Brechtbühne: „Welt am Draht“
Das andere Ich – Fassbinders „Welt am Draht“ auf der Brechtbühne
Von Halrun Reinholz
In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es einige Versuche, sich die Welt in einer technisierten Zukunft vorzustellen. Einer davon kam von Rainer Werner Fassbinder, der unter Rückgriff auf den Roman „Simulacron“ von Daniel F. Galouye mit dem Film „Die Welt am Draht“ die Digitalisierung und Virtualisierung vorwegnahm und als Szenario im Fernsehen darstellte.
Das Theater Augsburg nahm dieses Sujet nun als Stück in den Spielplan. Thematisiert wird die damals aufregende Science Fiction einer computergesteuerten Simulation der Welt, die nur dazu dient, Erkenntnisse über die Verhaltensweisen der Menschen zu sammeln, um für die Zukunft gerüstet zu sein. In ebendieser Zukunft befinden wir uns heute, so dass die damaligen fiktiven Visionen sich zweifellos an den Gegebenheiten der Gegenwart messen lassen müssen.
Regisseur David Ortmann inszeniert die Geschichte der Forschungsstation am Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung. Deren Mitarbeiter Fred Stiller (Patrick Rupar) ist einigen Ungereimtheiten auf der Spur, die im Zusammenhang mit dem streng geheim gehaltenen Simulationsprojekt stehen. Sie deuten darauf hin, dass sich mehrere der künstlich erzeugten Individuen verselbständigen und gegen ihre Situation aufbegehren. Um diese in den Griff zu bekommen, muss die Existenz einzelner Identitäten gelöscht werden. Der wie ein Thriller aufgebaute Handlungsbogen mündet schließlich darin, dass sich auch die scheinbar kontrollierende primäre Welt in Wirklichkeit nur als Simulation erweist.
Die Schwierigkeit dieses Stoffes besteht darin, dass Teile der Fiktion von der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts längst überholt worden sind, weshalb die Sichtweise der 70er Jahre teils rührend anachronistisch anmutet. David Ortmann zeigt eine Raumschiff-Enterprise-Welt in den poppigen Farben der Fassbinder-Zeit (Bühne und Kostüme: Sabine Schmidt). Andererseits ist die Thematik virtueller Welten von höchster und beklemmender Aktualität und Brisanz, ebenso wie die zeitlose Frage der Ethik von Wissenschaft. Den Themenkomplex kann das Stück auf der Bühne nur anreißen. Teils gelingt das durch die kriminalistische Handlungsführung recht geschickt. Zuweilen ist der Wechsel zwischen den Ebenen aber verwirrend, zumal die Darsteller in mehreren Rollen auftreten und die Welten sich miteinander vermengen.
Eine Herausforderung für das Darstellerteam, das sich dabei bestens bewährte. Patrick Rupar, Kai Windhövel, Roman Pertl, Gerald Fiedler und Daniel Schmidt hatten nur eine einzige weibliche Mitspielerin, Karoline Stegemann, die als Anna etwas mysteriös wirkte und schließlich die Auflösung des „Falles“ erbrachte. Ein trotz aufkommender Beklemmung insgesamt vergnüglicher Theaterabend mit überraschendem Finale.
Foto: Brechtbühne – Welt am Draht (c) Jan-Pieter Fuhr