Brechts Johanna der Schlachthöfe als Bühnen-Comic
Kapitalismuskritik 2.0: Der Beitrag des Augsburger Theaters zum Brechtfestival entstaubt Brecht auf karikaturistische Weise und macht sein Anliegen damit aktuell.
Von Halrun Reinholz
Was für ein Kontrast zur Mutter Courage des Berliner Ensembles! Für das Brechtfestival hat das Theater Augsburg Brechts Stück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ ausgewählt. Bei weitem nicht so bekannt wie die Mutter Courage – und das wohl zu Recht, denn das Stück hat einige Längen und sperrige Passagen. Doch Regisseur Christian Weise setzte auf das Plakative bei Brecht und brachte das modellhafte Stück als eine Art Comic auf die Bühne: Die Figuren als grotesk-komische Typen in unförmigen Sesamstraße-Kostümen, die Requisiten karikaturistisch überzeichnet und dazu noch zweidimensional („Glas voll – Glas leer“) und zwischen den Brecht-Botschaften flapsige Sprüche und clowneske Szenen. Dazu ein Bühnenbild, das kein Klischee auslässt, wenn es den überbordenden Kapitalismus mit den verfremdeten Logos unserer Zeit karikiert: „Seimeins“, „Miesosoft“, „Funeral Motors“, „Siphilips“. Zwischendurch kommen Comic-Strips auch als Video, die Massenszenen während der Streiks etwa. (Requisiten, Bühnenbild und Videos: Julia Oschatz). Auf den ersten Blick eine befremdende Idee, doch erweist sie sich im Stückverlauf stimmig, zumal wenn die originalen Brecht-Zitate bei aller Dialektik manchmal doch etwas staubig-klassenkämpferisch anmuten.
Hinzu kommt, wie Brecht selbst erklärt hat, die (gewollt) „prosaische“ Sprache des Stückes, die dem Inhalt geschuldet ist: Es geht um Kapitalismus, um wirtschaftliche Zusammenhänge, um Profit. Dies in den „shakespearschen Versen“, wie von Brecht vorgesehen, mit zu viel Ernsthaftigkeit auf die Bühne zu bringen, verbietet sich (zumindest aus heutiger Sicht) aus dramaturgischen Gründen von selbst. Und so erscheint der Gedanke durchaus gelungen, der die Kapitalismuskritik der 30er Jahre mit den karikaturistischen Mitteln der heutigen Zeit zu fassen versucht, ohne sie abzuschwächen. Einen großen Anteil an dem insgesamt runden Gesamteindruck hatte bei dem Projekt zweifellos die Musik. Jens Dohle, Schlagzeuger und Theatermusiker, hatte im Orchestergraben ein umfangreiches Instrumentarium aufgebaut, das er im Alleingang und im Wechsel mit eingespielter Musik (die er wiederum mit großen Gesten zum Schein dirigierte) agil und bravourös bediente. So bekam jede Bewegung auf der Bühne ein passendes Geräusch, ob Wassergluckern, Pistolenschuss oder Handyklingeln (!), was aus dem optischen Comic auch ein akustisches machte. Gefordert waren auch die Schauspieler, die im Maskenspiel die Typen überzeichnen mussten und dies mit „großem Spiel“ und sichtlichem Vergnügen taten. Jessica Higgins als naiv-gutmenschliche Johanna stand bravourös dem Fleischerkönig Mauler gegenüber, der wiederum facettenreich von Brigitte Peters dargestellt wurde. Herausragend auch Ute Fiedler als Slift, Klaus Müller als Frau Luckerniddle (im „Miss-Piggy-Look“) und Alexander Darkow als Major der Schwarzen Strohhüte.
Ein ganz anderer Zugang zu Brecht als der über die Mutter Courage vom Berliner Ensemble. Da zeigt sich mal wieder: Brecht hat viele Facetten.
Foto: Nik Schölzel