht hat viel mehr hineingeschrieben in seine „Ballade von der ‚Judenhure‘ Marie Sanders“, als man beim ersten Lesen entdeckt. Es ist auch der Musik von Hanns Eisler zu verdanken, dass man die vielen Dimensionen von Hass und Anklage, von Furcht und Widerstand, aber auch von Liebe und Hingabe in den wenigen, kargen Zeilen nachfühlen kann. Und natürlich Interpreten wie Geoffrey Abbot und Isabell Münsch: Am Freitag, im Rahmen der „langen Brechtnacht“, eröffneten die beiden mit diesem Stück ihr Konzert.

Wie die Marie Sanders nicht verzweifelt an den absurden Rassengesetzen der Nazis, wie sie trotzdem zu ihrem Geliebten mit dem zu schwarzen Haar geht, wie sie das drohenden Omen der Trommeln in den Wind schlägt, wie sie, wenige Zeilen später, durch die Stadt gefahren wird, „im Hemd, um den Hals ein Schild, das Haar geschoren“ – diese ungeheure „Verdichtung“ eines ungeheuren Vorgangs in vier gemeißelten Strophen trägt Isabell Münsch nicht nur stimmlich, sondern auch mimisch großartig vor. Und es muss schwierig sein für die Interpretin, sich so sehr hineinzuversetzen in Brechts Figur und danach so unversehrt aus dieser Mimikri wieder aufzutauchen, dem Publikum ein Lächeln zu schenken und mit sanfter Stimme überzuleiten zum nächsten Stück.

Zwei, die es mit Brecht sehr genau nehmen

Seit 10 Jahren arbeiten der Pianist Geoffrey Abbot und Isabell Münsch zusammen, und sie passen auch deshalb gut zusammen, weil Abbott es mindestens so genau nimmt wie Isabell Münsch, wenn es um Brecht und dessen Komponisten, vor allem also Hanns Eisler und Kurt Weill geht. Abbott kennt deren Lebensgeschichten, er weiß um die Entstehungsumstände der Kompositionen, entschuldigt etwa eine seiner Ansicht nach schwächere Leistung Kurt Weills damit, dass das Stück in Paris entstanden sei, auf dem Weg in die USA, auf der Flucht also. Auch auf andere Stücke hatte Weills Emigration Auswirkungen: Bei „Nannas Lied“ aus den „Rund- und den Spitzköpfen“ sei der Klang der amerikanischen Welt schon herauszuhören. Und der Refrain mit der Frage, wo denn die Tränen von gestern Abend seien und wo der Schnee vom vergangenen Jahr, kommt in der Tat deutlich süffiger daher, als man es noch vom europäischen Weill gewohnt war.

Demnächst auf CD

Selbst wenn Abbott die wunderbaren „Kraniche“ nur um ein paar Töne herunter transponiert hat, um dem Stück das Angestrengte zu nehmen, fühlt er sich verpflichtet, dem Publikum die Gründe ausführlich darzulegen. Das Ergebnis solch detaillierter, in die Tiefe gehender Anstrengungen ist ein Konzert der Sonderklasse, aus dem etwa „Die Kraniche“ hervorsticht, eine „wunderbare Musik“, wie Abbott begeistert ankündigt, „wie Bach, wie eine Triosonate“. Eine „schauspielende Sängerin“ nennt er Isabell Münsch, und die trägt mal dick Lippenstift auf, hängt sich mal eine punkige Lederjacke, mal eine verruchte Federboa um. Doch vor allem fasziniert sie mit ihrer Mimik – etwa am Ende des Lieds vom Förster und der schönen Gräfin. In diese Parabel von der Unmöglichkeit der Liebe über Klassenschranken hinweg gibt es eine eingeschobene Fabel über die Füchsin, die einem Hahn Avancen macht. Am Morgen danach bietet sich ein ernüchterndes Bild: „All seine Federn, die hingen im Strauch“, so endet die ungleiche Liebesgeschichte – und zum Hörenswerten gibt Münsch nun noch das Sehenswerte: Zur Pointe lachte sie unhörbar, aber keck, den Hörern schadenfroh ins Gesicht. Und nimmt damit bis in die Nuancen den Brecht so ernst, wie ihr Kompagnon am Klavier das auf seine Weise tut.

Das Programm dieses Abends stammt übrigens von der CD „Ach, in jener Nacht der Liebe“, die Abbott/Münsch in Wolfgang Lackerschmids traumraum-Studio aufgenommen haben – dort hat das Pedal des Flügels wohl nicht so erbärmlich gequietscht, wie das im Schaezlerpalais leider der Fall war. Die CD ist leider nicht rechtzeitig fertig geworden, wird aber demnächst zum Beispiel in der Buchhandlung am Obstmarkt und bei „Toccata“ (Philippine-Welser-Straße 9) erhältlich sein.