Brechtfestival: Längst nicht jeder kann Brecht
„Ich kann Brecht – Brecht kann mich“: Highlights und Peinlichkeiten
Von Frank Heindl
Wenig wirklich Sehens- oder Hörenswertes, einiges Mittelmaß und echte Peinlichkeiten: Was das Brechtfestival am Sonntag als „Pre-Opening“ in der Brechtbühne bot, hätte einer Regie bedurft, die Schlechtes und Überflüssiges auch mal einfach herauswirft, einer Dramaturgie, die Laien und Anfängern mit ein paar praktischen Tipps unter die Arme gegriffen hätte, und nicht zuletzt einer konsequenteren zeitlichen Begrenzung.
Die Idee ist gut und hat in einigen Fällen gefruchtet: Die Organisation des Brechtfestivals hatte dazu aufgerufen, sich eigene Gedanken zu Brecht zu machen und damit vor der offiziellen Festivaleröffnung vors Publikum der Brechtbühne zu treten. Man konnte sich mit einer Idee und einem Kurzvideo bewerben. 20 Bewerber taten das – und 20 von ihnen wurden genommen. Warum das Jazzquartett um den phantastischen Saxophonisten Jan Kiesewetter den Nachmittag ausgerechnet mit der abgedroschensten Nummer aus dem Brecht-Repertoire, also mit dem Mackie-Messer-Song begann, ist rätselhaft; dass es beispielsweise zu Brechts „Kinderkreuzzug“ mit locker-flockigem Swing überleitete, kann nur von Unkenntnis der Programmfolge herrühren – ist also wohl der nicht vorhandenen Regie anzulasten.
Flüchtlingsströme, ungeheuer …
Auch die Fünftklässler der Realschule Neusäß, die das Wagnis der Rezitation des „Kinderkreuzzuges“ eingingen, wurden alleingelassen mit ihrer Präsentation und lieferten eine viel zu pathetische Version ab. Wo war der Dramaturg, der anregte, das Ganze mal in sachlichem Ton zu probieren und damit die Wirkung zu vervielfachen? – Immerhin hätte dies das Gedicht nicht nur des Tages, sondern des Jahres sein können, kaum ein anderes kann derzeit besser die Aktualität des Dichters demonstrieren, der 1941 beklemmend prophetisch Flüchtlingsströme voraussieht: „mühsam wandernd gegen kalte Winde. Heimatlose, Richtungslose … und der Zug wird ungeheuer.“
Ein drastischer Fehlschlag die Werbung in eigener Sache, die Michael Schaeffer betrieb. Der Marketingleiter der Bäckerei Ihle wusste zum Thema „Ernährung bei Brecht“ wenig mehr zu sagen, als dass sein Unternehmen vor einigen Jahren die so genannten „Brechtbreze“ kreiert habe – einfach peinlich! Und was ist eigentlich witzig daran, mit Brecht-Unkenntnis zu kokettieren und dieses Eingeständnis als charmante Charaktereigenschaft verkaufen zu wollen? Alexander Wodrich, Moderator bei „Radio Fantasy“, verkündet auf der Brechtbühne, er habe zwar Germanistik studiert, aber bis vor Kurzem von Brecht „keine Ahnung“ gehabt – mittlerweile finde er ihn aber „cool“. Sein Beitrag: Aus Interviewschnipseln ebenso unwissender Augsburger hat er ein paar (wenig aussagekräftige) Sätze über Brecht zusammengeschnitten. Soll das ein Beispiel sein für kreativ-frechen Umgang mit Brecht?
Neben dem ganz Schlechten gab’s dann auch noch viel Mittelmaß. Jürgen Marks, stellvertretender AZ-Chefredakteur beispielsweise mit einem „Brief an Brecht“, in dem er vermutet, dass Brecht heutzutage auf die Augsburger Unternehmer stolz wäre. Oder Finanzreferentin Eva Weber mit der originellen Idee, Brecht twittern und posten zu lassen – inhaltlich hätte ein bisschen mehr Pepp nicht geschadet.
Eine kleine Provokation – endlich!
Glücklicherweise konnten andere das besser. Wolfgang Magg alias „Wotan“ verblüffte mit Dialekt-Versionen von Brecht-Gedichten und vernuschelte lechhauserisch, was dann echt und erdverbunden und sehr brechtisch klang. Kurt Idrizovic und Sybille Schiller rezitierten genau und mit Gefühl für Inhalt, Rhythmus und Intonation, bei Andreas Ströbel kam noch eine Portion Schauspielerei dazu – endlich mal ein paar gut vorgetragene Gedichte des Autors, der vielen als der größte Lyriker des 20. Jahrhunderts gilt. Michael Friedrichs luchste dem zweiten Teil des Veranstaltungstitels endlich Sinn ab: „Brecht kann mich … gerne noch lange begleiten.“ Burhan Kacar und Serkan Erol gaben einen Türkisch-Kurs für essentielle Brecht-Zitate und Titel.
Und Kathrin Knöpfle tanzte zu Didgeridoo-Klängen ihre Interpretation des Gedichtes „Liebesunterricht“, zeigte ihren Körper nach des Dichters Wunsch als „beseeltes Fleisch“, versuchte zunächst schamhaft, Brust und Scham mit den Händen zu schützen, zu verstecken, demonstrierte dann ihre Haut, ihre Bauchfalten, biss sich ins eigene Fleisch. „Jetzt reicht’s dann! – is‘ ja fürchterlich“, flüsterte eine Zuschauerin in der Nähe des Rezensenten ob der – endlich! endlich! – kleinen Provokation. Und schließlich noch ein kluger, anstrengender, literaturwissenschaftlich-kunstgeschichtlicher Text von tim-Leiter Karl Borromäus Murr über die „Fragen eines lesenden Arbeiters“ und ein Kunstwerk von Elizabeth Aro. Auch das mag für manchen eine Provokation gewesen sein – hoher intellektueller Anspruch zwischen allzu viel seichtem Allerlei. Nein, längst nicht jeder kann Brecht. Und vor allem muss nicht jeder damit auf die Bühne – wenn man die Veranstaltung statt guter zwei Stunden nur 90 Minuten hätte dauern lassen, ein bisschen Spreu vom Weizen getrennt hätte – es hätte gut getan.
Foto: „Beseeltes Fleisch“ – Kathrin Knöpfle tanzte beeindruckend und machte Brechts Gedicht „Liebesunterricht“ als zynisch kenntlich (Foto: Frank Heindl).