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Brechtfestival: Maxim Gorki Theater überzeugt mit „Dickicht“

Brechts „Dickicht“ als Gastbeitrag des Berliner Maxim Gorki Theaters im Rahmen des Augsburger Brechtfestivals überzeugt und beeindruckt, weil die Spannung und Sprachgewalt des Stücks hervortritt

Von Dr. Helmut Gier

Lea Draeger, Taner Şahintürk in "Dickicht" auf der Brechtbühne (c) Ute Langkafel

Lea Draeger und Taner Şahintürk in Brechts "Dickicht" auf der Brechtbühne (c) Ute Langkafel


Bei allem thematischen Überbau und ideologischem Tiefgang stellt es immer noch die vornehmste und wirksamste Aufgabe eines Brechtfestivals dar, dem Publikum die Begegnung mit herausragenden Künstlern, Ensembles und Inszenierungen zu ermöglichen. Im Falle des Gastspiels mit Brechts frühem Stück „Im Dickicht der Städte“ am 3. März 2018 trifft dies sowohl auf das Berliner Maxim Gorki Theater zu, das 2014 und 2016 mit der Ernennung zum Theater des Jahres geehrt wurde, wie auch auf den Regisseur Sebastian Baumgarten, der schon 2013 mit einer Brecht-Inszenierung zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden war. Die Voraussetzungen für einen besonderen Brechttheaterabend in Augsburg waren also gegeben, schade nur, dass die Aufführung in die kleine Spielstätte der Brechtbühne verlegt wurde, so dass viele Interessenten daran nicht teilhaben konnten.

Gespannt durften die Zuschauer, die eine Karte ergattert hatten, darauf sein, wie der Regisseur an das seit jeher als schwierigstes Stück Brechts geltende Schauspiel über den „Kampf zweier Männer in der Riesenstadt Chicago“ – so der Untertitel – herangehen würde. Dem langjährigen Leiter des Berliner Ensembles Manfred Wekwerth zufolge konnte es bis heute niemand so recht erklären, auch er selbst nicht. Zuschauer vieler Aufführungen verließen die Theater demgemäß oft sehr beeindruckt aber doch etwas ratlos. Brecht hat es immerhin den Ruf eingebracht, mit ihm auch noch ein Vorläufer des absurden Theaters gewesen zu sein.

Dabei sind in das hundert Jahre alte Stück, das 1923 uraufgeführt wurde, zahlreiche Ingredienzien gemischt, die es zu einem der aktuellsten Werke des Dichters machen: Homoerotik, Rassismus, auch Altersrassismus, Vereinzelung des Individuums in der Anonymität der Großstadt, Zerfall der Familie, Raubtierkapitalismus, Käuflichkeit von Liebe und Gesinnungen. Brecht verwebt diese Themen und Motive mit einer oft lyrischen, hochexpressiven Sprache in einen undurchsichtigen, chaotisch wirkenden Handlungsablauf, in dem die Fäden leicht verloren gehen können. Zu dieser Verrätselung hat Brecht später selbst noch beigetragen, indem er vom „unerklärlichen Ringkampf zweier Menschen“ spricht, über dessen Beweggründe der Zuschauer sich nicht den Kopf zerbrechen solle.

Wie im Regietheater üblich, peppt Sebastian Baumgarten das Stück mit Fremdtexten auf, immerhin meist Texte von Brecht selbst aus anderen Werken, so gleich schon zu Beginn, als die (alle wie Marionettenspieler anonym schwarz gewandeten) Schauspieler aus Wohnblocks auf die Bühne strömen und die Aufführung mit Passagen aus dem „Lesebuch für Städtebewohner“ beginnen, und damit das Motiv der großen Stadt in den Mittelpunkt stellen. Dem Einsatz von Fremdtexten stehen zwangsläufig Kürzungen im Originaltext gegenüber, so ist zum Beispiel die Rolle der Mutter George Gargas ganz gestrichen. Das sozialkritisch dankbare Thema des Zerfalls der Familie tritt damit etwas zurück, die Konzentration richtet sich ganz auf den Kampf der beiden Hauptfiguren.

Das Stück selbst beginnt in dieser Inszenierung als Farbfilm ohne Ton auf einer großen Leinwand. Vor der eigentlichen Theaterauführung wurde das ganze Stück als Stummfilm eingespielt, die Schauspieler auf der Bühne sprechen die Texte mehr oder weniger synchron live, sind mit dieser Trennung von Bild und Ton somit ihre eigenen Synchronsprecher, was durch die einheitliche schwarze Gewandung noch unterstrichen wird.

Der Film wird freilich immer wieder unterbrochen, dann spielen die Schauspieler auf der Bühne weiter. Ohne Perücken, Schminke und Bühnenbild sowie in einheitlicher Kleidung erzeugt dieses Spiel einen starken Kontrast zur expressiven Darstellung im Film mit seinem Hyperrealismus. Erzeugt wird damit ein doppelter Verfremdungseffekt im Auseinandertreten von filmischer Handlung und überhöhter Sprache des Sprechtheaters sowie überdrehter Filmschauspielerei und dem Spiel auf der Bühne, das ohne äußere Mittel ganz auf Gestik und Sprache vertraut. Diese starken Kontraste legen durchaus den Blick auf die Strukturen des Stücks frei, wirken über die ganze Spieldauer von 135 Minuten aber etwas ermüdend. Die hervorragenden Schauspieler, die zwangsläufig gegen ihre filmischen Verdoppelungen etwas klein wirken und gegen sie anspielen müssen, meistern diese schwierige Situation mit Bravour.

Zweifel sind aber angebracht, ob Sebastian Baumgarten bei der Besetzung der Rollen immer eine glückliche Hand bewies. Dies gilt vor allem für die Hauptfigur, den Holzhändler Shlink, „ein Malaie“. Yellowfacing ist heute genauso verpönt wie Blackfacing, so dass von der im Stück immer wieder betonten „gelben Haut“, der Herkunft aus dem Fernen Osten, auf der Bühne wie im Film nichts zu sehen ist. Hinzu kommt, dass dieser „Malaie“, wie im Original ausdrücklich gesagt wird, 54 Jahre alt ist. Thomas Wodianka, der als gut aussehender jugendlicher Held durchgehen würde, soll damit einen nach den Maßstäben der Zeit eher etwas hässlichen und schon älteren Asiaten vorstellen. Das wäre in Baumgartens Inszenierung insofern wichtig, als der einzige unmittelbare Gegenwartsbezug das Einspielen eines Films mit den fremdenfeindlichen Übergriffen auf die von Vietnamesen bewohnten Häuser in Rostock-Lichtenhagen im Jahre 1992 in der vorletzten Szene mit der Flucht Shlinks vor der Lynchjustiz der einheimischen Bevölkerung darstellt. Das ist gerechtfertigt, da der junge Brecht in der Tat die Hetzkampagnen und Massaker der europäischstämmigen Bevölkerung in den USA thematisiert, die zum Immigration Act von 1917 führen, mit dem alle Asiaten von der Einwanderung ausgeschlossen wurden.

Brechts „Dickicht“ ist ein sperriges, verstörendes, spannungsreiches und sprachgewaltiges Stück von hoher Aktualität. Die Ensembleleistung des Maxim Gorki Theaters hat diese Merkmale auf eindrucksvolle Weise hervortreten lassen. Die Auseinandersetzung mit Brechts dramatischem Frühwerk erfolgte auf hohem Niveau, was auch nicht anders zu erwarten war, sehenswert war die Aufführung allemal.