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Dienstag, 13.08.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Brecht, ganz nah

Heute Abend: Breloers „Bi und Bidi“ im Thaliakino

Von Frank Heindl



Heute Abend geht’s los, mal wieder: Von der städtischen Finanzmisere (noch?) verschont, wird um 18 Uhr im Goldenen Saal des Rathauses das diesjährige Brechtfestival feierlich eröffnet. Wie solche „offiziellen“ Termine es eben an sich haben: Man wird dem Dichter dabei womöglich nicht allzu nahe kommen. Mehr Gelegenheit bietet sich anschließend im Thaliakino, wo ein Kleinod gezeigt wird: Der vielfache Grimme-Preisträger und mit unzähligen Auszeichnungen bedachte Regisseur Heinrich Breloer zeigt hier persönlich noch einmal seinen ersten längeren Film. „Bi und Bidi in Augsburg“ ist 1978 entstanden – hier in Augsburg. Wenige Karten sind noch an der Abendkasse erhältlich (keine Vorbestellung mehr möglich!).

Tafel am Bert-Brecht-Haus (Foto: Stefan Steinhagen)

Tafel am Bert-Brecht-Haus (Foto: Stefan Steinhagen)


Dass der große BB in Augsburg geboren ist (am 10. Februar werden es 112 Jahre) ist den Augsburgern bewusst. Und doch ist dieses Wissen ein bisschen abstrakt – und füllt sich angesichts von Breloers Film mit Leben. Denn hier berichten seine Freunde mehr als 20 Jahre nach Brechts Tod (er starb 1956 in Berlin) unangestrengt, offen und mit verblüffenden Details über ihr damaliges Verhältnis zum Dichter, der sich schon in jungen Jahren sicher war, er komme „gleich nach Goethe“. So erzählt es in sympathischer Frische und Offenheit Ernestine Müller, der Brecht lange Zeit den Hof machte. Es habe ihm schon zu schaffen gemacht, berichtet sie, „dass ich nicht so geneigt war, mit ihm intim zu werden“, und so wendet er sich später ihrer Freundin Paula Banholzer zu. Diese hat er später „Bi“ getauft, nach dem englischen „Bittersweet“. Banholzer benennt im Film mit offenen Worten, wie sich ihre langjährige Beziehung mit Brecht gestaltet: Sie sei ihm „hörig“ gewesen, wiederholt sie mehrmals, sie habe in seiner Gegenwart fast immer geschwiegen, während er ihr die Welt und den Himmel und „alles Mögliche“ erklärte. Äußerst eifersüchtig sei er gewesen: Als Brecht einen anderen Bewerber um Bi bemerkt, bestellt er diesen zu sich nach Hause und erklärt ihm, seien Freundin sei ein ganz armes Mädchen, für den Anderen keinesfalls geeignet. „Mein Vater war einer der reichsten Männer Augsburgs“, stellt Banholzer richtig – Brecht arbeitete eben mit allerlei Tricks. Als Bi 1919 schwanger wird, nimmt er vor ihrem Vater ritterlich „alle Schuld auf sich“ – der Sohn Frank wird heimlich auf dem Land zur Welt gebracht, Bi holt ihn erst viel später zu sich, 1940 kommt er im Krieg um.

Brechts egoistische Seiten bringt Bi in aller Deutlichkeit zur Sprache. Wie er mit den Frauen umging, wie er auch sie sitzen lässt und sie noch nach seiner Hochzeit mit der Sängerin Marianne Zoff belügt – das kann man dem Dichter nur schwer nachsehen. Umso verblüffender, wie seine ehemaligen Freunde von Brecht sprechen: „Er war ein Gott, der seinen Tribut forderte“, erinnert sich Otto Bezold. Er blieb zeitlebens fasziniert vom Genie Brechts. Als er ihm einmal von einer Lektüre erzählte – es ging um die Kreuzfahrer und wie sich junge Frauen bei ihnen durch Liebesdienste die Überfahrt ins Heilige Land „verdienten“ – da machte Brecht aus diesem Bericht noch in derselben Nacht die berühmte „Ballade von der Dirne Evelyn Roe“.

Besonders reizvoll für den Augsburger Zuschauer ist es, wenn en passant deutlich wird, dass sich all diese Vorkommnisse in dieser Stadt zugetragen hat: Die Freunde erzählen von Spaziergängen im Siebentischwald und am Lech, berichten, wie man Brecht nach dem Tod seiner Mutter am Bachufer antraf – er arbeitete dort an einem Abschiedspoem. Man geht durch die Frölichstraße, man sieht ihn auf Fotos vor dem Stadttheater, wo er sich zwischen den Säulen als zukünftig zu verehrender Dichterfürst neben Goethe und Schiller einreiht. Man muss ihn nach diesem Film nicht mehr oder weniger mögen als vorher – man wird Bertolt Brecht aber wohl noch mehr als Augsburger wahrnehmen.