Brecht-Festival: Gewogen und für zu leicht befunden
Kommentar von Siegfried Zagler
“Fugger-Päckchen” hieß in den siebziger und achtziger Jahren in der Augsburger Drogenszene eine gestreckte Lieferung, mit der ein Dealer seine Kundschaft betrog. Der erste “intellektuelle Bruch” mit der ersten und am nachhaltigsten gepflegten städtischen “Dachmarke” kam aus den dunkelsten Winkeln der Stadt. Die Fugger waren reicher und mächtiger als die 100 größten Konzerne der Gegenwart. Sie finanzierten den Krieg gegen die Protestanten und die Eroberung Südamerikas. Sie bestachen Könige, Kaiser und Päpste, erfanden das Dumping und ließen aufständische Bauern niedermetzeln. – Im historischen Gedächtnis der Stadt Augsburg existieren die Fugger zuvorderst als segenbringende Stifter, Wissenschafts- und Kunstmäzene.
“Kleinbürgerliche Seligsprechung zum Zwecke einer verwertbaren Dachmarke”
Ganz so einseitig ist bisher die “Heimholung” des Dramatikers und Lyrikers Bertolt Brecht nicht verlaufen, dennoch birgt das zurückliegende Brecht-Labeling unter der Ägide von Festivalleiter Joachim Lang eine gefährliche Tendenz der Zurechtschnitzerei. Mit 14 Artikeln und Kommentaren haben Frank Heindl und Manfred Seiler für die DAZ das Brecht-Festival aufmerksam begleitet. “Es bleibt festzustellen, dass das Thema ‘Brecht und Politik’ eine Girlande war, die über ein langweiliges, beliebiges und einfallsloses Programm gehängt wurde. Es war nicht einmal eine Verharmlosung Brechts, es war geradezu eine kleinbürgerliche Seligsprechung zum Zwecke einer touristisch verwertbaren ‘Dachmarke'”, so Theaterwissenschaftler Manfred Seiler, der in seinem Resümee die künstlerische Qualität der Aufführungen, Lesungen, Liederabende irgendwo zwischen Volkshochschule, Kleinkunstbühne, Laientheater und studentischem Happening ansiedelte. “Gewogen und für zu leicht befunden”, so das einstimmige Fazit der DAZ.
“Neue Brechtrezeption”: nicht eingelöstes Versprechen
Der künstlerischen Wertung Seilers, der lange Zeit für “Theater heute”, DIE ZEIT und die FAZ Theaterkritiken schrieb, ist kaum etwas hinzuzufügen. Einige grobe handwerkliche Fehler der Festivalleitung müssen allerdings nachgereicht werden: Lang versäumte es abermals, einen gesellschaftlichen Fokus herzustellen. Es fehlte erneut ein Ort, an dem alle Fäden zusammenlaufen, Kritik geäußert und selbstverständliche Begegnungen, kurze Auftritte und nachhaltige Diskurse hätten stattfinden können. Der Ratskeller wäre dafür hervorragend geeignet gewesen, doch mit der Geschäftsführung des Ratskellers wurde diesbezüglich nicht verhandelt. Nach der Absage von Marianne Faithfull, die zwischen zwei Auftritten in Zürich und Paris gebucht wurde – Zürich und Paris fanden statt, wurde “Weltstar” Faithfull im gleichen Atemzug von der Festivalleitung fürs Festival 2013 versprochen. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch nicht einmal einen Beschlussvorschlag des Kulturausschusses. Das sind keine Kleinigkeiten. Einem Festival ohne Fokus fehlt die Atmosphäre. Eine Ankündigung, ohne dafür ein politisches Mandat zu haben, stellt eine Brüskierung der demokratischen Gremien dar. Das größte Manko in der Reihe von Versäumnissen ist Langs nicht eingelöstes Versprechen, mit dem Schub seiner Festivals ein beachtenswertes Kapitel einer neuen Brechtrezeption aufzuschlagen. Das ist ein schwerwiegendes Versäumnis, da man davon ausgehen muss, dass Langs Festivalreihe anhand dieser redundant vorgetragenen Vorgabe zu evaluieren ist. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass eine “neue Brechtrezeption” ohnehin nicht auf der Fan- und Behauptungsebene, sondern nur aus dem Werk heraus im Theater stattfinden kann.
Schmuckes Beiwerk mit Vorbereitungscharakter
Wenn man von einigen Vorberichten absieht, fand außerhalb des Bayernteils der Süddeutschen, der Augsburger Allgemeinen, der DAZ kaum eine öffentliche Reflexion statt. Die positiven Bewertungen des Brecht-Festivals blieben somit wie gehabt bei der Festivalleitung selbst. Dr. Joachim A. Lang erstellte nicht nur das Programm und moderierte in weiten Teilen die Veranstaltung, sondern lieferte die Wertung gleich mit (nicht nur in der “BR-Nachtlinie”). Negativ belastbar ist darüber hinaus auch der Umstand, dass man im Vorfeld der Veranstaltung staunend zur Kenntnis nehmen konnte, dass es nun mit “Brecht und die Politik” ans “Eingemachte” gehe. Woraus man ableiten konnte, dass die beiden vorausgegangenen Festivals (“Brecht und die Medien”; “Brecht und die Musik”) schmuckes Beiwerk mit Vorbereitungscharakter waren. In diesem Kontext ist auch der irrwitzige Beschlussvorschlag des Kulturausschusses zu verstehen. “Auf dieser erfolgreichen Grundlage kann aufgebaut werden und der Erfolg muss genutzt werden”, so die “Begründung” des Kulturreferenten Peter Grab für die Empfehlung an die Verwaltung, einen weiteren Vertrag über drei Jahre mit Joachim Lang auszuarbeiten. Mit dem Stadttheater solle in Zukunft enger zusammengearbeitet werden. “Dr. Joachim Lang hat den Ehrgeiz, die Qualität des Festivals so zu steigern, dass es zu einer dauerhaften Institution wird, die mit anderen bedeutenden deutschen Festivals in einer Kategorie genannt wird.”
Mit Fugger und Brecht könnte man von hier aus die Welt erklären
Also wieder nicht mehr als ein uneinlösbares Versprechen und der implizite Hinweis, dass das bisher Geleistete noch viel Luft nach oben hat. Konzept? Fehlanzeige! Wie niedrig muss ein Kulturausschuss hängen, um einer dergestalt armseligen Vorlage zuzustimmen? Zur Erinnerung: Als es 2008 darum ging, ob man Festivalleiter Albert Ostermaier verlängern solle oder nicht, forderte Peter Grab Ostermaier mehrmals auf, ein genehmigungsfähiges Konzept abzuliefern.
“Die Differenzierung der Städte erfolgt über Kultur und nicht über geschickte Verkehrsführung.” Dieser Satz aus dem Munde von Tourismusdirektor Götz Beck bestimmt in der Augsburger Lokalpolitik viel zu wenig die Musik. Es gibt kaum einen Ort, dessen historische und kulturelle Ressourcen stärker vernachlässigt wurden (und werden) als dies in “unserer Stadt” der Fall war und ist. Mit dem Aufstieg und Niedergang der Fugger und mit den Werken Brechts könnte man von hier aus die Welt erklären. Im Falle Brechts sind dafür hochwertige künstlerische Leistungen notwendig. Dafür brauchte es zwei Dinge: mehr Geld und eine künstlerische Leitung mit Format.