Brecht für alle, alle für Brecht
Mit großem Staraufgebot ging das Brechtfestival zu Ende
Von Frank Heindl
Jeder Brecht-Interpret schafft sich seinen eigenen Brecht, da können die professionellen Interpretierer machen, was sie wollen – das könnte eine der Lehren aus der Großen Brechtgala sein, die am Dienstag- (und in der Wiederholung am Mittwoch-) -abend die Massen ins Stadttheater zog. Zweimal ausverkauft – wenn Masse auch Klasse macht, dann war dies zweifellos der Höhepunkt des diesjährigen Brechtfestivals, des ersten, das Joachim Lang zur Gänze ausgerichtet hat, denn im vergangenen Jahr hatte nur ein Provisorium stattgefunden.
Auf der Bühne wurde ganz im Goetheschen Sinne vieles und daher vielen etwas geboten – es dürften nur die wenigsten wirklich unzufrieden nach Hause gegangen sein. Wem zum Beispiel die grandiose Milva zu dick auftrug, der konnte sich mit der ungleich spröderen und trotzdem heftig emotionalen Eva-Maria Hagen trösten. Und doch war Diva Milva nicht nur enorm theatralisch, nicht nur phänomenal ausholend in Gesang und Gestik – sondern auch himmlisch betörend im italienischen Pathos, ohne den die 70jährige, seien wir ehrlich, schlichtweg nicht vorstellbar ist. Gut und ehrlich also, dass sie die meisten ihrer Stücke in ihrer Muttersprache vortrug. Und wenn sie davon sang, wie unter den Faschisten das Fleisch aufschlägt in den Vorstädten, dann durfte man sich den deutschen Führer und den italienischen Duce schön zusammendenken: „La fame cresce, i tamburi rullano più forte che mai.“ Zusammendenken konnte man sich auch manches andere an diesem Abend, wenn man schon vorher eifriger Festivalbesucher gewesen war. Dann hatte man beispielsweise einerseits von der Brecht-Schauspielerin Regine Lutz durchaus gelernt, dass Brecht von seinen Schauspielern größte Zurückhaltung im Ausdruck forderte. Man hatte allerdings auch in Larry Weinsteins großartigem Film über die Musik von Kurt Weill sehen können, dass dieses Diktum zeitgenössischen Künstlern in der Alten wie der Neuen Welt längst nicht mehr verbindlich scheint …
Wie Thomas Mann die Seite wechselte
Alles in allem war das natürlich eine Veranstaltung für Fans, für Leute, die ihren Dichter auf dem Sockel sehen wollen. Brechtkritik, auch von Festivalleiter Joachim Lang als unabdingbar gewertet (siehe DAZ-Interview), kam nicht vor, ist doch Augsburg voll und ganz damit beschäftigt, den verlorenen Sohn wieder heimzuholen – und damit nicht nur ihn, sondern auch sich selbst zu feiern. Das mag der Grund dafür sein, dass das Widerborstige an B.B. ein bisschen kurz wegkam in dieser Veranstaltung und dafür das vielmals Bewunderte in der x-ten Wiederholung noch einmal bewundert wurde: Wenn das Festival noch länger dauern würde, hätte man allmählich doch einen gewissen Überdruss an der Seeräuber-Jenny verzeichnen müssen, auch wenn Eva-Maria Hagens schnelle, kalte und brutale Interpretation unter die Haut ging. Und dass Brecht den Regierenden einst empfahl, sich bei Nichtgefallen nun doch endlich ein neues Volk zu wählen – das hat nun wirklich jeder schon mehrmals im Leben gehört.
Infotainment und Show waren immerhin schön didaktisch ineinander verwoben: Während Heino Ferch auf der einen Bühnenseite den Brecht verkörpern, loben, zitieren durfte, stand ihm auf der anderen Dominique Horwitz gegenüber, der Stimmen über Brecht zu Wort kommen ließ – die von Thomas Mann etwa, der nach ersten sehr kritischen Beurteilungen später wohl etwas gequält die Seite wechselte, auch die von Lehrern, Bewunderern, Freunden und Feinden.
Von Puppenkiste bis Ben Becker
Und dann wieder Gedichte und dann wieder Lieder und dann wieder Show: Ben Becker gefiel sich als existenzialistischer Baal und kam von dessen Stil nicht mehr runter, als er am Ende die „Erinnerung an die Marie A.“ zum Besten gab – da schien er Milva glatt noch übertrumpfen zu wollen. Und Kitty Kat und Marie Biermann und Therese Affolter und Pasquale Aleardi und Klaus Marschall von der Puppenkiste … – gelegentlich stieg einem die Furcht auf, Joachim Lang könnte womöglich allzu viel Pulver verschießen und hätte aus den Augen verloren, dass er für weitere zwei Jahre engagiert ist. Was soll nach so viel Aufgebot im nächsten Jahr noch kommen?
Die andere Sorge, oft im Vorfeld und auch nach dem Fest von skeptischen Gästen geäußert: Dass so viel Gala dem Brechtschen Werk abträglich sei, dass der kritische, bärbeißige, so unangepasste wie ungewaschene Brecht untergehe und nicht gefragt sei bei so viel Glamour. In der Tat: Wer während des Festivals fleißig unterwegs war, dem hatte der Galaabend allzu viele Wiederholungen zu bieten, der sah eine Zusammenfassung der Highlights und deshalb manchen Filmausschnitt zum dritten, vierten Mal, dem musste vieles zu glatt und zu schön vorkommen, der wird vielleicht nächstes Mal zuhause bleiben. Andererseits: Wer Brecht nicht so gut kannte bisher, der hat zweifellos Anregungen bekommen. Sogar als altgedienten Brechtfreund konnte einen ja durchaus die Lust ankommen, doch mal wieder in den Gedichtbänden zu stöbern, doch mal nachzuschauen, was Max Frisch sonst noch Tiefsinniges über den Kollegen Brecht gesagt hat, doch mal wieder den zeitlos wichtigen Galilei zu lesen. Schließlich schafft sich nicht nur jeder Interpret seinen eigenen Brecht, sondern auch jeder Leser.
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