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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Brechtfestival: 200 Teilnehmer beim „Lieblingsbrecht“

Kinder können besser Brecht als die Erwachsenen



Von Frank Heindl

„Verschaff dir Wissen, Frierender“ – auch junge Flüchtlinge trugen in der Brechtbühne vor.

„Verschaff dir Wissen, Frierender“ – auch junge Flüchtlinge trugen in der Brechtbühne vor.


Die hatten Präsenz, die hatten Engagement – die hatten was zu sagen! Von den Kindern und Jugendlichen, die sich in der Brechtbühne für das Programm „Mein Lieblingsbrecht“ was hatten einfallen lassen, hätte sich so manche „erwachsene“ Präsentation was abschauen können!

Das Organisations-Team hatte Schüler, Eltern und Lehrer aufgerufen, im Theater ihr Lieblingsstück von Brecht zu präsentieren, und was da kam, haute die Organisatoren schon mal zahlenmäßig fast um: 200 Teilnehmer wollten in in der Brechtbühne auftreten und die Veranstalter gerieten heftig in die Bredouille, weil die dortige Bühne nur für maximal 50 Personen zugelassen ist. So bedurfte es zunächst eines ausgeklügelten Organisationsplans, damit alle hübsch nacheinander an die Reihe kamen – ein Hälfte der Akteure musste in der Theaterkantine waren, während die anderen ihr Können zeigten.

„Sagt der Baum zu den Blättern: Ich geh!“

Witz, Spiellust, Engagement: Jugendliche des Jungen Theaters Augsburg

Witz, Spiellust, Engagement: Jugendliche des Jungen Theaters Augsburg


Die Bläsergruppe von Maria Stern begann mit einem für eine Schulband schon ganz schön vertrackten Arrangement von „Mackie Messer“. 23 Schülerinnen – von der Drummerin ganz links bis zur Tubistin ganz rechts ein Team, das hörbar was gelernt hat im Bigband-Unterricht. Einfach, aber vor allem einfach verblüffend, was anschließend Rose Maier Haids Kunstschule Friedberg abgeliefert hatte: Keine Livepräsentation, sondern ein Kurzfilm erwartete das Publikum. „Sagt der Baum zu den Blättern: Ich geh!“ Dieser kurze Brecht-Spruch soll ja wohl bedeuten: Manches geht einfach nicht, in diesem Fall kann der eine nicht ohne den anderen. Aber da hat der Dichter ganz offensichtlich die Kunst unterschätzt – denn die macht’s möglich: Im Friedberger Video kurvte der Baum munter und offenbar ferngesteuert im Atelier hin und her – während die Blätter einfach irgendwo hängen blieben. Auf witzige Weise wurde da dem Dichter Paroli geboten, zeigten die jungen Künstler frohgemut, wie man die Dialektik auch mal austricksen kann.

„Lob des Lernens“ – für Kinder wichtig, für Flüchtlinge das A und O. Karla Andrä (Fakstheater) hatte mit einer Übergangsklasse der Mittelschule Bobingen die Präsentation des gleichnamigen Gedichtes einstudiert, und was einem da an Spiellust, Bühnenpräsenz und überbordendem Engagement geradezu entgegensprang – teilweise von Schülern, die vor einem halben Jahr noch kein Wort Deutsch gesprochen haben! – machte fast sprachlos. „Verschaffe dir Wissen, Frierender! Hungriger, greif nach dem Buch: es ist eine Waffe. Du musst die Führung übernehmen.“ Da machten sich Geflohene selbst Mut – mit einem Gedicht, das genau dafür geschrieben wurde.

Einfach, chorisch, verschmitzt



Ebenfalls vor Bühnenpräsenz und Spielfreude übersprühend: Der Jugendclub des Jungen Theaters Augsburg, geleitet von Dagmar Franz-Abbott, der in verspielter Frische, unverkopft und fröhlich das lehrreiche Brechtsche Alphabet auf die Bühne brachte. Für jeden Buchstaben eine kurze, prägnante Szene. Und wenn, beim Buchstaben F, das ferngesteuerte Ford-Auto nicht so will, wie‘s vorgesehen war, dann half man selbstbewusst und flapsig mit ein paar Schubsern nach. Auch die Schüler der Kapellenschule hatten es mit dem Lernen: „Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen.“ Sarkastisch nimmt sich Brecht im Gedicht solcher Verweigerungshaltung an: Man sei ja eh schon Millionär, die Führer (und hoch den rechten Arm!) wüssten schon, wo’s langgehe, schließlich stünden in den Büchern die allzeit gültigen Wahrheiten. Ganz einfach, ganz chorisch und ganz verschmitzt bringen die Schüler das rüber bis zur leise angefügten Pointe: „Freilich, wenn es anders wäre, müsstest du lernen.“

Engagierte Darstellung statt Selbstdarstellung

Man kann nicht alle Präsentationen im Einzelnen schildern, man darf aber auch die kleinen Aussetzer nicht unerwähnt lassen: Ein achtjähriges Mädchen, das, stimmlich maßlos überfordert, die Seeräuber-Jenny vorsingt und dabei die Textstelle „Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen / Wenn man fragt, wer wohl sterben muss. / Und dann werden Sie mich sagen hören „Alle!“ / Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich „Hoppla!“ – eine solche Darbietung darf schlichtweg nicht sein. Man mag nicht in der Haut der Organisatoren stecken, aber hier hätten sie besser nein sagen sollen – mehr aus Fürsorge dem Kind als dem Publikum gegenüber. Nicht derart an der Grenze zum Geschmacklosen, aber darstellerisch ähnlich überfordert: Zwei Schülerinnen, die das „Eifersuchtsduett“ aus der Dreigroschenoper zum Besten gaben. Solche Szenen erfordern mehr als gute Stimmen (über die sie verfügen) – vielleicht ein bisschen Lebenserfahrung, vielleicht ein paar Jahre mehr Reife. Gerade die Präsentationen der jüngeren Kinder zeigten ja, dass man Können und Interpretationsvermögen auch an viel einfacheren Szenen und Gedichten zeigen kann, ohne dabei banal oder künstlerisch „weniger wertvoll“ zu erscheinen.

Und jetzt alle: Anmut sparet nicht noch Mühe…

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...Ja, man darf Brecht auch pfeifen: Die Kinderhymne gab's mal weniger ergriffen und dafür umso packender


Als gelungener Schluss durfte dann der ganze Saal singen. Ein Kinderchor von Maria Stern stimmte die Kinderhymne an, die wir gerne genau in dieser Version als Nationalhymne hätten: Erst mal pfeifen, das nimmt das Pathos raus, und dann alle zusammen. Das Publikum hatte vorher Textkarten bekommen und stimmte noch etwas zaghaft ein – das muss beim nächsten Mal besser werden, die Erwachsenen dürfen ruhig noch ein bisschen üben!

Insgesamt und trotz kleiner Ausrutscher: Eine erhellende Veranstaltung – gerade auch im Hinblick auf das „Preopening“ von Sonntag (DAZ berichtete: http://www.die-augsburger-zeitung.de/?p=50256), wo die wenigsten Vorträge der Erwachsenen an das heranreichten, was so viele Kinder „spielend“ schafften: Einen Text von Brecht mit einer persönlichen Aussage zu verbinden und engagiert  darzustellen, ohne selbstdarstellerisch zu wirken. Von Kindern also gerne mehr!

———————————Fotos: Frank Heindl.