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Freitag, 22.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„Das alles ist nicht wirklich planbar, aber wir müssen diese Situation bewältigen“

Kurt Gribl im DAZ-Interview

Die Stadt Augsburg muss sich auf die Ankunft weiterer Flüchtlinge einrichten. Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl äußert sich im DAZ-Interview darüber, wie sich die Stadt auf die kommenden Aufgaben vorbereitet.

Für die Organisation und die Umsetzung der Versorgung und der Integration der Flüchtlinge sind in  Deutschland die Kommunen zuständig. Der Stadt Augsburg wurden vergangene Woche 244 Flüchtlinge zugewiesen. Rasche Hilfe für die Versorgung war erforderlich. Aufgrund der Zusammenarbeit von über 70 Ehrenamtlichen konnten die Flüchtlinge mit dem Notwendigen versorgt werden. Insgesamt, so OB Gribl, sei die Flüchtlingssituation in Augsburg angespannt mit steigender Tendenz, aber nicht überfordernd und noch zu bewältigen. Auch Kapazitäten für die akute Unterbringung von Flüchtlingen seien dank der gemeinschaftlichen Anstrengungen in Augsburg noch verfügbar, so Kurt Gribl im DAZ-Interview.



OB Gribl bei der Ankunft von Flüchtlingen vor der Reischleschen Wirtschaftschule. Foto: Stadt Augsburg

OB Gribl bei der Ankunft von Flüchtlingen vor der Reischleschen Wirtschaftschule. Foto: Stadt Augsburg






DAZ: Herr Gribl, wie viele Flüchtlinge leben in ungefähr in Augsburg und in der Region?

Gribl: Die Zahlen sind differenziert zu betrachten. Wir haben in Augsburg etwa 200 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, um deren Unterbringung sich das Amt für Kinder, Jugend und Familie kümmert. In den acht Gemeinschaftsunterkünften der Regierung von Schwaben leben jetzt etwa 1000 Asylbewerber. Um die Regierung bei der Suche nach Wohnraum zu unterstützen, hat die Stadt Augsburg seit Jahresbeginn selbst etwa 650 dezentrale Plätze in 13 angemieteten Gebäuden und 17 Pensionen geschaffen. Die Kosten dafür werden uns vom Freistaat Bayern erstattet.

DAZ: Sind das die aktuellen Zahlen?



Gribl: Jetzt kommen noch die Flüchtlinge hinzu, die akut bei uns eintreffen. Ihre Zahl variiert zwischen 300 und 550. Für sie hat die Regierung von Schwaben so genannte Not-Erstaufnahmeeinrichtungen geschaffen, wie zum Beispiel in der Zusam- und Eichleitnerstraße, auch im Mühlmahdweg und in der Berliner Allee oder wie zuletzt in der Turnhalle der Reischleschen Wirtschaftsschule.

“Was ich vor Ort erleben konnte, hat mich tief bewegt”

DAZ: Platz zu schaffen für Unterkünfte sollte in einem reichen Land wie Bayern kein Problem sein. Die Hilfsbereitschaft in München und Augsburg ist bewegend. Es existiert möglicherweise aber die Gefahr, dass die Stimmung bei der Bevölkerung kippt, falls sich die Situation verschärft. – Haben Sie davor Angst?

Gribl: Was ich vor Ort von unseren Hilfsorganisationen, der Polizei, der Feuerwehr und vielen weiteren ehrenamtlich engagierten Helfern an Einsatzbereitschaft erleben konnte, hat mich tief bewegt. Es ist einfach großartig, was da geleistet wird. Ankommende Flüchtlinge müssen selbstverständlich mit dem existenziell Notwendigen versorgt werden. Ich erlebe die Stimmung dazu als unaufgeregt und freundlich-gelassen. Wichtig ist mir, dass es für unsere Stadtgesellschaft nachvollziehbar bleiben muss, welche Asylbewerber bei uns bleiben können und welche nicht. Nur dann können wir unsere ganze Kraft darauf richten, sie in die Stadtgesellschaft zu integrieren. Diese Herkulesaufgabe steht uns noch bevor.

DAZ: Sie sagten nach der Zuteilung von 244 Flüchtlingen: “Wir sind gefordert, aber nicht überfordert.“ – „Überfordert sein“ würde für die Stadt Augsburg welches Szenario bedeuten?

Gribl: Das wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn wir ankommende Flüchtlinge nicht mehr in Erstaufnahmeeinrichtungen unterbringen und versorgen könnten – wenn wir ihnen also kein Dach überm Kopf geben könnten. Deshalb müssen wir mit einer weiteren Erstaufnahmeeinrichtung vorsorgen. Einmal weil wir nicht wissen, wieviel Flüchtlinge wir noch zugeteilt bekommen und dann steht ja auch der Winter vor der Tür. Das heißt, dass die Not-Unterkünfte auch beheizbar sein müssen. Mittlerweile hat die Regierung von Schwaben in der Berliner Allee ein Zelt für 150 Flüchtlinge aufgestellt, das auch winterfest ist. – Das alles ist nicht wirklich planbar, aber wir müssen diese Situation bewältigen und noch wir können das auch. Tatsache ist, dass auch bei uns nicht beliebig viel Platz ist. Einen Konkurrenzkampf etwa zwischen Flüchtlingen und anderen bedürftigen Bürgern um Wohnraum in der Stadt kann und darf es nicht geben.

“Da ist dann eben der Nutzen einer Schulturnhalle gegen die akute Erstversorgung von Menschen abzuwägen”

DAZ: „Deutschland tut das, was moralisch und was rechtlich geboten ist. Und nicht mehr und nicht weniger”, so Angela Merkel vergangene Woche. Damit bot sie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban die Stirn. Dieser hatte den Zustrom von Flüchtlingen als ein „deutsches Problem“ bezeichnet. Die Migranten wollten nicht in Ländern wie Ungarn, Polen oder Estland bleiben. „Alle würden gerne nach Deutschland gehen, so Orban.  Augsburg tut das, was moralisch und was rechtlich geboten ist. Nicht mehr und nicht weniger. Würden sie das Merkel-Wort auch für Augsburg unterstreichen, oder macht die Friedensstadt mehr als nur ihre Pflichtaufgabe?

Gribl: Die Bundeskanzlerin hat auch gesagt, dass deutsche Perfektion super ist, dass jetzt aber Pragmatismus und Flexibilität gefordert sind. Das gilt natürlich auch für Augsburg. Da ist dann eben der Nutzen einer Schulturnhalle gegen die akute Erstversorgung von Menschen abzuwägen. Es ist nun einmal so, dass die aktuelle Situation auch den geregelten Alltag in einer Stadt beeinflusst. Dafür gilt es, um Verständnis bei den Bürgerinnen und Bürgern zu werben und an sie zu appellieren, die angespannte Situation in der Stadt mitzutragen. Wenn wir bei der Integrationsaufgabe, also der Situation nach der Erstaufnahme, von Einrichtungen wie dem Grandhotel oder Tür an Tür aber auch dem Freiwilligenzentrum oder unserem städtischen Friedensbüro und dem Büro für Migration, Interkultur und Vielfalt unterstützt werden, dann erfüllen wir einen Anspruch, der einer Friedensstadt auch gerecht wird.

“Weil ganz sicher noch mehr Flüchtlinge unterzubringen sind, optimieren wir unsere Strukturen”

DAZ: Sie waren vor Ort, zusammen mit Ordnungsreferent Dirk Wurm. Wie ist ihr Eindruck? Was kann die Stadt im Besonderen aber auch im Allgemeinen konkret machen? Was kann sie besser machen?

Oberbürgermeister Kurt Gribl

Oberbürgermeister Kurt Gribl


Gribl: Die ankommenden Flüchtlinge sind gestresst, erschöpft und müde. Alles in allem ist ihr gesundheitlicher Zustand aber relativ gut. Binnen viereinhalb Stunden wurde die RWS-Turnhalle in eine Not-Erstaufnahmeeinrichtung umfunktioniert, das ist eine sehr respektable Leistung. Weil ganz sicher noch mehr Flüchtlinge unterzubringen sind, optimieren wir unsere Strukturen. Dazu haben wir jetzt zum Beispiel eine Meldekette vorbereitet, die von der Regierung von Schwaben zu einem konkreten Ansprechpartner der Stadtverwaltung führt. Er kümmert sich vor Ort um die Organisation der Asylsituation und ist gleichzeitig auch Ansprechpartner der Regierung von Schwaben und der Hilfsorganisationen. Auch für eine weitere Not-Erstaufnahmeeinrichtung sorgen wir vor. – Außerdem schalten wir auf www.augsburg.de noch im September ein Informationsportal zur Asylthematik. Dort erfahren Bürgerinnen und Bürger unter anderem, wie die Situation in Augsburg sowie national aussieht und was nach der Erstaufnahme passiert. Auch häufig gestellte Fragen zu Flucht und Asyl werden beantwortet. Zudem werden auf einem Portal Informationen dazu gebündelt, wo und wie sich Helferinnen und Helfer engagieren können, wohin Sach- oder Geldspenden geleitet werden können und an wen man sich bei Fragen oder Problemen wenden kann.

“Eine faire Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist Voraussetzung, um die Asylproblematik zu bewältigen”

DAZ: Im Städtetag gab es im Mai Ärger wegen einer Nichteinladung der Kommunen zu „Flüchtlingsgesprächen“ zwischen Bundesregierung und Ländervertretungen. Die Kommunen müssen mehr eingebunden werden, so Nürnbergs OB Ulrich Maly damals, schließlich seien sie für die Aufnahme und die Integration zuständig. Was muss sich aus der Sicht eines Oberbürgermeisters, der wohl bald dem Städtetag vorsitzen wird, konkret an der Flüchtlingspolitik innerhalb Deutschlands ändern?



Gribl: Dazu hat der Asylgipfel der Bundeskanzlerin am vergangenen Sonntag jetzt wichtige Fragen beantwortet. Wichtig sind klare Regeln: Eine faire Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist Voraussetzung, um die Asylproblematik zu bewältigen – von der europäischen Ebene ganz zu schweigen. Wichtig ist auch, dass die Westbalkanländer als sichere Herkunftsländer eingestuft werden, um den Asylbewerberstrom zu drosseln. Auch eine schnelle Rückführung jener, die kein Asylrecht zuerkannt bekommen, ist erforderlich. Nur so wird auf Dauer auch Akzeptanz in der Aufnahmegesellschaft erreicht werden können. Dass die Kommunen jetzt drei Milliarden Euro erhalten, schafft uns brauchbare Rahmenbedingungen um Aufgaben bei der Unterbringung und Versorgung, vor allem aber im Bereich der Integration bewältigen zu können.

DAZ: Herr Gribl, vielen Dank für das Gespräch.

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Fragen: Siegfried Zagler