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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Brechtfestival: Arturo Ui zum Abschluss

Die Inszenierung aus Weimar überzeugte nur im zweiten Teil

Von Frank Heindl

Arturo-Ui-Regisseur Christoph Mehler (Foto: Brechtfestival).

Arturo-Ui-Regisseur Christoph Mehler (Foto: Brechtfestival).


Trust, das sei, erklärt der Duden, der „Zusammenschluss mehrerer Unternehmen unter einer Dachgesellschaft, meist unter Aufgabe ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Selbstständigkeit, zum Zwecke der Monopolisierung.“ Dass auch ein Staat wie ein Wirtschaftsunternehmen funktioniert und dass mithin der Faschismus eine wenn nicht zwingende, so doch logische Option des Kapitalismus sein kann – das ist eine der Thesen, die Brecht mit seinem Stück über den „Aufstieg des Arturo Ui“ darlegen wollte. Zum Abschluss des Brechtfestivals zeigte ein Gastspiel die Ui-Inszenierung des Deutschen Nationaltheaters Weimar.

Um es gleich vornweg zu sagen: Die erste Hälfte der Inszenierung hätte sich am liebsten erspart, wer zwei Tage vorher und ebenfalls im Großen Haus Christian Friedels radikal gekürzte, aber umso prägnantere Inszenierung desselben Stück gesehen hatte. Diese rasante und spannungsgeladene Interpretation im Hinterkopf, erschien die erste Stunde der Weimarer Fassung geradezu langweilig. Präzise hielt  sich diese Fassung an Brechts Text, doch schon beim Prolog angefangen wurde der uninspiriert und künstlich aufgesagt – um nicht zu sagen: heruntergehaspelt – und dann auch noch mit schwachen Kalauern à la „Arturo Ui – uiuiuiuiui!“ angereichert. Im Gegenzug machte sich Regisseur Christoph Mehler nicht mal die Mühe, Begriffe wie die „Thompson-Kanone“ in ein verständliches Gegenwartssprache zu übersetzen – als ob man das Maschinengewehr der 20er-Jahre-Gangster nicht einfach Maschinengewehr hätte nennen können.

Gangsterdrama im Outfit der Unternehmensberatung



Ähnlich uninspiriert fühlte sich die Inszenierung in vielen Teilen an, bis hin zur gefahrvoll dräuenden Hintergrundmusik, die so oft gar nicht dem entsprach, was da auf der Bühne gezeigt wurde, bis hin auch zu sehr viel Geschrei, dessen Inhalt möglicherweise bedrohlicher geklungen hätte, wäre er leise vorgetragen worden. Ein verbindlicher Tonfall hätte auch weit besser zum übergeordneten „Unternehmensberatungs-Outfit“ gepasst, das Mehler dem Gangsterdrama verpasst hatte: Eine große Tafel im Hintergrund annoncierte treffend die Begriffe jener Branche, die die Methoden wirtschaftlicher Eroberung, seien sie noch so erpresserisch, mit euphemistischen Wohlfühlparolen à la „Investment“, „Emotion“, „Performance“ oder „Credibility“ verbrähmt.

Je mehr sie sich auf die Suche nach einer eigenen Sprache machte, desto stärker wurde die Inszenierung. Anleihen beim Stummfilm, als man Ui in Anlehnung an Charlie Chaplins „Großen Diktator“ mit einem Kohlkopf Weltherrscher spielen ließ, zeigten erstmals das Bestreben Mehlers, mehr zu zeigen als den historischen Brecht. Anders als bei Chaplin, wo der Luftballon-Erdball schließlich einfach platzt, zerschmettert der Weimarer Ui nicht nur seinen Kohlkopf in rasend-sadistischer Wut, sondern wirft die Reste dann auch noch einem seiner menschlichen Bluthunde zum Fraß vor – ein drastisches Bild und doch harmlos in Anbetracht dessen, was auf Ui-Hitlers Machtergreifung folgen sollte. Nun wurde jedenfalls die Inszenierung nach und nach mutiger, wurden im Bühnenhintergrund Fackeln entzündet, die durchaus gegenwartsbezogene Bilder evozierten.

„Zugriff“ – und Österreich wird vergewaltigt



Während Ui sich in einen modernen Wirtschafts-/Politik-Manager verwandelte, verteilten sich Zustimmung brüllende Claqueure im Publikum, ertönen „Jetzt wird aufgeräumt“-Rufe und wird der „Zugriff“ angekündigt und wenig später der „Anschluss“ Österreichs in erneut eindeutigen Bildern als Mixtur aus Verführung und Vergewaltigung gezeigt: Während Betty Dullfeet sich noch ernsthaft sträubt, entkleidet sie sich doch gleichzeitig schon, und bemerkt zu spät, wem sie das Bett bereitet hat. Kurz darauf schon liegt sie auf dem Leichenstapel, den Ui an den Bühnenrand schleppt, bevor er vom meterhohen Rednerpult herab sarkastisch und im Besitz der Macht verkündet: „Nun dürft ihr wählen.“ Seinen „Trust“ hat Ui nun, über den wirtschaftlichen Zusammenschluss ist er zum politischen Monopol gelangt – Mehlers Inszenierung sparte, wie zuvor die von Friedel, die historisch detaillierten Bezüge und Anspielungen Brechts aus und machte Ui zum heutigen Manager eines verbrecherischen Polit-Syndikats. An der Spitze dieses „Staats-Trusts“ angekommen, kann Ui nun er seiner geopolitischen Ziele von Minneapolis über Damaskus bis New York verkünden. Warum diese Aufzählung allerdings in den RAF-Schlachtruf „Der Kampf geht weiter“ mündet, mag verstehen wer will.

Reger Applaus für eine Inszenierung, die im ersten Teil enttäuschte, im zweiten deutlich Fahrt aufnahm und als Schluss des Brechtfestival 2016 noch einmal Diskussionsstoff bot.