Brechtfestival: „Hier entstand große Literatur“
Überwältigendes Interesse an der Führung im Bleichviertel, wo Brecht seine Jugend verbrachte
Von Halrun Reinholz
Lange vor dem Beginn der Führung sammelten sich bereits Menschentrauben an der Kahnfahrt, und das bei Kälte und Nieselregen. Der Historiker Thomas Felsenstein, so stand es im Programm zum Brechtfestival, wollte eine Führung durch das Viertel anbieten, in dem Brecht seine Jugend verbracht hat. Dass die SPD Veranstalter dieses Angebots war, hätte in Zeiten des Kommunalwahlkampfes im Programm fairerweise Erwähnung finden müssen. Es führte dann so eine Art Triumvirat, das sich die Themenschwerpunkte aufteilte: Thomas Felsenstein lieferte an jeder Station die historischen Fakten, Christian Gerlinger (Ortsvereinsvorsitzender der SPD im Stadtteil) die Insider-Details und Stadtratskandidat Frank Mardaus war für die künstlerische Gestaltung in Form von literarischen Belegen und passenden Brecht-Zitaten zuständig.
Die wahre Heimat Bertolt Brechts
Bei aller historischen Sachlichkeit galt es natürlich, eine Botschaft zu vermitteln. Nämlich die, dass das Bleichviertel die wahre Heimat Bertolt Brechts war – nicht etwa das Brechthaus in der Altstadt, das für Touristen so etikettiert wird. Augsburger und vor allem Brecht-Kenner wissen das natürlich, dennoch sind viele Details der Verflechtungen zwischen der Familie Brecht und dem Viertel um die Kahnfahrt unbekannt – dem wurde hier (auch ganz explizit als Beitrag zur Diskussion über die Zukunft des Brecht-Hauses) abgeholfen. Während es wider alle Gerüchte keinerlei Belege dafür gibt, dass Brecht jemals ein Ruderboot an der Kahnfahrt gemietet hat, sind andere Gebäude und Plätze dem Leben und Werk des Dichters eindeutiger zuzuordnen. Die Tour führte natürlich zu dem Haus der Haindlschen Stiftung in der Bleichstraße, in dem die Familie Brecht zwei Wohnungen bewohnte und wo die berühmte Mansarde dem jungen Dichter und seinem Freundeskreis die Möglichkeit zu kreativem Miteinander bot. Hier soll der „Baal“ entstanden sein. Aber es führte auch zu Häusern, wo Freunde Brechts gewohnt hatten – Rudolf Hartmann in der Müllerstraße in einem Haus mit Hinterhof und Pflaumenbaum (sic!), Georg Pfanzelt („Orge“) in der Klauckestraße. Frank Mardaus las aus den Erinnerungen des Brecht-Bruders Walter, Christian Gerlinger verriet Details wie dieses, dass Brecht in der Dachmansarde dem flüchtigen Räterevolutionär Georg Prem 1919 Zuflucht gewährt hatte. Und dass es gar nicht einfach war, dem Augsburger Dichter in seiner Heimatstadt eine Straße zu widmen. Im Bleich-Viertel wurde schließlich die Frühlingstraße nach ihm benannt. Sachkundig knüpfte Thomas Felsenstein die Fäden zur allgemeinen Historie des nicht sehr feinen Vorstadt-Viertels der freien Reichsstadt und auch zu seiner heutigen Entwicklung in Richtung „stadtnahes Wohnen im Grünen“. Selbst eine auf Brecht spezialisierte langjährige Stadtführerin im Publikum gab zu, einiges dazugelernt zu haben.
Großes Interesse am Thema Brecht
Auf die schätzungsweise gut 200 Interessenten an der Führung war man begreiflicherweise nicht vorbereitet, deshalb musste kräftig improvisiert werden. In Ermangelung eines Megaphons suchte man erhöhte Plätze auf – Treppenabsätze, zur Not auch mal Mülltonnen. Entsetzte Blicke begleiteten die Menschenmasse aus Fenstern, wo schnell mal Rolläden herabgelassen wurden. Das zeigt aber nur: Das Führungsangebot traf offenbar den Nerv der Augsburger. Brecht ist, muss man wohl schließen, als „einer von uns“ in der Stadtgesellschaft angekommen. Diesen Eindruck vermittelt das Brechtfestival mittlerweile insgesamt – man geht hin, man spricht davon. Viele Veranstaltungen sind hoffnungslos ausverkauft. Und an Angeboten wie der Führung im Brechtviertel besteht Bedarf. Die Veranstalter nahmen es mit Wohlwollen zur Kenntnis und versprachen eine Neuauflage. Die muss nicht bis zum nächsten Brechtfestival warten, bei angenehmeren Temperaturen und ohne Regen könnte die Tour noch viel spannender sein.