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Donnerstag, 28.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Brechtfestival: Kriegsfibel – was man aus Bildern lesen kann

Brechts Kriegserleben aus zweiter Hand wurde im Rahmen des Brechtfestivals musikalisch neu interpretiert.

Von Halrun Reinholz

Ein kleiner, feiner Kammerchor: Das Junge Vokalensemble Schwaben ist für seine Qualität bekannt. Diesmal stand nicht, wie üblich, Andrea Huber am Dirigentenpult, sondern Yoed Sorek, in Augsburg als Liedinterpret bekannt. Neben ihm die Sopranistin Beatrice Ottmann und der Bariton Manuel Wiencke. Am Klavier Geoffrey Abbott und an einem Lesepult die Schauspielerin Rike Schmid. Soweit das Arrangement für die „Kriegsfibel“, 69 Vierzeiler zu Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg.

Eine Gesamtschau mit unterschiedlicher Musik

Brecht verfolgte das Kriegsgeschehen aus dem Exil über die medialen Quellen, die ihm zur Verfügung standen. Dabei war er eher auf Zufälle angewiesen – die Zeitungen, die ihn gerade erreichten, oft in fremden Sprachen. Er schnitt Bilder aus und reflektierte darüber. 69 dieser Bilder fasste er nach dem Krieg mit den dazugehörigen „Fotoepigrammen“ zur „Kriegsfibel“ zusammen. „Fibel“ durchaus ernst gemeint als „Lesebuch“, das den Blick hinter die Oberfläche des Bildes richtet. Das Buch konnte, wie Festival-Leiter Joachim Lang in seiner Einführung erörterte, 1955 nur mit Mühe in der DDR erscheinen, im kalten Krieg war der zutiefst pazifistische Grundtenor der Epigramme nicht erwünscht. Trotzdem wurden danach etliche der Texte in der DDR vertont, von Eisler und von Dessau, die sie jeweils in ein größeres Werk integrierten. Darüber hinaus ist die Kriegsfibel nur wenig bekannt, was Geoffrey Abbott zum Anlass nahm, über eine angemessene neue Präsentation mit entsprechender Musik nachzudenken. Zu diesem Zweck hat er von den vorhandenen Vertonungen (die wohl mit viel Pathos aufgeladen sind, wie er fand) einige selektiert und „entstaubt“, weitere Vertonungen wurden bei insgesamt fünf zeitgenössischen  Augsburger Komponisten (mit den entsprechenden Aufführungsvorgaben) in Auftrag gegeben. Jeder Komponist suchte sich einige aus, der Rest blieb unvertont. So entstand für das Brechtfestival eine Gesamtschau der Texte mit sehr unterschiedlicher Musik, was der Veranstaltung zweifellos einen eigenen Reiz verlieh. Jeder der fünf Komponisten ist in einer anderen Stilrichtung verwurzelt – Richard Heller und Wolfgang Lackerschmid sind zudem fast eine Generation älter als Michael Kamm, Tom Simonetti und Stefan Schulzki.

Dokumente der Unmenschlichkeit und Sinnlosigkeit jedes Krieges

Die beiden Letzteren traten auch selbst in Aktion, weil sie elektronische Elemente in ihren Vertonungen vor Ort mit einbrachten. Keine leichte Aufgabe für die Solisten und den Chor, die neben konventioneller Tonalität zwischen E-Musik, Jazz- und Popklängen oft sehr ungewöhnliche Töne von sich geben mussten. Aber die Hauptwirkung hatten letztlich die Texte, zusammen mit den dazugehörigen Fotos, Dokumente der Unmenschlichkeit und Sinnlosigkeit jedes Krieges. („Als wir uns sahn – s`war alles schnell vorbei -/ Ich lächle und die beiden lächeln wieder./ So lächelten wir erstmal alle drei,/ Dann zielte einer und ich schoss ihn nieder.“) Sie wurden für die Zuschauer an die Wand projiziert und zeigten, wie auch in unserer medial überfluteten Zeit Bilder wirken können. Wenn man sie lesen kann. Bertolt Brechts letztes Buch von 1955 ist 2008 in der sechsten Auflage im Eulenspiegel-Verlag Berlin erschienen.